Nützlich wäre vieles für die Polizei. Doch welche Daten darf sie nutzen in einem Rechtsstaat – und wie? Die Diskussion um die Software von Palantir rührt an Grundfragen.
Diskussion um Palantir: Was soll die Polizei dürfen?
In manchen Fällen ist selbst der kleinste Hinweis für Sicherheitsbehörden von unschätzbarem Wert – wie bei einer drohenden Bedrohung. Doch ob die Polizei in solchen Situationen eine Software nutzen sollte, um alle verfügbaren Datenbanken zu durchsuchen und Verbindungen zwischen Verdächtigen und potenziellen Komplizen herzustellen, ist äußerst umstritten. Dies ist der Kern der Debatte um das US-Unternehmen Palantir und seine Programme.
Warum wollen Polizeibehörden Palantir nutzen?
Aktuell verfügt die Polizei über zahlreiche Daten, die sie jedoch nur schwer zusammenführen kann, wenn es erforderlich ist. Ein Beispiel: Es gibt Hinweise darauf, dass Terrorverdächtige aus dem Ausland sich auf dem Weg nach Deutschland befinden. Welches Ziel könnten sie haben und wer sind ihre Unterstützer vor Ort?
Die Ermittler haben alle möglichen Daten gespeichert, zum Beispiel bei Verkehrskontrollen, Zeugenbefragungen oder auch aus sensiblen Bereichen wie bei heimlicher Telefonüberwachung. Um Daten eines Verdächtigen zusammenzuführen, beispielsweise zu Autokennzeichen oder Adresse, müssen Polizisten in verschiedenen Systemen und Formaten recherchieren. Eine solche Auswertung kann mehrere Tage in Anspruch nehmen, so heißt es aus Bayern.
Was würde Palantir bringen?
Palantirs Programm zielt darauf ab, Verbindungen zwischen den Daten herzustellen, wenn Menschen ins Visier der Behörden geraten und Zeitdruck herrscht. In Bayern wird dies beispielsweise seit über einem Jahr mit der Verfahrensübergreifenden Recherche- und Analyseplattform (VeRA) umgesetzt, die auf dem Programm Gotham von Palantir basiert.
VeRA nutzt Daten aus allen Bereichen der bayerischen Polizei, damit Ermittler sie untersuchen und analysieren können. Verschiedene Dateiformate werden in ein einheitliches Format übersetzt, um Verbindungen zu erkennen und Informationen über dieselbe Person aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen. Die Daten können in Netzwerken, Karten, zeitlicher Abfolge oder als reine Texttabellen angezeigt werden. Basierend auf den Informationen können neue Dossiers erstellt werden.
Wo wird die Software bislang eingesetzt?
Neben Bayern gibt es auch in Hessen eine Gotham-Version namens Hessendata und in Nordrhein-Westfalen (DAR) wird sie ebenfalls eingesetzt. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht Anfang 2023 in einem Urteil die Gesetzesgrundlage, die das Land dafür geschaffen hatte, aufgehoben. In Baden-Württemberg hat sich die grün-schwarze Koalition nach internen Streitigkeiten ebenfalls auf den Einsatz geeinigt. Im Grunde genommen hat das bayerische LKA jedoch einen Rahmenvertrag ausgehandelt, der es allen Ländern und dem Bund ermöglicht, das System für ihre Polizeibehörden zu erwerben.
Dort, wo bereits die Palantir-Software von der Polizei genutzt wird, verweist das Unternehmen auf verschiedene Erfolge der Beamten mit dem Programm: In Hessen wurde 2017 ein Jugendlicher festgenommen, der verdächtigt wurde, einen Sprengsatz für einen Anschlag herstellen zu wollen. In Nordrhein-Westfalen half die Software den Ermittlern im Fall des Missbrauchskomplexes Bergisch Gladbach. Ein Täter wurde unter anderem über eine gemeinsame Internetverbindung im Ausland mit einem Hauptbeschuldigten in NRW in Verbindung gebracht. In Bayern konnte das LKA nach einem Anschlag auf das israelische Generalkonsulat in München 2024 schnell feststellen, dass der erschossene Verdächtige zuvor nicht polizeibekannt war.
Welche Bedenken gibt es?
