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Faeser: Zivile Verteidigung braucht massive Investitionen

Zivilschutz gilt als ein Thema, mit dem man keine Wahlen gewinnen kann. Denn er kostet Geld und macht Angst – weil sich die Menschen gedanklich mit dem Ernstfall auseinandersetzen müssen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (l.) informiert sich am Stand der Feuerwehr Hanau während ihres Besuchs beim «Tag des Bevölkerungsschutzes» in Potsdam.
Foto: Michael Bahlo/dpa

Nicht nur die Bundeswehr muss sich angesichts der veränderten Bedrohungslage in Europa neu ausrichten, sondern Deutschland muss sich laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auch in der zivilen Verteidigung komplett neu positionieren.

«Wir werden weitere erhebliche Investitionen in gute Warnsysteme, in moderne Hubschrauber und weitere Ausstattung vornehmen müssen», sagte die Ministerin der Deutschen Presse-Agentur. Das Gleiche gelte für den effektiven Schutz kritischer Infrastruktur und die Versorgung für Krisenfälle. Konkrete Zahlen nennt sie nicht. Doch Fachleute sagen: «Es geht hier um Milliarden.»

In Zeiten mit schwieriger Haushaltslage kommt ein Satz nicht gut an, wobei ein Teil der Ausgaben in der Verantwortung der Länder liegt, da etwa die Trinkwassernotversorgung nicht nur für den Zivilschutz benötigt wird, sondern auch bei Krisen und Katastrophen, die keine militärische Ursache haben.

Die russische Aggression in der Ukraine habe zu einer völlig veränderten Sicherheitslage geführt, betont Faeser, «zuallererst bei unseren östlichen EU- und Nato-Partnern wie im Baltikum, aber auch durch hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe, Spionage und Desinformation bei uns». Das bedeute: «Wir müssen neben der militärischen Abschreckung und Verteidigung daher zwingend auch den Zivilschutz stärken.» Ihr Ministerium und die ihm unterstellten Behörden arbeiteten deshalb gemeinsam mit dem Bundesverteidigungsministerium intensiv an einem Operationsplan zur militärischen und zivilen Verteidigung.

Neuer Operationsplan bleibt geheim

In die Arbeit am sogenannten OPLAN, der als geheim eingestuft ist und seit einigen Wochen in einer ersten Fassung im Verteidigungsministerium vorliegt, sind auch das Gesundheitsministerium und das Verkehrsressort eingebunden. Fragen zur Bevorratung von Medikamenten und Sanitätsmaterial sowie zu den Auswirkungen von Truppentransporten auf den zivilen Verkehr sollen im Voraus geklärt werden, um im Spannungs- und Verteidigungsfall einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Die Apotheken großer Krankenhäuser sind in das System eingebunden, damit die Vorräte der Gesundheitsreserve nicht nach Ablauf der Haltbarkeit entsorgt werden müssen.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das Technische Hilfswerk (THW) und die Hilfsorganisationen überprüfen derzeit die jeweiligen Leistungsanforderungen, die sich aus dem OPLAN ergeben würden, sagte BBK-Präsident Ralph Tiesler auf Anfrage. Beispiele für solche Anforderungen sind beispielsweise die Versorgung von Verbündeten mit Treibstoff und Verpflegung sowie die Unterbringung von verbündeten Militärangehörigen während des Transports durch Deutschland.

Soldaten und Polizei würden Infrastruktur schützen

Die Bundeswehr plant, bis 2027 sechs Heimatschutzregimenter mit etwa 6000 Männern und Frauen aufzustellen. Diese Einheiten können im Frieden bei Amts- und Katastrophenhilfe sowie bei schweren Unglücksfällen, Terrorlagen und Pandemien eingesetzt werden. Im Spannungs- und Verteidigungsfall oder auch schon bei krisenhaften Entwicklungen sichern und schützen die Heimatschutzkräfte Häfen, Bahnanlagen, Güterumschlagplätze, Pipelines, Straßen für den Truppenaufmarsch, Brücken, Verkehrsknotenpunkte und digitale Infrastruktur gemeinsam mit der Polizei.

Die Bundeswehr leistet häufig Hilfe bei Naturkatastrophen, großen Waldbränden oder in Notfällen wie der Corona-Pandemie, um Schlimmeres zu verhindern. Im Verteidigungsfall ist sie jedoch nicht verfügbar, um solche Unterstützung zu leisten, da sie ihren primären Auftrag, die Landes- und Bündnisverteidigung, erfüllen muss. In solchen Fällen sollten stattdessen zivile Kräfte die Streitkräfte entlasten, beispielsweise beim Transport oder bei der medizinischen Versorgung von Verletzten.

Im Verteidigungsfall fallen vier Hauptaufgaben auf die zivile Seite: die Aufrechterhaltung von Staats- und Regierungsfunktionen, der Schutz der Zivilbevölkerung vor kriegsbedingten Schäden und deren Folgen, die Versorgung der Bevölkerung und die Unterstützung der Streitkräfte.

Doch ist die deutsche Bevölkerung nach Jahrzehnten des Friedens auf einen solchen Fall, der nach Schätzung von Experten womöglich gegen Ende dieses Jahrzehnt eintreten könnte, vorbereitet? BBK-Präsident Tiesler meint: «Das Bewusstsein der Bevölkerung für mögliche Risiken ist in den letzten Jahren durch die Vielzahl von Ereignissen wie die Pandemie oder Hochwasser in Deutschland sowie den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestiegen.» Das lasse sich beispielsweise an der gestiegenen Zahl von Anfragen beim Bundesamt ablesen. Um eine belastbare Faktenlage zur Frage der Risikowahrnehmung in Sachen Zivilschutz zu erhalten, plane das BBK aktuell eine mehrstufige Erhebung.

Warum ist das wichtig? Tiesler ist überzeugt: «Eine weit verbreitete Selbstschutz- und Selbsthilfefähigkeit in der Bevölkerung trägt essenziell zur Resilienz der gesamten Gesellschaft bei.» Faeser findet, Bevölkerungsschutz sollte auch bundesweit Thema an Schulen sein. Sie sagt: «Es gilt, Wissen zu vermitteln, ohne Angst zu machen.»

Und was ist mit den erforderlichen Einrichtungen und Geräten? Das BBK hat Allrad-Fahrzeuge erworben. Neue Hubschrauber, mit denen mehrere Verletzte transportiert werden können, sollen hinzukommen. Gemäß dem Wassersicherstellungsgesetz hat das Bundesinnenministerium im letzten Jahr eigenen Angaben zufolge drei Millionen Euro für Notbrunnen, Pumpen und andere Maßnahmen zur Sicherstellung der Wasserversorgung ausgegeben. Seit 2021 wird der Ausbau der kommunalen Sirenen-Netze vom Bund unterstützt.

Keine Bunker vorhanden

Ein Schwachpunkt sind die Schutzräume. Anders als etwa in Finnland gibt es in Deutschland nicht für jeden einen Platz in einem Bunker. Selbst da, wo es Schächte oder Keller gibt, die als Schutzraum dienen könnten, wissen die Anwohner in der Regel nicht, wohin sie sich wenden müssten. «Aktuell arbeiten Bundesinnenministerium und BBK zusammen mit anderen Institutionen an einem neuen Schutzbau-Konzept», sagt BBK-Chef Tiesler. Dort, wo künftig öffentliche Schutzräume gegebenenfalls wieder zur Verfügung stehen könnten, würden dann auch entsprechende Hinweise für die Bevölkerung erfolgen, auch über Notfall-Apps.

dpa