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Flüchtlingsgipfel: Bund und Länder in harten Verhandlungen

Die Regierungschefs der Länder sind sich über Parteigrenzen hinweg einig: Der Bund soll auf Dauer mehr Geld für die Unterbringung von Flüchtlingen geben. Eine einmalige Erhöhung ist ihnen nicht genug.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei Beginn des Bund-Länder-Gipfels im Bundeskanzleramt.
Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen haben die Regierungschefs der Länder bei einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ihre Forderung nach einer dauerhaften zusätzlichen finanziellen Unterstützung durch den Bund bekräftigt.

Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen wurde am Mittwoch im Kanzleramt bis zum Abend in unterschiedlich besetzen Runden verhandelt. Zwischenzeitlich berieten beide Seiten getrennt voneinander. Ein konkretes finanzielles Angebot habe der Bund zunächst noch nicht vorgelegt, hieß es von Teilnehmern. Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten hatten schon vor Beginn des Flüchtlingsgipfels klar gemacht, sie wollten mehr als eine Einmalzahlung.

Der Bund verwies seinerseits auf bereits geleistete Beiträge in Milliardenhöhe. Die Länder fordern jedoch ein System, bei dem die Zahlungen des Bundes automatisch steigen, wenn mehr Menschen ins Land kommen, die versorgt werden müssen. Teilergebnisse, die keinen Einstieg in dauerhafte Finanzierungszusagen bedeuten würden, wären «kein Ergebnis» der Bund-Länder-Runde zur Flüchtlingspolitik, sagte der Vizevorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU).

Vier-Säulen-Modell und Pro-Kopf-Pauschale

Die Länder wollen an einem – bis 2021 aus ihrer Sicht bewährten – Vier-Säulen-Modell festhalten, zu dem vor allem die vollständige Erstattung der Kosten für Unterkunft und Heizung für Geflüchtete zählt. Außerdem pochen die Länder auf Zahlung einer monatlichen Pro-Kopf-Pauschale nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und eine Beteiligung des Bundes an den Kosten für Integration sowie für unbegleitete Flüchtlinge.

Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Dürr, kritisierte die Haltung der Länderchefs. Er sagte am Abend: «Mehr Geld ist nicht die Lösung, sondern mit vorhandenem Geld muss eine andere Politik gemacht werden.» Deutschland habe es «denen in der Vergangenheit zu leicht gemacht, die keine Perspektive in Deutschland haben und insbesondere denjenigen zu schwer gemacht, die sich hier gut integrieren und bei uns arbeiten wollen». Bei der Versorgung von Asylbewerbern sollte stärker auf Sachleistungen gesetzt werden, denn die Auszahlung von Geld sei «ein Magnet, den wir nicht brauchen können».

Die Ministerpräsidenten wollten sich im Zweifel eher vertagen, als sich nur auf eine Einmalzahlung einzulassen. «Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder werden bis spätestens November 2023 erneut zusammenkommen, um über die konkrete Umsetzung dieses Modells abschließend zu beraten», hieß es in einem gemeinsamen Papier der Länderchefs.

«Es darf hier kein dauerhaftes Feilschen geben»

Für das laufende Jahr enthält ihr Beschluss die Forderung, die Flüchtlingspauschale um eine Milliarde Euro zu erhöhen, «damit die Länder dabei unterstützt werden, ihre Kommunen zusätzlich zu entlasten und die Digitalisierung der Ausländerbehörden zu finanzieren». Das solle aber nur Teil einer nachhaltigen Lösung sein. «Es darf hier kein dauerhaftes Feilschen geben bei diesen sensiblen Themen», mahnte Wüst.

Wichtigste Forderung für die Kommunen und ein Knackpunkt bei den Verhandlungen ist, dass der Bund die Kosten für die Unterbringung der Flüchtlinge übernimmt. Laut Angaben der kommunalen Spitzenverbände klafft bei ihnen jährlich eine Lücke von über 2 Milliarden Euro allein bei diesem Posten, seit dies nicht mehr voll erstattet wird – in diesem Jahr 2,5 Milliarden Euro.

Konsens zwischen dem Kanzler und den Regierungschefs der Länder sei, dass über die Finanzierungsfragen hinaus grundsätzliche Entscheidungen auf europäischer Ebene anzugehen seien, heißt es im Papier der Ministerpräsidenten weiter. Vorrangig gehe es um die Wahrung der humanitären und rechtlichen Verpflichtungen, die möglichst frühzeitige Erfassung von Zahl und Status der nach Deutschland kommenden Migranten, eine Beschleunigung der Verfahren und Verwaltungsprozesse im Inland, eine angemessene Unterbringung, Betreuung und Integration der Geflüchteten. Insbesondere Straftäter sollten konsequent abgeschoben werden.

«Kanzler muss das Thema jetzt zur Chefsache machen»

In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 101.981 Asylerstanträge entgegengenommen. Das ist eine Zunahme der Antragszahlen um rund 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Hauptherkunftsländer waren seit Jahresbeginn Syrien, Afghanistan und die Türkei. Untergebracht werden müssen außerdem mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die keinen Asylantrag stellen müssen.

Wüst forderte vor dem Treffen Führung von Scholz ein. «Der Kanzler muss das Thema jetzt zur Chefsache machen, Verantwortung übernehmen und Führung zeigen», sagte er. Es müsse eine dauerhafte faire und verlässliche Finanzierung der Kosten und auch eine bessere Steuerung der Migration geben. Weil der Bund über die Steuerung des Zuzugs entscheide, müsse er auch die finanzielle Verantwortung für die Folgen tragen.

dpa