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Explosionen im Libanon: Israel kündigt neue Kriegsphase an

Nach zwei Explosionswellen mit Dutzenden Toten und Tausenden Verletzten steht der Libanon unter Schock. Wie reagiert die Hisbollah? Der Erzfeind Israel zieht im Norden Kräfte zusammen.

Bei den Explosionen im Libanon wurden Dutzende Menschen getötet und Tausende verletzt.
Foto: Bilal Hussein/AP

Nach den Explosionen elektronischer Kommunikationsgeräte im Libanon mit Dutzenden Toten und Tausenden Verletzten hat Israel ein verschärftes Vorgehen gegen die Hisbollah-Miliz in dem nördlichen Nachbarland signalisiert. Während Israel weiter gegen die mit der Hisbollah verbündete Hamas im Gazastreifen kämpft, kündigte Verteidigungsminister Joav Galant nun eine «neue Phase» des Kriegs an. «Der Schwerpunkt verlagert sich nach Norden», sagte Galant nach Angaben seines Büros. Dort liefert sich Israels Armee seit Beginn des Gaza-Krieges vor fast einem Jahr Gefechte mit der Hisbollah. Es besteht die Sorge, dass ein ausgewachsener Krieg gegen die Miliz bevorstehen könnte.

Der Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah hat für den heutigen Nachmittag eine Rede angekündigt. Aufgrund der äußerst gefährlichen Situation plant der UN-Sicherheitsrat eine Dringlichkeitssitzung. Das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen soll sich laut Diplomatenkreisen am Freitag um 21.00 Uhr MESZ treffen.

UN-Generalsekretär António Guterres sieht die «ernsthafte Gefahr einer dramatischen Eskalation» in Nahost. «Die Logik hinter der Explosion all dieser Geräte besteht natürlich darin, dies als Präventivschlag vor einer größeren Militäroperation zu tun», sagte Guterres bei einer Pressekonferenz in New York.

Mehr als 3.000 Verletzte im Libanon

Während Guterres sprach, traf eine zweite Explosionswelle ein. Laut Behörden wurden am Mittwochnachmittag 20 Menschen getötet und mehr als 450 weitere verletzt. Es wurde berichtet, dass erneut viele Mitglieder der Hisbollah betroffen waren, sagten libanesische Sicherheitskreise.

Schon am Dienstag waren in mehreren Orten im Libanon gleichzeitig Hunderte sogenannte Pager explodiert. Dabei wurden etwa 2.800 Menschen verletzt, mindestens zwölf starben.

Rettungsdienste aus dem Iran, die enge Beziehungen zur Hisbollah im Libanon pflegen, planen, etwa 100 Verletzte auszufliegen. Der Leiter der Roter-Halbmond-Gesellschaft, Pirhussein Koliwand, sagte, dass die meisten Opfer der Explosion Verletzungen an Händen und Augen haben.

Die Hisbollah machte Israel für die Explosionen verantwortlich und schwor Vergeltung. Die israelische Seite äußerte sich selbst nicht zu den beiden Explosionswellen. Technisch derart anspruchsvolle Angriffe entsprechen aber der Handschrift von Israels Geheimdiensten, die mehrfach ähnlich komplexe Attacken durchgeführt haben, um ranghohe Feinde zu töten. Sollte Israels Führung die Explosionen in Auftrag gegeben haben, stellt sich die Frage, was sie damit bezweckte. Ehemalige israelische Militärs sagten dem «Wall Street Journal», das Vorgehen ziele wahrscheinlich darauf ab, die Hisbollah zu zwingen, ihre grenzüberschreitenden Angriffe einzustellen.

Experten: Israel will Hisbollah zum Rückzug zwingen 

«Der Zweck einer solchen Operation war nicht, eine Eskalation herbeizuführen, sondern eine Einigung zu erzielen, die es den Menschen ermöglicht, in ihre Häuser zurückzukehren», sagte Yossi Kuperwasser, ehemaliger Leiter der Forschungsabteilung des israelischen Militärgeheimdienstes, der US-Zeitung. Wegen der fast täglichen militärischen Konfrontationen zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär mussten Zehntausende Bewohner auf beiden Seiten der Landesgrenze ihre Wohnorte verlassen.

