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Friedensforscher warnen vor neuem nuklearen Wettrüsten

Die Welt gleicht derzeit einem Pulverfass. Mehrere Atommächte sind an Kriegen und Konflikten beteiligt. Das birgt Gefahren, wie nicht zuletzt die Lage zwischen Israel und dem Iran zeigt.

Seit den Atomwaffenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki (Bild) vor 80 Jahren sind solche Waffen nicht wieder eingesetzt worden. (Archivbild)
Foto: Uncredited/AP/dpa

Laut dem neuen Jahresbericht des unabhängigen Instituts Sipri in Stockholm warnt das Stockholmer Friedensforschungsinstitut angesichts der höchst angespannten Weltlage vor einem erneuten Rüstungswettlauf der Atommächte. Die weltweiten Atomwaffenarsenale werden weiterhin ausgebaut und modernisiert.

Nahezu alle Atomwaffenstaaten befanden sich 2024 weiterhin in umfangreichen Modernisierungsprogrammen, bei denen bestehende Waffen aufgerüstet und neuere Versionen hinzugefügt wurden, so die Friedensforscher. Ein gefährliches neues nukleares Wettrüsten zeichne sich ab – und das zu einer Zeit, in der es um die Verträge zur Rüstungskontrolle äußerst schlecht stehe.

Mehr als 12.000 atomare Sprengköpfe weltweit

Laut Sipri beträgt der weltweite Gesamtbestand an Atomsprengköpfen 12.241. Davon sind etwa 9.614 für den potenziellen Einsatz in militärischen Lagerbeständen – das sind ungefähr 29 mehr als im Vorjahr. Etwa 3.912 der Sprengköpfe wurden auf Raketen oder auf aktiven Stützpunkten platziert, wovon wiederum rund 2.100 in hoher Einsatzbereitschaft gehalten wurden. Alle diese Zahlen spiegeln den Stand im Januar 2025 wider.

Es gibt neun Länder auf der Erde, die als Atommächte gelten. Die USA und Russland sind in erster Linie darunter, die historisch bedingt durch den Kalten Krieg auch heute noch zusammen fast 90 Prozent aller Atomwaffen besitzen. Außerdem gehören Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel dazu, das öffentlich nach wie vor nicht zugibt, nukleare Waffen zu besitzen. Deutschland hat keine Atomwaffen.

Eskalation zwischen Israel und dem Iran

Laut Sipri deuten erneute Atomdebatten in Europa, Nahost und Ostasien darauf hin, dass potenziell weitere Staaten ihre eigenen Kernwaffen entwickeln könnten. Die Atombemühungen des Irans werden laut den Friedensforschern zunehmend vom eskalierenden Konflikt mit Israel beeinflusst. Während in innenpolitischen Debatten die potenziellen Vorteile einer nuklearen Abschreckung diskutiert werden, zeigt die iranische Führung bei Gesprächen mit den USA über eine Wiederbelebung des Atomabkommens mit dem Westen Bereitschaft zur atomaren Zurückhaltung, so der Bericht.

Israel hatte vor wenigen Tagen mit Großangriffen auf iranische Städte und Atomanlagen begonnen und dies unter anderem damit begründet, dass der Iran «nach dem Bau einer Atombombe in nächster Zeit» strebe. Teheran hat das stets dementiert.

Bald erstmals wieder mehr Atomwaffen in der Welt?

Seit vielen Jahrzehnten ist die Anzahl der Atomwaffen weltweit kontinuierlich gesunken – zu Spitzenzeiten des Kalten Krieges lag sie mehr als fünfmal so hoch wie heute. Dieser Rückgang ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass Russland und die USA ausrangierte Sprengköpfe nach und nach demontieren.

Sipri beobachtet seit einiger Zeit einen Anstieg bei der Anzahl einsatzfähiger Atomwaffen. Während sich das Tempo der Demontage verlangsamt, nimmt die Bereitstellung neuer Waffen zu. Anders ausgedrückt: Es deutet darauf hin, dass bald mehr neue Atomwaffen bereitgestellt werden als alte ausrangiert werden. In den kommenden Jahren könnte der Gesamtbestand daher erstmals wieder steigen.

«Die Ära der Verringerung der weltweiten Atomwaffenzahl, die seit dem Ende des Kalten Krieges andauerte, geht zu Ende», stellt der Sipri-Experte Hans Kristensen fest. «Stattdessen beobachten wir einen klaren Trend hin zu wachsenden Atomwaffenarsenalen, verschärfter nuklearer Rhetorik und der Aufkündigung von Rüstungskontrollabkommen», warnt er.

Dramatische Lage bei Rüstungskontrollabkommen

In letzter Zeit haben mehrere Abrüstungs- und Kontrollverträge stark gelitten. Im Jahr 2019 kündigten die USA unter dem damaligen und aktuellen Präsidenten Donald Trump den INF-Vertrag über landgestützte atomare Kurz- und Mittelstreckenraketen und ein Jahr später auch den Rückzug aus dem Vertrag über offene Himmel für internationale militärische Beobachtungsflüge an. Daraufhin verkündete auch Russland den Austritt aus dem Vertrag über offene Himmel.

Im Jahr 2022 zog Russland seinen Austritt aus dem Abrüstungsvertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) nach seinem Einmarsch in die Ukraine durch. Kremlchef Wladimir Putin setzte auch den letzten großen atomaren Abrüstungsvertrag New Start mit den USA außer Kraft. Seitdem liegen die Gespräche über ein Nachfolgeabkommen auf Eis. Wenn keine Lösung gefunden wird, endet der Vertrag im Februar 2026.

China rüstet auf

Im Schatten von Washington und Moskau wird zunehmend eine dritte führende Atommacht sichtbar, die laut Sipri derzeit ihr Atomwaffenprogramm umfassend modernisiert und erweitert: China. Das Institut schätzt, dass China über etwa 600 nukleare Sprengköpfe verfügt. Dies ist mittlerweile mehr als die Bestände von Frankreich (290) und Großbritannien (225) zusammen.

«Chinas Atomwaffenarsenal wächst schneller als das jedes anderen Landes: seit 2023 um etwa 100 neue Sprengköpfe pro Jahr», heißt es im Sipri-Bericht. Tendenz: weiter steigend. 

«Atomwaffen garantieren keine Sicherheit»

Dann wären da noch Indien und Pakistan. Nach der jüngsten Konfrontation zwischen den beiden rivalisierenden Atommächten herrscht seit Mitte Mai eine Waffenruhe unter ihnen. Es habe eine Gefahr bestanden, einen konventionellen Konflikt in eine nukleare Krise zu verwandeln, erklärt Sipri-Experte Matt Korda. «Dies sollte eine eindringliche Warnung für Staaten sein, die ihre Abhängigkeit von Atomwaffen erhöhen wollen.» 

Die jüngsten Feindseligkeiten zwischen Indien und Pakistan zeigten, dass Atomwaffen keine Konflikte verhinderten, sagt er. «Es ist entscheidend, sich daran zu erinnern, dass Atomwaffen keine Sicherheit garantieren.»

Ähnlich sieht man das bei der Friedensorganisation Greenpeace. «Die Kombination aus atomarer Aufrüstung und dem Erstarken nationalistischer und populistischer Kräfte in den Atomwaffenstaaten macht Angst», sagt Greenpeace-Abrüstungsexperte Alexander Lurz. Deutschland sei mit dem Kauf von atomwaffenfähigen F-35-Kampfjets für die nukleare Teilhabe selbst Teil dieser weltweiten Aufrüstung.

dpa