Internationale Staatschefs fordern Ende der Militäroffensive und mehr humanitäre Hilfe für den Gazastreifen.
Druck auf Netanjahu wächst, Staatschefs warnen vor Eskalation

Angesichts des Vorgehens der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen und der andauernden Notlage der Zivilbevölkerung wächst der internationale Druck auf Regierungschef Benjamin Netanjahu. Nach Angaben einer israelischen Behörde erreichten zwar erstmals seit fast drei Monaten wieder Hilfsgüter das abgeriegelte Küstengebiet – aber nur in minimaler Menge. Gleichzeitig läuft Israels neue Militäroffensive weiter. Die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien und Kanada sprachen am Montagabend von einer «völlig unverhältnismäßigen» Eskalation – und richteten eine Warnung an Netanjahus Regierung.
«Sollte Israel die erneute Militäroffensive nicht einstellen und die Beschränkungen der humanitären Hilfe nicht aufheben, werden wir mit weiteren konkreten Maßnahmen reagieren», teilten Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der britische Premierminister Keir Starmer sowie sein kanadischer Amtskollege Mark Carney mit.
Netanjahu konterte, dass Israel nicht von seinen Kriegszielen abrücken und «sich weiterhin mit gerechten Mitteln verteidigen» werde, «bis der vollständige Sieg errungen ist». Was das bedeutet, hatte Netanjahu am Montag ausgeführt: «Wir werden die Kontrolle über alle Gebiete des Gazastreifens übernehmen.» Israelische Soldaten sollen nach seiner Vorstellung künftig in Gaza stationiert bleiben. Die Islamistenorganisation Hamas will Netanjahu komplett zerschlagen lassen.
UN zu Hilfslieferungen: «Tropfen auf heißen Stein»
Laut der israelischen Behörde Cogat für Palästinenserangelegenheiten kamen am Montag fünf Lastwagen mit Hilfsgütern über den Grenzübergang Kerem Schalom im dicht besiedelten Küstengebiet an. Israel möchte nach eigenen Angaben eine Grundversorgung gewährleisten und eine Hungersnot im weitgehend zerstörten Gazastreifen verhindern, wo es mehr als zwei Millionen Palästinensern seit über anderthalb Jahren an fast allem mangelt.
Aus Sicht der UN und Hilfsorganisationen sind diese Lieferungen aber bei weitem nicht ausreichend. UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher sagte, die Genehmigung einer Wiederaufnahme von «begrenzten» Hilfen durch Israel sei zwar eine «willkommene Entwicklung», die weitergehen müsse. «Aber dies ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zu dem, was dringend benötigt wird.»
Laut den Vereinten Nationen erhielten am Montag insgesamt neun Lastwagen die Genehmigung der israelischen Behörden, nach Gaza zu fahren. Da die Cogat-Behörde von fünf Lastwagen sprach, war zunächst unklar, warum die anderen von den UN genannten Lastwagen nicht nach Gaza gelangten.
Bundesregierung appelliert an Israel
Vor Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober 2023 hatten rund 500 Lastwagen täglich Waren in das Küstengebiet transportiert. UN-Sprecher Stéphane Dujarric betonte denn auch, dass die Hilfslieferungen nach wie vor unzureichend seien und Hunderte Lastwagen benötigt würden. «Natürlich sind neun Lastwagen besser als gar keine Lastwagen, aber wir brauchen einen massiven Anstieg der humanitären Hilfe, wir brauchen einen massiven Zustrom von Lebensmitteln, von Speiseöl, von Treibstoff, um diesen Bedarf zu decken.»
In einem gemeinsamen Appell an Israel forderten die Außenminister von Deutschland und rund 20 weiteren Geberländern, deutlich mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu erlauben. «Ermöglichen Sie den Vereinten Nationen und den humanitären Organisationen, unabhängig und unparteiisch zu arbeiten, um Leben zu retten, Leiden zu lindern und die Würde zu wahren», heißt es in dem vom Auswärtigen Amt in Berlin veröffentlichten Schreiben.
Fast dreimonatige Blockade beendet
Seit Anfang März wurden keine Hilfslieferungen mehr in den Gazastreifen gelassen, da die Hamas laut der Regierung Netanjahus die Güter gewinnbringend weiterverkauft, um Terroristen und Waffen zu finanzieren. Am Sonntag kündigte das Büro des israelischen Ministerpräsidenten überraschend an, wieder Hilfslieferungen in das Gebiet zuzulassen.
Laut Medienberichten sollen Hilfsgüter wie Mehl, Babynahrung und Treibstoff vorerst weiterhin mit Unterstützung internationaler Organisationen in den abgeriegelten Küstenstreifen gelangen, bis Ende des Monats ein neuer Verteilungsmechanismus eingeführt wird. Anschließend ist geplant, dass die Güter nur noch von wenigen Standorten im Gazastreifen aus verteilt werden. Die UN haben Bedenken gegenüber diesem geplanten Mechanismus geäußert, da Zivilisten auf dem Weg zu den Verteilungszentren in Gefahr geraten könnten und der Weg für ältere und kranke Menschen unüberwindbare Hindernisse darstellen könnte.
Dutzende Tote in Gaza gemeldet
Die Kämpfe im Gazastreifen setzen sich trotz der neuen israelischen Großoffensive unvermindert fort. Es gibt seit Tagen heftige Luftangriffe, und die palästinensischen Behörden vor Ort melden täglich Dutzende Tote – wobei ihre Angaben unabhängig kaum zu überprüfen sind. Inzwischen sind auch Bodentruppen im Einsatz.
Die Bevölkerung, die bereits unter katastrophalen Bedingungen lebt, wird durch die neue Offensive in noch größere Existenz- und Todesängste gestürzt. Viele Menschen befürchten, erneut vertrieben zu werden. Besonders betroffen von der neuen Offensive sind derzeit unter anderem die Städte Chan Junis und Gaza.