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EGMR: Eklatante Menschenrechtsbrüche von Russland in Ukraine

Nicht nur Russlands Krieg gegen die Ukraine, auch schon Kämpfe davor hatten verheerende Auswirkungen für Zivilisten. Das Menschenrechtsgericht sieht ein «System» von Rechtsbrüchen durch Russland.

Elf Jahre ist der Abschuss der Passagiermaschine über der Ostukraine bereits her. (Archivbild)
Foto: Dmitry Lovetsky/AP/dpa

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Russland wegen «wiederholter und eklatanter» Menschenrechtsverstöße in der Ukraine und für den Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 im Jahr 2014 verurteilt. Russland habe unter anderem das Recht auf Leben verletzt und gegen das Verbot der Folter verstoßen, urteilten die Richterinnen und Richter in Straßburg. Vor dem internationalen Gericht hatten die Ukraine und die Niederlande gegen das Land geklagt. 

Der EGMR hat nun entschieden, dass Russland für den Abschuss des Passagierflugzeugs mit der Flugnummer MH17 über der Ostukraine verantwortlich ist – unabhängig davon, ob das russische Militär oder prorussische Rebellen die Rakete abgefeuert haben. Russland habe es versäumt, das Ziel der Rakete genau zu überprüfen und das Leben der Menschen an Bord zu schützen, so die Mitteilung des Gerichts.

Verurteilung von Russlands Verhalten bei MH17-Untersuchung

Darüber hinaus habe Russland die Aufarbeitung des Absturzes behindert, weil es ungenaue oder falsche Informationen an die Ermittlergruppe der betroffenen Länder gegeben und die Bergung der Leichen erschwert habe. Das habe das quälende Warten der Angehörigen auf Antworten verlängert und ihr Leiden verschlimmert. «Die Art und das Ausmaß ihres anhaltenden Leidens waren so schwerwiegend, dass sie eine unmenschliche Behandlung darstellen», stellte der EGMR fest.

Die Boeing der Malaysia Airlines wurde am 17. Juli 2014 auf dem Flug von Amsterdam nach Kuala Lumpur über umkämpftem Gebiet in der Ostukraine von einer russischen Luftabwehrrakete getroffen, die prorussische Rebellen abgefeuert hatten. Alle 298 Menschen an Bord starben – darunter 196 aus den Niederlanden, 38 Australier und vier Deutsche. Russland lehnt bis heute jede Verantwortung dafür ab.

Im Jahr 2023 stellte ein internationales Ermittlerteam fest, dass Kremlchef Wladimir Putin eine aktive Rolle beim Abschuss des Flugzeuges spielte – jedoch waren die Beweise für eine strafrechtliche Verfolgung nicht ausreichend. Im November 2022 wurden zwei Russen und ein Ukrainer in Abwesenheit in den Niederlanden wegen Mordes in 298 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Mai erklärte der UN-Luftfahrtsrat die Russische Föderation für den Abschuss verantwortlich und bestätigte damit die Forderung der Niederlande und Australiens nach rechtlichen Konsequenzen aufgrund des Todes vieler Landsleute.

Hinterbliebene in den Niederlanden reagieren erleichtert

Die Angehörigen der Opfer in den Niederlanden sprachen von einer «großen Erleichterung», dass der Gerichtshof Russland für den Absturz verantwortlich gemacht habe. «Das ist die Anerkennung von dem, was wir Hinterbliebene schon wussten», sagte der Vorsitzende der Vereinigung der Hinterbliebenen der Opfer des Absturzes der Maschine, Piet Ploeg. Es sei wichtig, dass die ganze Welt das auch sehe. «Es kann nicht sein, dass ein Land einfach so davonkommt.» Der geschäftsführende Ministerpräsident Dick Schoof nannte das Urteil auf der Plattform X einen «wichtigen Schritt zu Gerechtigkeit».

In ihrem Urteil stellten die Richterinnen und Richter außerdem fest, dass Russland im Konflikt mit der Ukraine schon vor Kriegsbeginn, konkret in dem Zeitraum vom 11. Mai 2014 bis zum 16. September 2022, ein «System von Verstößen» gegen die Menschenrechte etabliert hatte. Dazu gehörten laut dem EGMR unter anderem wahllose militärische Angriffe, Hinrichtungen von Zivilisten und ukrainischen Militärangehörigen, Folter und Vertreibung – aber auch etwa die «Unterdrückung der ukrainischen Sprache in den Schulen» und «Indoktrination von Schulkindern».

Der EGMR hat festgestellt, dass seit Beginn des Konflikts schwere Waffen eingesetzt wurden, die sich nach der Invasion im Jahr 2022 verstärkt haben, sowie der häufige Einsatz von Sprengwaffen und Streumunition in bewohnten Gebieten. Die Angriffe richteten sich auch gegen fliehende Zivilisten und klar gekennzeichnete Krankenhäuser. Der EGMR bezeichnete dies als eklatante Missachtung der internationalen Rechtsordnung.

Auswirkungen dürften begrenzt sein

Die Folgen der Entscheidung werden jedoch voraussichtlich begrenzt sein: Russland erkennt die Urteile des Gerichtshofs nicht an. Das Land wurde aufgrund seines seit Februar 2022 andauernden Angriffskrieges gegen die Ukraine aus dem Europarat ausgeschlossen. Somit ist es auch kein Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention mehr, für deren Einhaltung der Gerichtshof verantwortlich ist. Dieser kann jedoch weiterhin über Vorfälle entscheiden, die bis zu sechs Monate nach dem Ausschluss stattgefunden haben. Europarat, Menschenrechtskonvention und Gerichtshof sind unabhängig von der EU.

dpa