Kommt der europäische Versuch des «Ruanda-Modells»? Die EU schafft die Grundlage für leichtere Abschiebungen in Drittstaaten, zu denen Betroffene keine Verbindung haben.
EU will Asylbewerber leichter in Drittstaaten abschieben

Die EU legt den Grundstein für eine deutlich strengere Abschiebepolitik. Deutschland und andere EU-Staaten sollen Schutzsuchende künftig auch in Länder deportieren dürfen, zu denen die Betroffenen keine Verbindung haben, wie aus einer Einigung von Vertretern der Mitgliedsländer und des Europaparlaments hervorgeht.
Bisher mussten Asylsuchende eine enge Verbindung zu einem solchen Drittstaat haben, beispielsweise durch Familienangehörige oder einen längeren Aufenthalt. Laut dem Vorschlag der EU-Staaten könnte es in Zukunft ausreichen, wenn ein Abkommen zwischen einem Mitgliedstaat und dem Drittstaat besteht.
Die Bestätigung der Gesetzesänderung steht noch aus und muss sowohl vom EU-Parlament als auch von den EU-Staaten erfolgen. In der Regel handelt es sich um eine Formalität, wenn sich die Unterhändler der Institutionen zuvor auf einen Kompromiss geeinigt haben.
Schutzsuchende können also auch in Länder abgeschoben werden, in denen sie noch nie waren und zu denen sie keine familiäre, kulturelle oder sonstige Bindung haben. Dieses sogenannte Verbindungselement wird optional. Für unbegleitete Minderjährige gibt es jedoch die von den EU-Staaten geforderte Ausnahme. Für sie bleibt ein verbindendes Element zum Land, in das sie abgeschoben werden sollen, eine notwendige Bedingung.
Versucht sich Europa am «Ruanda-Modell»?
Um das sogenannte Ruanda-Modell zu ermöglichen, wird auch die rechtliche Grundlage geschaffen. Großbritannien plante, Asylbewerber nach Ruanda zu bringen, wo sie bleiben sollten, falls ihnen nach der Prüfung ein Schutzstatus gewährt wird.
Der Plan konnte aufgrund von Gerichtsentscheiden nie wirklich umgesetzt werden – die neue Labour-Regierung unter Premierminister Keir Starmer hat schließlich den Asylpakt mit Ruanda aufgehoben. Laut der britischen Innenministerin Yvette Cooper beliefen sich die Kosten des Vorhabens auf über 700 Millionen Pfund (ungefähr 830 Millionen Euro).
Bundesregierung hatte Machbarkeit geprüft
Das deutsche Bundesinnenministerium hatte die verschiedenen Möglichkeiten, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern, geprüft – darunter auch das «Ruanda-Modell». Ein im Mai veröffentlichter Abschlussbericht kam zu dem Ergebnis: rechtlich grundsätzlich möglich, aber in praktischer Hinsicht mit teils erheblichen Schwierigkeiten verbunden.
In einer Mitteilung des Innenministeriums hieß es damals, eine Anwendung von Drittstaatsmodellen auf eine Vielzahl von Asylbewerbern sei «unrealistisch». Dies gelte auch für den Fall, dass das Verbindungselement – wie nun vorgesehen – nicht mehr verpflichtend sei.
Zuvor gab es Kritik an rechter Mehrheit
Am Mittag hat das Europaparlament mit einer rechten Mehrheit den Weg für Verhandlungen freigemacht. Überwiegend stimmten Abgeordnete der Fraktionen rechts der Mitte, einschließlich Abgeordnete der AfD, für das Vorhaben. Dagegen waren vor allem Linke, Grüne und Sozialdemokraten dagegen.
Aus allen drei Lagern kam Kritik – auch am Vorgehen der EVP-Fraktion im Europaparlament, zu der CDU und CSU gehören. Die EVP wolle eine möglichst schnelle und extreme Verschärfung in der Asylpolitik und nehme dafür eine Zusammenarbeit mit «Rechtsextremen, Klimaleugnern und Putin-Lobbyisten» in Kauf, hatte Erik Marquardt, Chef der Grünen im EU-Parlament, kritisiert.
Die EVP behauptet, dass sie nicht aktiv mit Rechtsextremen bei Gesetzesvorhaben zusammenarbeitet. EVP-Chef Manfred Weber (CSU) hatte in der Vergangenheit betont, dass die Brandmauer auch auf europäischer Ebene bestehe.
Die EVP-Abgeordnete und Verhandlerin Lena Düpont lobte die in der Nacht gefundene Einigung. «Sie gibt den Mitgliedstaaten die notwendigen Instrumente an die Hand, um Verfahren effizienter zu gestalten», sagte die CDU-Politikerin. Bedauerlich sei, dass Sozialdemokraten und linke Parteien versucht hätten, die Reformen zu blockieren und sich damit erneut einer sachlichen Auseinandersetzung mit den realen Herausforderungen irregulärer Migration verweigerten.
Asylreform wird noch vor Anwendung geändert
Im vergangenen Jahr wurde bei den Verhandlungen über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) bereits über den Umgang mit dem sogenannten Verbindungselement diskutiert. Die Grünen, die Teil der damals regierenden Ampel-Koalition in Deutschland waren, hatten sich stets gegen eine Streichung ausgesprochen.
Es wurde schließlich festgehalten, dass das Verbindungselement nach einer gewissen Zeit erneut überprüft werden soll, bleibt jedoch vorerst verpflichtend. Noch vor der Anwendung der europäischen Asylreform Mitte nächsten Jahres wird die Notwendigkeit von Abschiebungen in Drittstaaten nun abgeschafft.
Noch keine Einigung bei sicheren Herkunftsstaaten
Neben der sogenannten Drittstaatenlösung haben Vertreter von EU-Staaten und dem Europaparlament auch über eine EU-weit geltende Liste sicherer Herkunftsstaaten verhandelt. Dem Vorschlag zufolge sollen Menschen dadurch schneller nach Marokko, Tunesien oder Ägypten abgeschoben werden können. Zusätzlich sollen das Kosovo, Kolumbien sowie die südasiatischen Staaten Indien und Bangladesch zur Liste hinzugefügt werden.
Es wird erwartet, dass Länder, die EU-Beitrittskandidaten sind, als sicher gelten. Dazu gehören beispielsweise Albanien, Montenegro und die Türkei. Es gab am Abend noch keine Einigung zu diesem Thema.








