Der russische Krieg gegen die Ukraine hat auf Nato- und EU-Gebiet übergegriffen. Die Lage wird gefährlicher. Wie können die westlichen Verbündeten auf die Eskalation reagieren?
Europa ringt um Antwort auf Moskaus Drohnen im Nato-Luftraum
Polen und seine Verbündeten suchen nach einer politischen und militärischen Antwort auf das massive Eindringen russischer Drohnen auf Nato-Gebiet. In Warschau hat der neue Präsident Karol Nawrocki für heute den polnischen Rat für nationale Sicherheit einberufen. Ihm gehören auch der Ministerpräsident, die Minister für Inneres und Äußeres, die Sicherheitsdienste und die Parlamentsführung an.
Die Eskalation zwischen Russland und der Nato in den europäischen Hauptstädten verursachte große Besorgnis. Zum ersten Mal seit mehr als dreieinhalb Jahren des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine drangen in der Nacht zum Mittwoch nicht nur einzelne russische Drohnen in den Luftraum Polens und somit der Nato ein. Laut Ministerpräsident Donald Tusk handelte es sich um mindestens 19 Flugobjekte.
Erstmals schossen Nato-Flugzeuge russische Drohnen ab
Die polnische Luftwaffe und Nato-Kräfte haben zum ersten Mal Drohnen in Polen abgeschossen. Laut dem polnischen Innenministerium wurden bis Mittwochabend die Trümmer von 16 Drohnen gefunden, die weit über das Land verteilt waren und einige Hundert Kilometer von der Ostgrenze entfernt lagen.
Dabei gehen Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und andere Politiker davon aus, dass das Eindringen der Drohnen kein Versehen war, sondern eine gezielte Aktion der Moskauer Führung. Er teile die Einschätzung von Tusk, «dass die Behauptung der russischen Regierung, dies sei sozusagen ein Zufall oder ein Versehen gewesen, nicht glaubhaft ist», sagte Merz in Berlin. Er sehe in dem Vorfall «eine ganz ernsthafte Gefährdung des Friedens in ganz Europa».
Flugabwehr nicht so gut wie erhofft
Merz sprach von einer «neuen Qualität von Angriffen, die wir aus Russland sehen». Die Nato-Luftabwehr habe zwar funktioniert, aber nicht so gut, wie sie hätte funktionieren müssen. «Das wird Diskussionen in der Nato auslösen. Das wird Diskussionen natürlich auch in der Europäischen Union auslösen.»
Welche Konsequenzen daraus gezogen werden sollten, sagte Merz nicht. Er betonte aber: «Wir sind und bleiben verteidigungsbereit, und wir sind und bleiben entschlossen, die Verteidigungsbereitschaft und die Verteidigungsfähigkeit des europäischen Teils der Nato signifikant zu erhöhen.»
Polen sucht Unterstützung
Die polnische Regierung hat die Verbündeten in der NATO gemäß Artikel vier des NATO-Statuts zu Beratungen aufgerufen. Polen bemühte sich in zahlreichen Telefonaten und Konferenzschaltungen um Unterstützungsmobilisierung.
Tusk gab an, dass er mit Merz, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dem britischen Premier Keir Starmer, der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni und dem NATO-Generalsekretär Mark Rutte gesprochen habe. Er sagte, dass Polen konkrete Hilfsangebote zur Luftverteidigung von den Verbündeten erhalten habe, aber er nannte keine Details.
Wladysław Kosiniak-Kamysz, der polnische Verteidigungsminister, bedankte sich bei Schweden, das sofort zugesagt hat, Flugzeuge und Material zur Flugabwehr zu entsenden. Auch die Niederlande haben Hilfe zugesagt.
Staatschef Nawrocki telefonierte mit US-Präsident Donald Trump, wie er auf dem Portal X schrieb. Dies sei Teil der Konsultationen mit den Verbündeten. «Die heutigen Gespräche haben die Einigkeit der Bündnispartner bestätigt.»
Rätselhafte Äußerung Trumps
In der polnischen Staatsführung pflegt der rechtskonservative neue Präsident Nawrocki einen besonders engen Draht zu Trump. Dieser reagierte auf die deutliche Eskalation im Ukraine-Krieg vorerst nur mit einem kryptischen Post auf seinem sozialen Netzwerk Truth Social: «Was ist los mit Russland, dass es mit Drohnen den polnischen Luftraum verletzt? Nun geht’s aber los!»
Selenskyj schlägt gemeinsame Luftverteidigung vor
An einer Schaltkonferenz nahm neben Tusk, Macron, Starmer und Meloni auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teil. «Die Ukraine schlägt vor, den Luftraum koordiniert, durchdacht und gemeinsam zu verteidigen», teilte Selenskyj hinterher mit. «Die Details sind klar: Wie kann man eine Ausweitung des Krieges verhindern, und wie kann man die Eskalationsschritte Russlands stoppen? Die gemeinsamen Kräfte dafür reichen völlig aus.»
Kiew hat seit Beginn des Krieges 2022 regelmäßig darum ersucht, dass die westlichen Partner eine Flugverbotszone über der Ukraine für russische Waffen durchsetzen. Die Nato-Verbündeten haben sich aus Angst vor einer direkten militärischen Konfrontation mit Moskau geweigert, dem zuzustimmen. Eine weniger umfassende Maßnahme wäre es, dass die Verbündeten nur angreifende russische Drohnen und Raketen über der Westukraine abschießen sollen.
Die ukrainische Luftwaffe entdeckte am Mittwochabend erneut Schwärme russischer Drohnen am Himmel. Es deutete sich jedoch ein weniger intensiver Luftangriff an als in der Nacht zuvor.
Moskau will keinen Angriff auf Polen geplant haben
Das polnische Außenministerium hat einen russischen Diplomaten von der Botschaft in Warschau einbestellt, um ihm eine Protestnote zu übergeben. Das russische Verteidigungsministerium in Moskau gab zu, dass es den polnischen Luftraum verletzt hat, betonte jedoch, dass es sich nicht um einen Angriff auf Polen gehandelt habe. Es sei bereit, das Thema mit der polnischen Seite zu diskutieren. Das russische Außenministerium beschuldigte Polen, Mythen zu schaffen, um den Konflikt in der Ukraine zu eskalieren.
Nach Angaben aus Polen stammen viele der russischen Drohnen, die eingedrungen sind, nicht aus der Ukraine, die angegriffen wurde, sondern aus dem mit Moskau verbündeten Belarus. In Belarus beginnt am Freitag das großangelegte russisch-belarussische Militärmanöver Sapad 2025.