«Christlicher Glaube ist politisch»: Der evangelische Kirchentag lässt Zehntausende in Hannover zusammen feiern und diskutieren – unterstützt von prominenten Politikern.
Drei Lehren aus dem Kirchentag in Hannover
Der Kirchentag in Hannover endet nach fünf Tagen: Seit Mittwoch haben Zehntausende Besucher gefeiert und sich über ihren Glauben, ihr Leben und die Politik ausgetauscht – unterstützt von hochrangigen Gästen wie dem amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz und der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Der evangelische Kirchentag wollte sich keineswegs den politischen Anspruch nehmen lassen, betonte Präsidentin Anja Siegesmund angesichts der Diskussion über die politische Rolle der Kirche, die von der CDU-Politikerin Julia Klöckner entfacht wurde.
Etwa 65.000 Tickets wurden vor dem Beginn des Kirchenfests verkauft, mit der Hoffnung, dass es bis zu 100.000 werden würden, so die Veranstalter. Dies wären rund 30.000 mehr als 2023 in Nürnberg. In der Innenstadt von Hannover, wo die Podien und Konzerte auch ohne Ticket besucht werden konnten, versammelten sich zeitweise sogar etwa 150.000 Menschen, meist bei bestem Sommerwetter.
Der Kirchentag investierte 24 Millionen Euro dafür, wobei rund die Hälfte mit Steuergeld finanziert wurde. Bevor der Kirchentag 2027 nach Düsseldorf und 2029 nach Hamburg weiterzieht, hier drei Erkenntnisse aus dem Protestantentreffen:
1. Die evangelische Kirche mischt sich ein
Der Kirchentag als Laienbewegung machte ebenso wie Vertreter der EKD deutlich, dass sie sich nicht den Mund verbieten lassen. Hatte Klöckner, inzwischen Bundestagspräsidentin, beklagt, die Kirche riskiere, beliebig zu werden, wenn sie ständig zu tagesaktuellen Themen Stellung nehme, betonte Kirchentagspräsidentin Siegesmund: «Christlicher Glaube ist politisch.» EKD-Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich warnte davor, geistliches Leben und christliches Positionieren gegeneinander aufzurechnen.
Auf dem Kirchentag trafen Klöckner und Siegesmund auch direkt aufeinander. Klöckner erneuerte dabei ihre Kritik, dass die Kirche ihr in großen Sinnfragen «an der ein oder anderen Stelle zu leise» sei. Zwar sagte sie: «Natürlich müssen sich Christen auch politisch äußern.» Klöckner schränkte jedoch ein, die Kirche könne zwar Partei ergreifen, «aber sie darf keine Partei sein». Denn die Kirche müsse über das hinausweisen, was Parteien tun.
Viele weitere Diskussionsrunden untermauerten den politischen Anspruch: Der geschäftsführende Kanzler Scholz warnte vor einem vorschnellen AfD-Verbotsverfahren, Vorgängerin Merkel verteidigte ihren Migrationskurs und übte Selbstkritik in Sachen Klimaschutz. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte die Diskussionen beim Kirchentag als eine «ganz, ganz seltene Chance, dass wir uns aus unseren ideellen Fertighäusern herausbegeben».
Auch umstrittene Themen wie die Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine, der Nahostkonflikt oder sexualisierte Gewalt in der Kirche wurden gezielt angesprochen. Vertreter der AfD und des BSW waren jedoch nicht eingeladen.
2. Verteidigung und Pazifismus bleiben ein Spannungsfeld
Eine ökumenische Friedenssynode um die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann appellierte: «Es wird gesagt, wir müssten kriegstüchtig werden und Frieden durch Aufrüstung sichern. Wir aber wollen friedensfähig werden.» Dieser «Friedensruf» solle als Impuls in die Gemeinden gehen, «damit nicht mehr geschwiegen wird in unserer Kirche», sagte Käßmann.
Kirchentags-Generalsekretärin Kristin Jahn hingegen sagte auf die pazifistischen Forderungen angesprochen, man könne der Ukraine auch sagen, «lasst euch mal erschießen» – mache damit aber nur Tyrannen groß.
Gerne hätte man hierzu auch Einschätzungen der kommenden Bundesregierung gehört. Doch sowohl CDU-Chef Friedrich Merz als auch SPD-Chef Lars Klingbeil sagten ihre Auftritte ab. Klingbeil hätte mitdiskutiert zum Thema «Deutsche Zerrissenheit – Mit Waffen Frieden schaffen?».
3. Hannover kann Partymeile
Die Landeshauptstadt Niedersachsens wird oft als langweilig angesehen – und die meisten Einwohner sind bescheiden genug, um nichts an diesem Ruf zu ändern. Trotzdem konnten die vielen Besucher des Kirchentags die Vorzüge der Stadt hautnah erleben, begleitet von fast durchgängigem Sonnenschein.
In der U-Bahn spielen Musiker, es gibt spontane Basketballspiele auf gesperrten Straßen und große Konzerte mit Künstlern wie Gentleman oder Jupiter Jones zeigen, welches Lebensgefühl in Hannover möglich ist.
Die Sicherheit sollte durch zusätzliche Überwachungskameras, Drohnenverbote und Poller gewährleistet werden. Laut Polizeiangaben verliefen die ersten Tage ohne besondere Vorkommnisse. Die Stimmung war fröhlich und friedlich.
Der Veranstaltungsort war für den Kirchentag auch eine Rückkehr zu den Ursprüngen: 1949 fand die erste Ausgabe des Protestantentreffens ebenfalls in Hannover statt, damals gegründet als Reaktion auf die Zeit des Nationalsozialismus und den fehlenden Widerstand der Amtskirche. Insgesamt war es der fünfte evangelische Kirchentag in Hannover.