Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Europa und Trump: Ausgestreckte Hand und geballte Faust

Kanzler Scholz und andere europäische Staats- und Regierungschefs hatten bei der US-Wahl auf einen Sieg von Kamala Harris gehofft. Wird es für Deutschland und die EU nun richtig ungemütlich?

Scholz hat Trump eine Fortsetzung der verlässlichen Partnerschaft zwischen Deutschland und den USA angeboten.
Foto: Kay Nietfeld/dpa

Die ersten Gratulationen für den künftigen US-Präsidenten Donald Trump aus Europa ließen nicht lange auf sich warten und fielen überraschend freundlich aus. Ganz vorn dabei war der französische Präsident Emmanuel Macron. «Ich bin bereit, zusammenzuarbeiten, wie wir es vier Jahre lang getan haben. Mit Ihren Überzeugungen und mit meinen. Mit Respekt und Ehrgeiz. Für mehr Frieden und Wohlstand», schrieb er an Trump auf X.

Kurz darauf folgte auch der deutsche Bundeskanzler mit Glückwünschen zuerst auf X und dann vor den Kameras im Kanzleramt. Er bot Trump eine Fortsetzung der verlässlichen Partnerschaft zwischen Deutschland und den USA an: «Gemeinsam können wir viel mehr durchsetzen als gegeneinander.»

Die andere Seite der Medaille ist jedoch nur die eine. Europa ist sich sehr bewusst, wie dramatisch Trump die transatlantischen Beziehungen verändern kann. Viele haben das lange Zeit nicht wahrhaben wollen und hofften darauf, dass die Demokratin Kamala Harris die Nachfolgerin von US-Präsident Joe Biden werden würde. Nun sind sie gezwungen, sich auf die zweite Ära Trump mit all ihren Ungewissheiten vorzubereiten. Wie schlimm es mit dem Rückkehrer ins Weiße Haus wird, mag niemand so richtig abschätzen.

Droht mit Trump ein Rückzug der USA aus der Nato?

Es gibt keine konkreten Hinweise darauf. Im Wahlkampf prangerte Trump erneut an, dass ein Teil der europäischen Alliierten die Bündnisziele bei den Verteidigungsausgaben verfehlt und weckte Zweifel daran, ob die USA unter seiner Führung uneingeschränkt zur Beistandsverpflichtung stehen. Frühere Austrittsdrohungen wiederholte er jedoch nicht.

In der Nato wird betont, dass viele europäische Alliierte in den letzten Jahren ihre Verteidigungsausgaben erheblich erhöht haben. Deutschland hat mittlerweile auch die von Trump in seiner ersten Amtszeit vehement geforderten zwei Prozent Anteil der Militärausgaben an der Wirtschaftsleistung erreicht.

Nato-Generalsekretär Mark Rutte ließ nach Trumps Wahlsieg mitteilen: «Durch die Nato haben die USA 31 Freunde und Verbündete, die dazu beitragen, die Interessen der USA zu fördern, die amerikanische Macht zu vervielfachen und die Sicherheit der Amerikaner zu gewährleisten.» Zusammen repräsentierten die Bündnispartner die Hälfte der wirtschaftlichen und militärischen Stärke der Welt. Durch die Zusammenarbeit in der Nato trage man dazu bei, Aggressionen abzuschrecken, die kollektive Sicherheit zu schützen und die Wirtschaft zu unterstützen.

Was ist mit der Unterstützung der Ukraine?

Vor allem für die osteuropäischen Nato-Staaten ist dies die wichtigste Frage. Im Wahlkampf behauptete Trump mehrmals, dass er den russischen Angriffskrieg innerhalb von 24 Stunden beenden könne. In Brüssel besteht die Befürchtung, dass er die Ukraine durch einen Stopp der Militärhilfe zu Verhandlungen mit Russland zwingen könnte. In diesen könnte Kremlchef Wladimir Putin möglicherweise auch auf eine weitere Nato-Osterweiterung verzichten. Für die meisten europäischen Länder wäre ein solches Vorgehen ein ungeheuerlicher und äußerst gefährlicher Tabubruch. Putin könnte seinen Krieg dann als Erfolg verbuchen und zu weiteren Aggressionen verleitet werden.

Sollten die USA ihre Hilfe für die Ukraine einstellen, würde Deutschland als zweitgrößter Waffenlieferant eine entscheidende Rolle spielen. Die Bundesregierung könnte jedoch keinesfalls die entstehende Lücke schließen – selbst wenn sie eine Haushaltsnotlage feststellen und die Schuldenbremse erneut aussetzen würde.

