Israels Luftwaffe setzt ihre Angriffe gegen die Hisbollah im Libanon fort. Erneut wird die Hauptstadt Beirut zum Ziel. Galten die Angriffe dem potenziellen Nachfolger von Hisbollah-Chef Nasrallah?
Erneut schwere israelische Luftangriffe in Beirut
In der Nacht wurde die libanesische Hauptstadt Beirut erneut Ziel massiver Luftangriffe des israelischen Militärs. Eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur berichtete von schweren Explosionen. Es wird vermutet, dass der Angriff Haschim Safi al-Din, dem Chef des Exekutivrats der Hisbollah-Miliz, galt. Er gilt als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge des kürzlich bei einem israelischen Luftangriff in Beirut getöteten Hisbollah-Anführers Hassan Nasrallah. Die israelische Armee hat sich bisher nicht zu den erneuten Angriffen in Beirut geäußert.
Die Angriffe fanden erneut in südlichen Vororten statt, die hauptsächlich von der Hisbollah kontrolliert werden, so libanesische Sicherheitskreise. Auf Videoaufnahmen waren Detonationen über der Stadt zu hören, während gewaltige Flammen und Rauch in den Nachthimmel stiegen. Israels Militär hatte die Bewohner bestimmter Gebäude in den südlichen Vororten aufgefordert, in arabischer Sprache zu evakuieren. Die Angriffe ereigneten sich, während Israels Truppen und Panzer gleichzeitig gegen die Hisbollah im Südlibanon kämpfen. Israels erklärtes Ziel ist es, die proiranische Schiitenmiliz von der Grenze zu vertreiben, damit rund 60.000 evakuierte Israelis in ihre Häuser zurückkehren können.
Pentagon: Beraten mit Israel über Reaktion auf Angriff Irans
Die US-Regierung ist unterdessen weiter mit Israel über eine Reaktion auf den kürzlichen iranischen Raketenangriff im Gespräch. «Wir erörtern mit ihnen, wie eine Reaktion auf den Iran aussehen könnte. Aber hier Details zu erläutern, wie mögliche Ziele aussehen könnten, halte ich nicht für sinnvoll oder wirklich hilfreich», sagte Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh auf die Frage, ob iranische Ölanlagen ein mögliches Ziel seien. US-Präsident Joe Biden hatte gesagt, dass die USA über ihre Haltung zu einem möglichen israelischen Angriff auf iranische Ölanlagen diskutieren. Die Äußerung führte prompt zu Verunsicherung an den Märkten.
Heute wird in Israel der zweite Tag des jüdischen Neujahrsfestes gefeiert. Nach den Raketenangriffen des Irans im April vergingen fünf Tage bis zum israelischen Gegenschlag. Die islamistische Hamas hat unterdessen zu weltweiten Solidaritätsdemonstrationen von heute bis zum ersten Jahrestag des Beginns des Gaza-Krieges am 7. Oktober aufgerufen.
Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen hatten am 7. Oktober 2023 in Israel mehr als 1.200 Menschen getötet und etwa 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen gebracht. Dies war der Auslöser für den Gaza-Krieg. Seitdem greift die Hisbollah-Miliz im Libanon nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der Hamas Israel an. Auch in der Nacht heulten im Norden Israels wieder Warnsirenen, wie die Armee bekanntgab. Ein Flugobjekt, das von Osten in Israels Gebiet eingedrungen sei, sei abgefangen worden.
Viele Tote bei israelischem Luftangriff im Westjordanland
Israels Militär verstärkt auch im besetzten Westjordanland den Kampf gegen seine Feinde. Laut dem palästinensischen Gesundheitsministerium in Ramallah wurden bei einem Angriff eines israelischen Kampfflugzeugs auf ein Café in der Stadt Tulkarm im Norden des Westjordanlandes mindestens 18 Menschen getötet. Die genaue Anzahl der Verletzten war zunächst unklar. Es handelte sich um den ersten Luftangriff dieser Art im Westjordanland seit Jahren. Der Angriff richtete sich nach Angaben der israelischen Armee gegen den Hamas-Chef in Tulkarm, Sahi Jasser Abd al-Rasegh Ufi. Laut palästinensischen Medien wurde bei dem Luftangriff auch der Anführer der örtlichen Sektion der Terrororganisation Islamischer Dschihad, Gaith Radwan, getötet.
