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Israelische Armee dringt in Rafah vor,UN warnt vor humanitärer Katastrophe

Ein massiver Bodenangriff in Rafah hätte epische Auswirkungen und bedroht die Hilfe für die Bevölkerung.

Humanitäre Helfer berichten von verheerenden Zuständen in Rafah im Süden des Gazastreifens.
Foto: Omar Ashtawy/APA Images via ZUMA Press Wire/dpa

Während die Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg und die Freilassung von Geiseln erneut in eine Sackgasse geraten sind, stößt das israelische Militär tiefer in die Außenbezirke von Rafah im Süden des Küstengebiets vor. «Die Situation in Rafah steht auf Messers Schneide», sagte UN-Generalsekretär António Guterres.

«Ein massiver Bodenangriff in Rafah würde zu einer humanitären Katastrophe epischen Ausmaßes führen und unsere Bemühungen zur Unterstützung der Menschen angesichts der drohenden Hungersnot zunichtemachen.» In einem erneuten Eilantrag an den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag forderte Südafrika, das Gericht müsse Israel zu weiteren Schritten bewegen, um einen Völkermord an den Palästinensern zu verhindern. Israels Armee müsse sich sofort aus Rafah zurückziehen.

Frankreich fordert Ende des Militäreinsatzes in Rafah

Israel plant, die letzten Bataillone der islamistischen Hamas in Rafah zu besiegen. Die USA, Israels wichtigster Verbündeter, warnen die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu jedoch eindringlich vor einer Großoffensive in der Stadt und drohen sogar mit der Einschränkung von Waffenlieferungen. Frankreich fordert Israel auf, den Einsatz in Rafah sofort zu beenden. Das Pariser Außenministerium warnt vor einer katastrophalen Situation für die Zivilbevölkerung in der überfüllten Stadt mit Flüchtlingen.

Weite Teile der Weltgemeinschaft hatten den Palästinensern kurz zuvor den Rücken gestärkt. Eine von der UN-Vollversammlung in New York mit großer Mehrheit angenommene Resolution erlaubt dem Beobachterstaat Palästina eine aktive Teilnahme an den Sitzungen des Gremiums, gibt ihm aber kein reguläres Stimmrecht. Israels UN-Botschafter Gilad Erdan warf der Vollversammlung vor der Abstimmung mit harschen Worten vor, «die Errichtung eines palästinensischen Terrorstaates» voranzutreiben.

USA: Israel hat möglicherweise Völkerrecht verletzt

Die US-Regierung glaubt, dass Israel möglicherweise mit von den USA gelieferten Waffen im Gazastreifen gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen hat. Laut einem Bericht des US-Außenministeriums, der verspätet an den US-Kongress übermittelt wurde, ist es aufgrund der Situation in Gaza schwierig, einzelne Vorfälle zu bewerten oder abschließende Feststellungen zu treffen.

«Es gibt jedoch genügend gemeldete Vorfälle, die Anlass zu ernsthaften Bedenken geben.» Israelische Beamte hätten hingegen versichert, Israel halte das humanitäre Völkerrecht ein. Der TV-Sender CNN hatte zuvor unter Berufung auf einen US-Regierungsvertreter berichtet, im US-Außenministerium herrsche Uneinigkeit darüber, ob Israels Zusagen als «glaubwürdig und zuverlässig» akzeptiert werden sollten.

Hisbollah beschießt nordisraelische Stadt

In der Zwischenzeit wurde die nordisraelische Stadt Kiriat Schmona schwer von Artilleriefeuer aus dem südlichen Libanon getroffen. Die israelische Armee gab bekannt, dass von etwa 35 Raketen 15 abgefangen wurden. Die übrigen Geschosse trafen die Stadt oder landeten auf offenem Gelände, wodurch Gebäude und Fahrzeuge beschädigt wurden.

