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EU ringt um automatisierte Chatkontrolle auf Handys

Botschafter beraten über Gesetzesvorschlag zur Durchsuchung von Nachrichten auf Kinderpornografie. Datenschützer kritisieren Eingriff in Privatsphäre.

Der führende Messengerdienst spricht sich klar gegen die Einführung einer Chatkontrolle in der EU aus. (Symbolbild)
Foto: Fabian Sommer/dpa

Das Ringen um automatisierte Scans von Nachrichten auf den Handys von Verbraucherinnen und Verbrauchern setzt sich in Brüssel fort. Heute Abend treffen sich die Botschafter der EU-Länder erneut in der belgischen Hauptstadt, um über den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zur sogenannten Chatkontrolle gegen Kinderpornografie zu beraten. Das seit drei Jahren diskutierte Vorhaben sieht vor, dass Dienste wie WhatsApp, Signal und Co. Nachrichten und Fotos in Messenger-Apps auf kinderpornografische Inhalte überprüfen sollen.

Zusammenfassung:

Wie funktioniert Chatkontrolle und was würde sie für Nutzer bedeuten? 

Grundlage für die Verhandlungen ist ein Vorschlag der EU-Kommission aus dem Jahr 2022 («Vorschlag über Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern»). Die sogenannte Chatkontrolle würde dem Vorschlag nach technisch vor allem durch automatisierte Scans auf den Endgeräten funktionieren. Experten nennen dieses Verfahren «Client-Side Scanning». Dabei überprüft eine Software auf dem Smartphone oder Computer den Inhalt von Nachrichten, Fotos und Videos direkt, bevor diese verschlüsselt und verschickt werden. Der diskutierte Vorschlag sieht dabei nur vor, Bilder, Videos und URLs zu prüfen – reine Textnachrichten sind ausgenommen. 

Die Informationen werden mit Datenbanken bekannter Missbrauchsmaterialien abgeglichen; für neue, bisher unbekannte Darstellungen sollen Algorithmen und künstliche Intelligenz Muster erkennen. Wenn ein Verdacht entdeckt wird, erfolgt eine automatische Meldung an die zuständigen Behörden. Eine freiwillige Kontrolle dieser Art durch die Dienste gibt es bereits – der Vorschlag plant die Anbieter dazu zu verpflichten.

Falls eine gesetzliche Überprüfung für eine Plattform wie Whatsapp oder Signal angeordnet wird, müssten die Nutzerinnen und Nutzer weiterhin individuell zustimmen. Falls sie dies nicht tun, könnten Funktionen in den Apps und Diensten eingeschränkt werden.

Was sagen die Befürworter? 

Fürsprecher der Kontrollmöglichkeiten betonen, dass es beim Kampf gegen Kinderpornografie um besonders schwerwiegende Kriminalität gehe. Laut EU-Kommission ist «keine allgemeine Überwachung» der Online-Kommunikation vorgesehen, wie ein Sprecher der Kommission mitteilte. Die Bedingungen würden demnach von den Datenschutzbehörden genau überwacht werden.

Die freiwilligen Kontrollen seien für den Schutz der Kinder von großer Bedeutung. «Dank dieses Ansatzes konnten in den letzten Jahren viele große Erfolge bei Ermittlungen erzielt werden», so der Behördensprecher. 

Was sagen die Gegner? 

Kritiker betonen regelmäßig die Risiken der Massenüberwachung. Insbesondere Datenschützer sehen darin einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre.

Der Messenger WhatsApp schließt sich ebenfalls dieser Kritik an, da er in Deutschland von etwa drei Vierteln der Bevölkerung genutzt wird. Eine Sprecherin des Facebook-Konzerns Meta, zu dem auch WhatsApp gehört, sagte dem Portal Netzpolitik.org, dass der Vorschlag trotz gegenteiliger Behauptungen die Privatsphäre, Freiheit und digitale Sicherheit aller gefährde.

Signal hatte sogar angekündigt, sich aus Europa zurückzuziehen, sollte die EU-Verordnung kommen.«Wenn wir vor die Wahl gestellt würden, entweder die Integrität unserer Verschlüsselung und unsere Datenschutzgarantien zu untergraben oder Europa zu verlassen, würden wir leider die Entscheidung treffen, den Markt zu verlassen», sagte Signal-Chefin Meredith Whittaker der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Die Datenschutzexpertin ist Präsidentin der gemeinnützigen Signal-Stiftung in den USA, die Signal entwickelt. 

Wie positioniert sich Deutschland?

In den letzten Wochen wurde spekuliert, ob die Bundesregierung ihre langjährige harte Ablehnung der Einführung der Chatkontrolle aufgegeben hätte. Das Bundesjustizministerium hat dem Vorhaben der EU nun vor den Beratungen eine klare Absage erteilt. «Anlasslose Chatkontrolle muss in einem Rechtsstaat tabu sein», sagte Justizministerin Stefanie Hubig (SPD).

Private Kommunikation dürfe nie unter Generalverdacht stehen und der Staat dürfe Messenger auch nicht dazu zwingen, Nachrichten vor Versendung massenhaft auf verdächtige Inhalte zu scannen. «Solchen Vorschlägen wird Deutschland auf EU-Ebene nicht zustimmen», fügte Hubig hinzu. 

Zuvor hatte sich bereits die Union im Bundestag gegen das Vorhaben gestellt. «Das wäre so, als würde man vorsorglich mal alle Briefe öffnen und schauen, ob da etwas Verbotenes drin ist», sagte Fraktionschef Jens Spahn (CDU) in Berlin mit Blick auf die laufende Debatte auf EU-Ebene. «Das geht nicht, das wird es mit uns nicht geben.»

Wie geht es weiter? 

Es deutet sich an, dass das Thema beim Rat der Innenminister Anfang nächster Woche in die nächste Runde gehen könnte, falls es bei den Beratungen der Botschafter am Abend zu einer Einigung kommt. Es ist jedoch fraglich, ob dies tatsächlich geschieht. Die Position einiger großer Länder, deren Stimmen bei einer Abstimmung besonders wichtig wären, ist unklar.

Im Rat der Mitgliedstaaten müssten schließlich 15 der 27 EU-Staaten zustimmen, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen, um die Verordnung anzunehmen. Wenn Deutschland – wie zu erwarten ist – bekannt gibt, gegen den Vorschlag zu stimmen, könnte das Thema vorerst erneut auf Eis gelegt werden.

Sollte sich eine Mehrheit für den Vorschlag finden, müsste anschließend eine Einigung mit dem Europäischen Parlament erzielt werden. Eine mögliche Chatkontrolle stieß jedoch auf breite Kritik quer durch alle politischen Lager, die den ursprünglichen Vorschlag damals abmildern wollten.

dpa