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Er kommt doch noch: Sunaks später Antrittsbesuch in Berlin

Der britische Premierminister hat sich so viel Zeit mit seinem Antrittsbesuch in Berlin gelassen, dass kaum noch jemand mit ihm gerechnet hat. Dafür ist die Themenliste jetzt umso länger.

Der britische Premierminister Rishi Sunak wird heute vor dem Kanzleramt von Scholz mit militärischen Ehren empfangen.
Foto: Henry Nicholls/Pool AFP via AP

Kaum jemand hatte erwartet, dass Rishi Sunak seinen Antrittsbesuch in Berlin absolvieren würde. Aufgrund des Umfragetiefs der Konservativen wurde hinter vorgehaltener Hand in London gewitzelt, dass der britische Premierminister nicht mehr lange im Amt bleiben werde und daher die Reise zu Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht mehr lohne.

Sunak kommt nun doch nach Berlin – fast genau anderthalb Jahre nach seinem Amtsantritt. Nach einem Besuch in Warschau wird er heute vor dem Kanzleramt von Scholz mit militärischen Ehren empfangen.

Sunak kommt mit Rückenwind durch Asyl-Beschluss nach Berlin

Sunaks Tory-Partei steht vor einer historischen Niederlage bei der bevorstehenden Parlamentswahl, die noch vor Jahresende stattfinden soll. Allerdings erhält er nun Unterstützung aus Berlin.

Zu Beginn der Woche genehmigte das Parlament nach langem Streit Sunaks umstrittenen Asylpakt mit Ruanda: Asylsuchende, die ohne gültige Papiere in Großbritannien ankommen, werden jetzt sofort in das ostafrikanische Land abgeschoben. Dort können sie Asyl beantragen, aber unabhängig von ihrer Herkunft dürfen sie nicht mehr nach Großbritannien.

Die internationale Kritik ist gewaltig, aber Sunak ficht das nicht an. Er beharrt darauf, dass die gewählte Regierung bestimme, wer ins Land dürfe, und nicht ein «ausländisches Gericht» wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

Auch in Deutschland werden die britischen Pläne mit Interesse verfolgt. Die Union drängt seit langem darauf, Asylverfahren außerhalb der EU zu verlagern. Die Bundesregierung hat den Ländern eine Prüfung zugesagt. Bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 20. Juni sollen erste Ergebnisse vorgelegt werden.

Hauptthema Ukraine-Hilfe: Ende der US-Blockade bringt Schub

Ganz oben auf der offiziellen Agenda des deutsch-britischen Gipfels in Berlin dürfte aber ein anderes Thema stehen: Die Militärhilfe für die von Russland angegriffene Ukraine, die durch das Ende der monatelangen Blockade der US-Unterstützung nun einen neuen Schub bekommt. 61 Milliarden US-Dollar (57 Milliarden Euro) für Kiew werden damit freigesetzt. Möglicherweise werden die USA schon bald ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern liefern, mit denen russische Versorgungslinien weit hinter der Front bekämpft werden können.

Sunak hat seinerseits gerade das bisher größte britische Militärpaket für die Ukraine zugesagt. Neben 60 Kampfbooten und Hunderten gepanzerten Fahrzeugen umfasst es auch weitere Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow. Die Zusagen der amerikanischen und britischen Raketen mit großer Reichweite könnten auch die Debatte über die Lieferung der deutschen Taurus-Marschflugkörper wieder anheizen. Der Sicherheitsexperte Maximilian Terhalle von der London School of Economics geht davon aus, dass das beim Gespräch von Scholz und Sunak Thema sein wird. «Da Großbritannien seine Storm Shadows erneut liefert, wird auch die Frage Taurus wieder aufkommen», sagt er.

Taurus-Ringtausch mit Großbritannien scheint vom Tisch zu sein

Es scheint jedoch unwahrscheinlich zu sein, dass Scholz sein Nein zu Taurus ändern wird. Auch ein zuvor diskutierter Ringtausch mit Großbritannien, bei dem die Briten Taurus-Raketen erhalten würden, um mehr Storm Shadows in die Ukraine zu liefern, wird in Berlin mittlerweile als nicht praktikabel angesehen. Scholz ist derzeit vielmehr darum bemüht, in der EU die Lieferung von sieben weiteren Luftabwehrsystemen für die Ukraine zu koordinieren. Deutschland hat hierbei mit gutem Beispiel vorgelebt und ein weiteres Patriot-System bereitgestellt.

Scholz betrachtet sich mittlerweile als den wichtigsten europäischen Waffenlieferanten der Ukraine – noch vor Großbritannien. Sunak erhöhte jedoch vor seinem Besuch in Berlin die Ausgaben für das eigene Militär und kündigte an, sie auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern – 0,5 Prozentpunkte mehr als das derzeitige Nato-Ziel von 2,0 Prozent, das Deutschland in diesem Jahr erstmals seit Jahrzehnten wieder erreicht hat.

Auch Gaza-Krieg und Brexit auf der Tagesordnung

Ein weiteres Thema im Kanzleramt dürfte der Gaza-Krieg sein. Die Bundesregierung und die Downing Street haben ihre Kritik am militärischen Vorgehen Israels im Gaza-Streifen zuletzt schrittweise verschärft. Beide Länder werfen humanitäre Güter über dem umkämpften Küstenstreifen ab. Im Gegensatz zu Deutschland beteiligte sich Großbritannien kürzlich auch an der Abwehr des iranischen Angriffs auf Israel.

Scholz und Sunak werden unter anderem über die Beziehungen beider Länder nach dem Brexit sprechen. Der bilaterale Handel hat sich zwar erholt und Großbritannien ist wieder unter den Top Ten der deutschen Außenhandelspartner. Deutsche Unternehmen haben jedoch weiterhin Probleme. Auch an anderen Stellen gibt es Schwierigkeiten. Sunak hat kürzlich ein EU-Angebot für Gespräche über ein Mobilitätsprogramm für junge Leute nach dem Brexit abgelehnt, was konservative Hardliner erfreut hat. Es besteht also auch hier viel Gesprächsbedarf.

dpa