Es gab keine Verletzungen bei den Menschen. Einige Raketen haben Busch- und Waldbrände verursacht, als sie explodierten. Die Hisbollah, eine libanesische schiitische Miliz, hat die Angriffe für sich beansprucht. Das israelische Militär reagierte eigenen Angaben zufolge mit Artillerie- und Luftangriffen. Die Informationen konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

Verheerende Zustände in Rafah

Humanitäre Helfer berichten von katastrophalen Zuständen in Rafah im Süden des Gazastreifens. Krankenhäuser müssten ihren Betrieb innerhalb von 24 Stunden einstellen, falls nicht dringend benötigter Treibstoff geliefert werde. Laut UN-Chef Guterres sind die Hälfte der über eine Million Palästinenser, die in der Grenzstadt Schutz suchen, Kinder. Der Grenzübergang in Rafah nach Ägypten, über den bisher auch Hilfslieferungen in den Küstenstreifen gelangten, bleibt weiterhin geschlossen, nachdem die israelische Armee am Dienstag die Kontrolle auf der palästinensischen Seite übernommen hat.

Die Hamas griff derweil nach eigenen Angaben zum wiederholten Male den Grenzübergang Kerem Schalom an. Israel warf der Islamistenorganisation vor, verhindern zu wollen, dass Hilfslieferungen nach Gaza gelangen. Der Grenzübergang war erst am Mittwoch nach mehrtägiger Schließung wieder geöffnet worden. Ein Teil der Treibstofflieferungen sei zwar von dort aus erfolgt, seit Sonntag würden nach UN-Darstellung jedoch keine Lebensmittellieferungen mehr zugelassen, berichtete die Zeitung «New York Times». 

Ein Grund dafür sei, dass Ägypten sich weigere, Lastwagen vom geschlossenen Rafah-Übergang nach Kerem Schalom weiterfahren zu lassen, zitierte die Zeitung amerikanische und israelische Beamte. Sie glaubten demnach, dass Ägypten versuche, Israel unter Druck zu setzen, damit es seine Truppen aus Rafah abzieht.

USA: Verhandlungen in Sackgasse

Israel solle den Verhandlungsfaden wieder aufnehmen, dies sei der einzige Weg zu einer sofortigen Freilassung der Geiseln und zu einer dauerhaften Waffenruhe, erklärte unterdessen das französische Außenministerium. Dass die jüngste Verhandlungsrunde in Kairo ergebnislos verlief, sei «zutiefst bedauerlich», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby. Die Gespräche steckten in einer Sackgasse. Man bemühe sich aber, beide Seiten dazu zu bewegen, die Diskussionen fortzusetzen. «Wir glauben immer noch, dass eine Einigung möglich ist», sagte Kirby. 

Das «Wall Street Journal» zitierte ägyptische Beamte, wonach die Unterhändler die Gespräche Anfang nächster Woche in Kairo oder in Katars Hauptstadt Doha wieder aufnehmen wollen. Die Hamas warf der israelischen Führung vor, die Verhandlungen als «Feigenblatt» zu nutzen, «um Rafah und die Grenzübergänge anzugreifen und um ihren Auslöschungskrieg gegen unser Volk fortzusetzen». 

Bericht: Hamas-Militäranführer nicht in Rafah

Der militärische Anführer der Hamas in Gaza, Jihia al-Sinwar, hält sich einem israelischen Medienbericht zufolge entgegen bisheriger Vermutungen nicht in Rafah versteckt. Zwei israelische Beamte konnten der «Times of Israel» zwar nicht mit Sicherheit sagen, wo sich Sinwar derzeit aufhält.

Gemäß den neuesten nachrichtendienstlichen Einschätzungen wird vermutet, dass er sich in unterirdischen Tunneln in der Region von Chan Junis, etwa acht Kilometer nördlich von Rafah, versteckt hält, wie die Zeitung berichtet hat. Die israelische Armee hatte sich vor einem Monat aus Chan Junis zurückgezogen.

dpa