Jetzt geht es ums Ganze: In den letzten Stunden vor der US-Wahl buhlen Harris und Trump noch einmal um Wähler in den wohl entscheidenden Staaten – mit ganz unterschiedlichem Ansatz.
Finale im US-Wahlkampf: Alle Kraft in die «Swing States»
Wahlkampf auf der Zielgeraden: Am Tag vor der US-Wahl werben die Demokratin Kamala Harris und der Republikaner Donald Trump in den wahrscheinlich entscheidenden Bundesstaaten um Stimmen. Ihre Strategie könnte dabei unterschiedlicher nicht sein: Trump beschwört schon seit Tagen mit düsterer Rhetorik in langen Reden das Bild einer Nation im Niedergang. Harris dagegen fasst sich kurz, spricht gezielt Wählergruppen wie die GenZ, also die Unter-30-Jährigen, Latinos oder Menschen mit arabischem Hintergrund an. Sie gibt eine simple Parole aus: «Wenn wir kämpfen, gewinnen wir».
Den Tag vor der Wahl verbringt Vizepräsidentin Harris (60) komplett im «Swing State» Pennsylvania, der zu den wenigen besonders umkämpften Bundesstaaten gehört, die mal die eine, mal die andere Partei bevorzugen. Umfragen deuten dort auf ein sehr knappes Rennen hin. Ein Gesamtsieg ohne Pennsylvania ist für beide Kandidaten schwer erreichbar. Bei der Wahl 2016 konnte sich Trump dort sehr knapp durchsetzen; vier Jahre später triumphierte Joe Biden mit einem hauchdünnen Vorsprung.
Harris plant große Kundgebungen am Abend (Ortszeit) in Pittsburgh und Philadelphia, bei denen sie unter anderem von Stars wie Lady Gaga, Katy Perry und US-Talkmasterin Oprah Winfrey unterstützt wird.
Auch der ehemalige Präsident Trump (78) ist in Philadelphia unterwegs, ebenso wie im umkämpften Bundesstaat North Carolina. Sein Finale plant er jedoch in Grand Rapids, Michigan, abzuhalten. In dem industriell geprägten Bundesstaat, der im Norden an den Großen Seen («Great Lakes») liegt, leben viele amerikanische Staatsbürger arabischer Abstammung, die die Unterstützung des Weißen Hauses für Israel kritisch sehen.
Millionen haben Stimme schon abgegeben
Rund 78 Millionen Wähler haben nach Angaben des «Election Lab» der Universität Florida bereits vorzeitig ihre Stimme abgegeben. Die Zahl entspricht fast der Hälfte der rund 158 Millionen Stimmen, die im Jahr 2020 bei der Präsidentschaftswahl abgegeben wurden. Anders als damals stimmten laut Uni Florida diesmal auch viele Wähler vorzeitig ab, die als Republikaner registriert sind.
In den USA gibt es verschiedene Möglichkeiten zu wählen: frühzeitige Abstimmung an bestimmten Orten, per Briefwahl oder am 5. November direkt im Wahllokal. Jeder Bundesstaat hat seine eigenen Regeln für Fristen und Identitätsnachweise. Auch die Technologie variiert – von klassischen handschriftlichen Stimmzetteln bis zu Wahlcomputern.
Trump schürt Ängste vor Wahlbetrug
Trump säte bereits vor dem Wahltag vorsorglich Zweifel an einer möglichen Wahlniederlage und erhob unbelegte Betrugsvorwürfe. Bei einem Wahlkampfauftritt nannte er die Demokraten eine «dämonische Partei» und unterstellte ihnen länglich, bei der Präsidentschaftswahl zu betrügen. Dem Sender ABC News sagte er, dass er davon ausgehe, dass der Sieger des Rennens ums Weiße Haus noch in der Wahlnacht feststehen werde.
Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass der ehemalige Präsident so kurz vor dem Wahltag so ausführlich Ängste vor Wahlbetrug schürt, und erinnert an sein Vorgehen vor vier Jahren. In der Wahlnacht erklärte sich Trump 2020 noch zum Sieger und forderte einen Stopp der Stimmauszählung, als er vorübergehend vor seinem Herausforderer Joe Biden lag. Bis heute erkennt er seine Wahlniederlage nicht an.
In den USA wird befürchtet, dass Trump diese Strategie nun wiederholen könnte. Am Wochenende bedauerte er auch öffentlich, das Weiße Haus verlassen zu haben. «Wir hatten die sicherste Grenze in der Geschichte unseres Landes, an dem Tag, an dem ich ging. Ich hätte nicht gehen sollen», sagte Trump.
Es wird angenommen, dass das Ergebnis der Wahl nicht unmittelbar nach Schließung der Wahllokale innerhalb weniger Stunden bekannt sein wird. Insbesondere die Briefwahlstimmen führen zu Verzögerungen bei der Auszählung in einigen Bundesstaaten. Daher könnte das Ergebnis erst im Verlauf der Woche feststehen.
Harris bekommt Unterstützung von Obama
Im Endspurt machte sich auch Ex-Präsident Barack Obama nochmal für Harris stark. «Sie sind vielleicht nicht mit jeder Entscheidung einverstanden, die sie trifft», sagte er über die US-Vize. Aber sie werde sich für die Menschen im Land einsetzen. Über Trump spottete der 63-Jährige: Dieser wisse nicht einmal, wie man einen platten Reifen wechsele. «Donald Trump hat 400 Millionen Dollar von seinem Daddy bekommen. So ist er reich geworden.» Dennoch habe er mehrfach Konkurs anmelden müssen, so Obama über seinen Nachfolger im Weißen Haus.
Obama sprach auch direkt schwarze Wählerinnen und Wähler an und Menschen mit Wurzeln in Lateinamerika. «Warum glauben Sie, dass die Antwort darin besteht, für jemanden zu stimmen, der eine lange Geschichte der Erniedrigung und Missachtung Ihrer Gemeinschaften hat?», fragte er.
Die magische Zahl 270
Der US-Präsident wird nicht direkt vom Volk gewählt. Die Wählerstimmen bestimmen die Zusammensetzung des Wahlkollegiums, das den Präsidenten im Dezember im Namen des amerikanischen Volkes wählt. Jeder Bundesstaat hat eine bestimmte Anzahl von Stimmen, die ungefähr der Bevölkerungszahl entspricht. Pennsylvania hat beispielsweise 19 Stimmen zu vergeben.
Bei der Wahl gilt meist das Prinzip «the winner takes it all»: Der Kandidat, der einen Staat gewinnt, erhält dort alle Wahlleute. Für einen Sieg braucht ein Kandidat nicht die höchste absolute Stimmenzahl, sondern die Mehrheit der 538 Wahlleute – also mindestens 270.