Der Angriff im Libanon signalisiere der Hisbollah, dass Israel sich nicht auf den seit Beginn des Gaza-Krieges andauernden Schlagabtausch entlang der nördlichen Landesgrenze beschränken werde, zitierte das «Wall Street Journal» Amos Yadlin, ehemals Leiter des israelischen Militärgeheimdienstes. Die mit dem Iran verbündete Schiiten-Miliz müsse verstehen, dass «Israel die Spielregeln ändern kann», sagte er.

Israel will durch militärischen und diplomatischen Druck erreichen, dass sich die Hisbollah wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht – so wie es eine UN-Resolution vorsieht. Die mit der Hamas verbündete libanesische Miliz will die Angriffe gegen Israel erst bei Erreichen einer Waffenruhe in Gaza einstellen. Beide Islamistenorganisationen gehören zu Irans sogenannter «Achse des Widerstands» – einer Allianz gegen den gemeinsamen Feind Israel. 

Israels Verteidigungsminister: Anfang neuer Kriegsphase

«Wir stehen am Anfang einer neuen Phase des Kriegs – sie erfordert Mut, Entschlossenheit und Durchhaltevermögen unsererseits», sagte der israelische Verteidigungsminister Galant. Bei einem Besuch eines Luftwaffenstützpunkts erinnerte er an das kürzlich festgelegte Kriegsziel der Regierung: die Rückkehr Zehntausender geflüchteter israelischer Bürger in das nördliche Grenzgebiet. Auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bekräftigte dieses Versprechen in einer Videoansprache. «Wir stellen Kräfte, Ressourcen und Energie für den nördlichen Bereich bereit», sagte Galant nach Angaben seines Büros weiter. 

Israels Generalstabschef Herzi Halevi zufolge ist die Armee bereit, alles Nötige zu tun, um die Bedingungen für eine Rückkehr der israelischen Bewohner in ihre Häuser im Norden zu schaffen: «Wir haben noch viele Fähigkeiten, die wir bislang noch nicht eingesetzt haben.» Experten schätzen die Angriffe auf die Kommunikationsgeräte vieler Hisbollah-Mitglieder als herben Schlag für die Schiiten-Miliz ein, der auch ihren Kampfgeist schwächen dürfte. Einige ihrer wichtigsten Kommunikationsmittel sind jetzt gestört oder nicht mehr brauchbar. 

Das «Wall Street Journal» zitierte mit der Angelegenheit vertraute Personen, nach deren Aussagen die Führung der Miliz nicht dazu neige, einen umfassenden Krieg mit Israel auszulösen. Die Hisbollah-Spitze glaube nicht, dass eine israelische Bodeninvasion unmittelbar bevorstehe – erwarte aber, dass es zu weiteren Angriffen mit großer Wirkung kommen werde.

UN-Vollversammlung fordert Rückzug Israels

Mit einer klaren Mehrheit von 124 Stimmen forderte die UN-Vollversammlung den Rückzug Israels aus den besetzten palästinensischen Gebieten innerhalb eines Jahres. 43 Staaten, darunter Deutschland, enthielten sich bei der Abstimmung über eine entsprechende Resolution im größten UN-Gremium mit 193 Mitgliedsstaaten. Israel selbst und die Vereinigten Staaten stimmten zusammen mit zwölf weiteren Ländern gegen den Entwurf, dessen Annahme keine völkerrechtlich bindenden Konsequenzen hat. Einige Staaten enthielten sich der Abstimmung.

Die Resolution zielt darauf ab, ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen zum Nahost-Konflikt durchzusetzen. Im Juli hatte der IGH in Den Haag festgestellt, dass die Besetzung der palästinensischen Gebiete illegal sei und unverzüglich beendet werden müsse. Israel hat dies ignoriert – ein ähnliches Verhalten wird auch im Zusammenhang mit der jetzt verabschiedeten Resolution erwartet.

dpa