Das US-Unternehmen Palantir, der Hersteller des Programms, hat als Start-up Geld vom US-Geheimdienst CIA erhalten und zählt diesen zu seinen Kunden. Daher befürchten Datenschützer, dass Polizeidaten in die USA gelangen könnten.
Ein Sprecher von Palantir betont dagegen, ein solcher Datenabfluss sei «technisch ausgeschlossen». Es gebe keine Verbindung zum Internet oder zu externen Servern, Daten könnten daher auch nicht aus dem Hoheitsbereich der Polizei gelangen. Das Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie hatte vor dem Einsatz in Bayern im Auftrag des LKA den Quellcode der Software überprüft – und keine Hinweise auf versteckte Hintertüren gefunden.
Zum anderen stören sich Datenschützer an dem Zugriff der Software auf Polizei-Daten, die zu völlig unterschiedlichen Zwecken gesammelt wurden. Analysten können dort je nach Fall Verbindungen zwischen Zeugen eines Unfalls und nachrichtendienstlichen Erkenntnissen zu Terrorverdächtigen feststellen und festhalten. Bayerns oberster Datenschützer, Thomas Petri, sah deshalb das sogenannte Zweckbindungsgebot in Gefahr.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die gegen den Einsatz der Software in Bayern klagt, warnt: «Schon wer Anzeige erstattet, Opfer einer Straftat wird oder einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort ist, kann durch die Software ins Visier der Polizei geraten.» Betroffene wüssten gar nichts davon.
Im Programm müssen Ermittler bei jeder Verwendung angeben, warum sie die Software nutzen und auf welche Daten sie zugreifen. Je schwerwiegender die zu verhindernden Straftaten und je größer die unmittelbare Gefahr sind, desto mehr Daten dürfen für die Analyse verwendet werden. In Bayern liegt die Überprüfung der genannten Gründe jedoch beim LKA selbst.
Wer steckt hinter dem Unternehmen?
Mitgründer und Verwaltungsratschef ist US-Milliardär Peter Thiel. An seinen politischen Präferenzen hatte sich ebenfalls Kritik aus Deutschland entzündet: Thiel hatte in der Vergangenheit US-Präsident Donald Trump im Wahlkampf unterstützt. «In das operative Tagesgeschäft ist er allerdings nicht involviert», sagt ein Palantir-Sprecher. Firmenchef ist Mitgründer Alex Karp, der im jüngsten Präsidentschaftswahlkampf Ex-Amtsinhaber Joe Biden finanziell unterstützt hatte.
Karp sagte der «New York Times» im vergangenen Jahr, dass es ohne die Software von Palantir in Europa «massive Terroranschläge» gegeben hätte, in der Dimension der Attacke auf Israel am 7. Oktober 2023. «Wir vertreten die konsequent pro-westliche Ansicht, dass der Westen eine überlegene Lebensweise und Organisation hat, insbesondere wenn wir unseren eigenen Ansprüchen gerecht werden», beschrieb er die Firmen-Philosophie.
Gäbe es Alternativen?
Laut Bundesinnenministerium werden «verschiedene Optionen» geprüft für ein gemeinsames IT-System, das Daten der Polizeien von Bund und Ländern zusammenführen soll. Dabei gehe es sowohl um den Einsatz von auf dem Markt verfügbarer Software als auch «die Nutzung einzelner modularer Services». Im europaweiten Vergabeverfahren habe bislang nur Palantir eine marktverfügbare Softwarelösung angeboten, die den Ansprüchen entsprochen habe. Einen Entschluss für ein gemeinsames System müssten Bund und Länder gemeinsam fassen.
Das Unternehmen selbst macht keinen Hehl daraus, dass sich Palantir auf seinem Feld für weitgehend konkurrenzlos hält. So schreibt ein Sprecher zu möglichen Alternativen: «Sollte man tatsächlich die Hoffnung auf Lösungen setzen, die bereits vor der ersten Zeile funktionierendem Code an Debakel wie den BER oder Stuttgart 21 erinnern, statt auf einen Anbieter zu vertrauen, der nach Aussagen zahlreicher Experten alternativlos ist und den Status „Bekannt und Bewährt“ innehat?»