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Migrationsreform – was wird sich an den Grenzen ändern?

Union und SPD haben, wenn es um irreguläre Migration geht, teils unterschiedliche Rechtsauffassungen. Dieser Konflikt dürfte sie auch in einer neuen Koalition begleiten.

Es sei brandgefährlich, gegen den Willen der europäischen Nachbarländer zu handeln, sagte die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken. (Archivbild)
Foto: Michael Kappeler/dpa

Bei ihren Sondierungsgesprächen haben Union und SPD besonders lange um die geplanten Änderungen in der Migrationspolitik gerungen. Die Auswirkungen der getroffenen Vereinbarungen werden unterschiedlich bewertet. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was wird sich an den Grenzen ändern?

Dort ändert sich direkt nichts. Das Sondierungspapier ist bisher nur eine unverbindliche Vereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD. In ihrem gemeinsamen Papier kündigen sie unter anderem umfassendere Zurückweisungen an den Landgrenzen in Absprache mit den Nachbarländern an. Wenn die drei Parteien in ein paar Wochen einen Koalitionsvertrag unterzeichnen, werden konkrete Maßnahmen folgen. Die SPD sieht mehr rechtliche Hürden als die Union, wenn es um die Zurückweisung von Asylsuchenden an den Landgrenzen geht. Daher ist es im Interesse von CDU und CSU, dass zukünftig jemand aus ihren Reihen an der Spitze des Innenministeriums steht, das derzeit von der SPD-Politikerin Nancy Faeser geleitet wird.

Sie hat zwar schrittweise stationäre Kontrollen an allen Landgrenzen angeordnet, was die Zurückweisung von Personen mit Einreisesperre und allen, die kein Asyl beantragen wollen, ermöglicht hat. Aber sie war nicht bereit, weiter zu gehen, unter Verweis auf das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS).

Welche europarechtlichen Hürden gibt es?

Die Koalitionäre in spe haben vereinbart, «in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn» Zurückweisungen vorzunehmen, auch wenn jemand sagt, er wolle in Deutschland Asyl beantragen. Das ist bisher nicht so. Wer «Asyl» sagt, darf die Grenze passieren, wenn kein temporäres Einreiseverbot vorliegt. Im vergangenen Jahr wurden laut Bundesinnenministerium rund 80.000 unerlaubte Einreisen festgestellt. Dabei kam es in etwa 47.000 Fällen zu einer Zurückweisung – etwa wenn jemand gefälschte Dokumente vorlegte oder weil nach einer Abschiebung eine Einreisesperre ausgesprochen worden war. 

Nachdem die Person eingereist ist, wird überprüft, ob ein anderes Land möglicherweise für das Asylverfahren zuständig ist. Wenn das nicht der Fall ist oder die Überstellung aus anderen Gründen fehlschlägt, wird das deutsche Asylverfahren eingeleitet.

Heiko Teggatz, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, hält Zurückweisungen von Asylsuchenden für möglich. Er sagt: «Wir haben mit unseren Nachbarstaaten jeweils bilaterale Rücknahmeabkommen, die Zurückweisungen auch von Asylsuchenden grundsätzlich ermöglichen.» Diese Abkommen seien sogar älter als die EU-Rückführungsrichtlinie. Wenn die Nachbarstaaten dann ebenso agieren würden wie Deutschland, entstünde ein «Dominoeffekt, der durchaus erwünscht wäre». 

Die sogenannten Dublin-Regeln, die festlegen, in welchem europäischen Staat ein Schutzsuchender sein Asylverfahren durchlaufen muss, stehen dem zwar entgegen. Einige Politiker und Juristen verweisen allerdings darauf, dass diese Regeln nicht richtig funktionierten, weshalb man sich daran nicht gebunden fühlen müsse. Italien zum Beispiel, wo viele Bootsflüchtlinge ankommen, nahm zuletzt praktisch keine Menschen mehr nach den Dublin-Regeln zurück. Aus Sicht des österreichischen Innenministeriums würde die formlose Rückweisung von Asylbewerbern ohne Dublin-Verfahren dem EU-Recht widersprechen. Österreich werde keine solchen abgewiesenen Personen an der Grenze übernehmen, hieß es in einer ersten Reaktion aus Wien.

Wie effektiv sind Zurückweisungen?

Ohne den sogenannten Dominoeffekt nicht besonders. «Viele der Zurückgewiesenen tauchen am nächsten Tag oder wenige Tage später wieder an anderer Stelle auf», sagt Andreas Roßkopf, Vorsitzender des Bezirks Bundespolizei/Zoll der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Dänemark weist an seiner Grenze zu Deutschland bereits Asylsuchende zurück. Allerdings gibt es nur relativ wenige Asylbewerber, die versuchen über die Landgrenze von Deutschland nach Dänemark zu gelangen.

Seit Jahren überwacht Dänemark in unterschiedlichem Maße seine Grenzen. Personen, die sich bei den Grenzkontrollen nicht identifizieren können und keine gültige Aufenthaltsgenehmigung besitzen, können von den Beamten zurückgewiesen werden. Im Gegensatz zu Deutschland ist Dänemark nicht an die Asyl- und Integrationsvorgaben der EU gebunden, da es bei seinem EU-Beitritt einen sogenannten Rechtsvorbehalt ausgehandelt hat.

Was ist mit dem Familiennachzug?

Anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte dürfen nach wie vor ihre minderjährigen Kinder, Ehepartner und im Falle unbegleiteter Minderjähriger die Eltern zu sich holen. Und zwar auch dann, wenn die Flüchtlinge nicht selbst für Wohnraum und Unterhalt aufkommen können. Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus – dazu gehören viele Syrer – sollen das vorübergehend gar nicht mehr dürfen. Da die Zahl der Visa für ihre Angehörigen in den vergangenen Jahren ohnehin auf 1.000 pro Jahr begrenzt war, kämen etwa bei einer Aussetzung dieser Regelung für zwei Jahre 24.000 Angehörige weniger über den Familiennachzug nach Deutschland. «Schutzberechtigte werden über lange Zeiträume von ihren Angehörigen getrennt und ihres Rechts auf Familienleben beraubt», kritisiert Pro Asyl.

Was bedeutet die Vereinbarung für die Bundespolizei?

Die Bundespolizei ist aufgrund der festen Kontrollen, die mittlerweile an allen Landesgrenzen stattfinden, bereits stark gefordert. Dies dürfte zunehmen. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat bereits betont, dass die Grenzkontrollen intensiviert werden. Zusätzlich haben die Sondierungspartner vereinbart, dass die Bundespolizei sich auch an Bahnhöfen im Inland um vollziehbar Ausreisepflichtige kümmern soll, um vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam zu ermöglichen und somit Abschiebungen voranzutreiben. Bisher war eine Übergabe an die Landespolizei vorgesehen. Die örtliche Ausländerbehörde würde auch bei dem nun vorgeschlagenen neuen Verfahren eingebunden bleiben, für das zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden müssten.

dpa