Israels Armee ruft Menschen im Libanon zur Flucht auf
Im Zuge seiner Bodenoffensive im Libanon hat das israelische Militär die Menschen in Dutzenden Orten im Süden des Landes zur Flucht aufgefordert. Demnach sollen sich die Menschen etwa 60 Kilometer hinter die Grenze in Sicherheit bringen. Ziel der Bodenoffensive sei bislang die Zerstörung von Tunneln und Waffen, die die Hisbollah in der Nähe der Grenze für einen möglichen Angriff auf Israel vorbereitet habe, zitierte das «Wall Street Journal» mehrere über den Einsatz informierte israelische Beamte. Demnach habe das Militär nicht die Absicht, den Einmarsch in einen großangelegten Landkrieg im Libanon zu verwandeln. Nach Angaben der Armee wurden bei den Kämpfen bisher neun israelische Soldaten getötet.
Israel: 230 Raketen vom Libanon auf den Norden abgeschossen
Die israelische Armee teilte mit, dass innerhalb eines Tages rund 230 Raketen und einige Drohnen von der Schiitenmiliz Hisbollah auf den Norden Israels abgefeuert wurden. Am Vortag waren 140 solcher Angriffe gemeldet worden. In verschiedenen Ortschaften in Israel wurden die Sirenen des Luftalarms immer wieder gehört. Einige Raketen wurden abgefangen, andere fielen in unbewohntem Gebiet. Es gibt bisher keine Informationen über mögliche Opfer oder größere Schäden.
Die Hisbollah sei zwar nach den jüngsten massiven Angriffen der israelischen Armee geschwächt, habe aber ihre Fähigkeiten als Guerillakampftruppe im Süden des Landes erhalten, zitierte die «Washington Post» einen pensionierten libanesischen Armeegeneral. «Die Hisbollah hofft, dass die Israelis tiefer in den Libanon eindringen werden», sagte er. «Der Luftkrieg, den die Israelis geführt haben, war sehr erfolgreich. Wenn sie am Boden bleiben, wird die Hisbollah den Krieg bekommen, den sie will», sagte Hussein Ibish vom Arab Gulf States Institute, einer Denkfabrik in Washington, dem «Wall Street Journal».
Experte: Israels Vorgehen im Libanon ähnelt Gaza-Taktik
Statt die Erfahrungen vorheriger Bodenoffensiven im Südlibanon von 1978 und 2006 zu wiederholen, die Israel keine dauerhaften Sicherheitsgewinne brachten, ähnele Israels aktueller Krieg im Libanon eher dem Vorgehen gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen, sagte Sanam Vakil, Leiter des Nahostprogramms der Londoner Denkfabrik Chatham House, der US-Zeitung. «Ich gehe davon aus, dass sie, wie im Gazastreifen, die Drohung einer langfristigen Präsenz als Verhandlungsinstrument nutzen werden», so Vakil.
Die Hisbollah hat bisher allen israelischen Druckversuchen widerstanden, ihren Raketenbeschuss vom Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen zu trennen. Sie beabsichtigt, die Angriffe erst bei einer Waffenruhe in Gaza zu beenden. Trotz monatelanger Bemühungen der USA, Katars und Ägyptens, eine Waffenruhe im Gazastreifen zu erreichen, sind diese erfolglos geblieben. Die USA, als wichtigster Verbündeter Israels, haben Israels jüngste Angriffe im Libanon verteidigt.
USA verteidigen Israels Vorgehen im Libanon
«Nichts, was wir bisher gesehen haben, lässt uns zu dem Schluss kommen, dass sie etwas anderes tun, als eine terroristische Organisation anzugreifen», sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller. Auf Fragen von Journalisten, ob Washington mit Blick auf die Gefährdung der Zivilbevölkerung das Vorgehen Israels im Libanon stillschweigend billige, entgegnete Miller: «Es ist nicht so, dass wir einzelne Angriffe genehmigen. Aber wir billigen das Recht der israelischen Regierung, sich gegen eine Terrororganisation zu verteidigen.»