Die Juristin Brosius-Gersdorf war von der SPD als Verfassungsrichterin nominiert – nun hat sie ihre Kandidatur zurückgezogen. In der Koalition ist Vertrauen verloren gegangen.
Fall Brosius-Gersdorf: SPD mahnt Union zur Verlässlichkeit
Die Sozialdemokraten erwarten nach dem Rückzug der von der SPD nominierten Verfassungsrichterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf mehr Verlässlichkeit und Loyalität von ihren Koalitionspartnern CDU und CSU.
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) sagte der Deutschen Presse-Agentur, «Kampagnen» dürften nicht dazu führen, dass man talentierte und qualifizierte Bewerber – und vor allem Bewerberinnen – verliere. «Wir müssen daraus lernen – alle gemeinsam. Es geht um eine bessere Diskussionskultur und darum, solchen Angriffen auf die Demokratie künftig besser standzuhalten.»
Die Wahl der Potsdamer Juraprofessorin Brosius-Gersdorf und zwei weiteren Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht war im Juli im Bundestag kurzfristig abgesetzt worden, weil der Widerstand in der Unionsfraktion gegen die SPD-Kandidatin zu groß geworden war. Die Fraktionsspitze konnte die dem Koalitionspartner SPD zugesagte Unterstützung nicht garantieren. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch schrieb in einem Brief an seine Abgeordneten, CDU und CSU müssten sich nun zu den Spielregeln des Regierens bekennen. «Nur wenn Zusagen Bestand haben, sind tragfähige Kompromisse möglich. Nur dann können wir Vertrauen zurückgewinnen und politische Handlungsfähigkeit sichern.»
Die Unionsspitze habe zunächst wiederholt ihre Zustimmung zu Brosius-Gersdorf signalisiert. «Dass sich zentrale Teile der CDU/CSU-Fraktion am Ende davon distanziert haben, erschüttert nicht nur Vertrauen, sondern stellt das Fundament infrage, auf dem demokratische Zusammenarbeit überhaupt möglich ist.» Weiter schrieb Miersch: «Vielleicht fragen sich einige von Euch, wie belastbar diese Koalition überhaupt noch ist, wenn sich der andere Partner nicht an Absprachen hält. In dem Zustand, in dem sich die Unionsfraktion bei der Richterwahl präsentiert hat, ist diese Frage berechtigt.»
Bundesregierung «zum Gelingen verdammt»
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und Vizechef der Bundes-SPD, Alexander Schweitzer, rief zu besserer Zusammenarbeit in der Koalition auf. «Diese Bundesregierung ist zum Gelingen verdammt», sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). «Ich kann nur hoffen, dass dies alle vor Augen haben, allen voran Bundeskanzler Friedrich Merz.»
Brosius-Gersdorf, die vor allem in der Union umstritten war, gab am Donnerstag bekannt, dass sie nicht mehr als Richterin am Bundesverfassungsgericht kandidieren werde. Aus der CDU/CSU-Fraktion wurde ihr deutlich signalisiert, dass ihre Wahl ausgeschlossen sei, wie es in einem Schreiben einer Bonner Kanzlei hieß. Die 54-jährige Staatsrechtlerin kritisierte zudem Teile der Medien, obwohl die Berichterstattung sachlicher geworden sei.
Unter anderem wurden Äußerungen zum Schwangerschaftsabbruch und zur möglichen Impfpflicht in Corona-Zeiten als Gründe genannt. Kurz vor der geplanten Wahl äußerte sich auch der Plagiatssucher Stefan Weber mit Fragen zur Dissertation der Staatsrechtlerin. Brosius-Gersdorf hatte zunächst an ihrer Nominierung festgehalten.
Linke fordert Mitsprache
Linken-Chefin Ines Schwerdtner sagte dem Portal t-online, die Vorgänge um Brosius-Gersdorf seien ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Unionsfraktionschef Jens Spahn habe seine Fraktion nicht im Griff, und die Sozialdemokraten hätten «die Durchsetzungskraft eines schlafenden Kaninchens». So werde eine Regierung keine vier Jahre durchhalten können. Bei künftigen Richterwahlen im Bundestag fordert Schwerdtner ein Vorschlagsrecht und einen Platz am Tisch für ihre Partei.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner sagte dem RND zum Rückzug von Brosius-Gersdorf: «Der Tag wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem der rechte Mob erstmals einen Triumph gefeiert hat. Die demokratischen Parteien haben sich demgegenüber als wehrlos erwiesen.» Die Union müsse endlich verstehen, welchen Dammbruch sie ermöglicht habe.
«Beigetragen hat dazu eine Mischung aus Böswilligkeit, Fahrlässigkeit und Schlafwandlerei», sagte Stegner. «Eine Wiederholung eines solchen Vorgangs muss ausgeschlossen werden. Merz und Spahn müssen öffentlich deutlich signalisieren, dass sie begriffen haben, was da auf dem Spiel steht.»
Der Abzug von Brosius-Gersdorf könnte die Blockade bei der Richterwahl lösen, aber gleichzeitig stellt er die Koalition vor ein neues (altes) Problem: im Bundestag die erforderliche Zweidrittelmehrheit für die Wahl ihrer Kandidaten zu finden.
Bei der bereits im Juli geplatzten Wahl hätte die CDU/CSU möglicherweise auf die Stimmen der AfD angewiesen sein können. Dies möchten sowohl die Union als auch die anderen Fraktionen vermeiden. Jedoch hat die Unionsfraktion Gespräche mit der Linken abgelehnt, deren Stimmen dann erforderlich wären.