Welche Auswirkungen hat die Wahl auf die Wirtschaftsbeziehungen?

Trump hat während des Wahlkampfs angekündigt, dass er neue Zölle in Höhe von 10 bis 20 Prozent auf Importe in die Vereinigten Staaten einführen möchte – für Produkte aus China sogar in Höhe von 60 Prozent. Sein Ziel ist es, die Produktionsbasis in den USA zu stärken und das bestehende Handelsdefizit zu verringern. Er ist besorgt darüber, dass europäische Unternehmen mehr Waren in die USA verkaufen als amerikanische Unternehmen in der EU. Im Jahr 2023 waren die USA der wichtigste Exportmarkt für Waren aus der EU.

Wie könnte die EU reagieren?

In Brüssel wird die Aussage von Trump über Zölle sehr ernst genommen. Für den Fall seines Wahlsiegs wurden in den letzten Monaten bereits Vorbereitungen für einen neuen großen Handelskonflikt getroffen. Wenn Trump neue Zölle einführt, wird die EU voraussichtlich mit Vergeltungszöllen auf US-Importe reagieren. Im besten Fall wären diese für US-Hersteller so schwerwiegend, dass sie Trump an den Verhandlungstisch zwingen, wo dann eine gemeinsame Lösung gefunden wird. In Brüssel wird mit großer Besorgnis gesehen, dass hohe US-Zölle auf chinesische Waren dazu führen könnten, dass diese auf den europäischen Markt gebracht werden und europäischen Herstellern das Leben schwer machen.

Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, warnte Trump gleich nach dessen Wahl vor Regelbrüchen und Alleingängen. «Die EU wird ihren Kurs im Einklang mit ihrer strategischen Agenda als starker, geeinter, wettbewerbsfähiger und souveräner Partner verfolgen und gleichzeitig das regelbasierte multilaterale System verteidigen», schrieb er zusammen mit Glückwünschen an den Republikaner.

Was für Branchen könnte der Handelskonflikt treffen?

Besonders schwierig könnte es für die deutsche Automobilindustrie und ihre Zulieferer werden. Für Unternehmen wie Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz sind die USA neben China der wichtigste Absatzmarkt außerhalb der EU. Die Einführung von Sonderzöllen könnte erhebliche negative Folgen haben. Auch der Konflikt um von Trump in seiner ersten Amtszeit eingeführte Sonderzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte könnte erneut eskalieren. Dieser wurde durch einen Deal mit dem noch amtierenden Präsidenten Biden entschärft, dessen Laufzeit jedoch im März nächsten Jahres endet.

Auf wen kommt es in der EU jetzt an?

Eigentlich auf die zwei größten Volkswirtschaften der EU, also auf Scholz und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Die beiden telefonierten bereits am Morgen nach der Wahl miteinander, um über die Folgen des Wahlergebnisses zu sprechen. «Man hat vereinbart, sich dazu eng miteinander zu koordinieren», hieß es anschließend von deutscher Seite. In den vergangenen drei Jahren haben die beiden es aber nicht vermocht, eine gemeinsame europapolitische Linie zu finden. 

Die Vorstöße Macrons für mehr europäische Souveränität waren schon bei der früheren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf wenig Interesse gestoßen. Bei Scholz war das bisher nicht anders. Das könnte sich jetzt aber vielleicht ändern. «Die Europäische Union muss eng zusammenstehen und geschlossen handeln», sagte Scholz in seiner ersten Reaktion auf die Trump-Wahl. Darauf wolle er als Kanzler hinarbeiten. Die erste Nagelprobe gibt es in den kommenden beiden Tagen, wenn die Staats- und Regierungschefs der EU in Budapest zusammenkommen. 

Was bedeutet die Wahl für die Krise der Ampel-Regierung? 

Bevor Scholz in Berlin jedoch seine Regierung zusammenhalten muss. Auch darauf könnte die Wahl Trumps Auswirkungen haben. Angesichts der weltweiten Unsicherheit, die Trump auslösen könnte, wäre es nur schwer vermittelbar, wenn sich die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt vorübergehend von der internationalen Bühne abmeldet. Genau das würde passieren, wenn nach einem baldigen Ampel-Aus Anfang nächsten Jahres eine Neuwahl des Bundestags stattfinden würde. In den ersten Monaten einer möglichen Amtszeit Trumps ab dem 20. Januar würde Deutschland dann entweder in der heißen Phase des Wahlkampfs oder in Koalitionsverhandlungen stecken und wäre in dieser Zeit nur bedingt handlungsfähig.

dpa