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Das Szenario Trump: Die Nato vor dem Machtwechsel in den USA

Hinter den Kulissen herrscht düstere Stimmung. Neue Vorschläge von Generalsekretär Stoltenberg zeigen Sorgen vor der Zukunft.

Der Generalsekretär der NATO: Jens Stoltenberg.
Foto: Virginia Mayo/AP/dpa

Die Nato zeigt sich zum 75. Geburtstag so groß wie nie zuvor und so stark wie schon lange nicht mehr.

Bei einer Feier im Hauptquartier in Brüssel am Donnerstag wird gefeiert, dass seit der Gründung des Verteidigungsbündnisses weder Russland noch ein anderer Staat gewagt haben, ein Nato-Land anzugreifen. Hinter den Kulissen herrscht jedoch vielerorts düstere Stimmung. Neue Vorschläge von Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigen, wie groß die Sorgen vor einem möglichen Machtwechsel in den USA sind. Es stellt sich die Frage, ob die nach eigener Darstellung erfolgreichste Militärallianz aller Zeiten nicht um ihre Zukunft bangen muss.

Eine Zusammenfassung der Situation:

Das Szenario Trump

Auch wenn Spitzenpolitiker in der Öffentlichkeit nicht darüber reden wollen: Wohl kaum ein anderes Szenario sorgt in der Nato in diesen Tagen für so viel Beunruhigung wie eine mögliche Rückkehr des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump ins Weiße Haus. Der Republikaner machte zuletzt bei einem Wahlkampfauftritt deutlich, dass er Bündnispartnern mit geringen Verteidigungsausgaben im Fall eines russischen Angriffs keine amerikanische Unterstützung gewähren würde. Und in einem Interview mahnte er: Man dürfe nicht vergessen, dass die Nato wichtiger für Europa sei als für die USA, denn es liege ein Ozean, «ein schöner, großer, herrlicher Ozean» zwischen den USA und «einigen Problemen» in Europa.

All dies ist problematisch, da die Nato auf dem Prinzip der Abschreckung als Verteidigungsbündnis basiert. Artikel 5 des Nordatlantikvertrags ist relevant für dieses Prinzip. Er regelt die Beistandsverpflichtung in der Allianz und besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Alliierte als ein Angriff gegen alle betrachtet wird.

Reizthema Verteidigungsausgaben

Trump untergräbt das Abschreckungsprinzip, indem er darauf hinweist, dass Alliierte mit aus seiner Sicht zu niedrigen Verteidigungsausgaben unter seiner Präsidentschaft nicht auf US-Hilfe zählen können. Besonders problematisch ist dies für die Nato, da die USA eine atomare Supermacht sind, deren Abschreckungspotenzial von anderen Alliierten nicht ausgeglichen werden kann – und viele europäische Nato-Staaten das gemeinsame Bündnisziel für Verteidigungsausgaben weiterhin nicht erfüllen.

Wie ernst die Sache gesehen wird, zeigen die jüngsten Äußerungen von Nato-Generalsekretär Stoltenberg in der Debatte. Der Norweger reagierte ungewöhnlich scharf auf die Äußerungen Trumps und sagte: «Jede Andeutung, dass die Verbündeten sich nicht gegenseitig verteidigen werden, untergräbt unsere gesamte Sicherheit, einschließlich die der USA».

Kein US-Penny mehr für die Ukraine?

Als ein Horrorszenario in Europa gilt zudem, dass Trump die US-Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine einstellen könnte. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban erzählte jüngst nach einem Treffen mit dem Republikaner, dieser habe ihm gesagt, er werde im Fall einer Rückkehr ins Präsidentenamt «keinen einzigen Penny» mehr für den Krieg ausgeben.

Stoltenberg hat intern bereits vorgeschlagen, dass eine Nato-Mission in Zukunft die bisher von den USA organisierte Koordinierung von Waffenlieferungen für die ukrainischen Streitkräfte übernehmen sollte. Darüber hinaus plant er, die Bündnispartner dazu zu bringen, der Ukraine vor der US-Präsidentenwahl für die nächsten fünf Jahre militärische Unterstützung im Wert von 100 Milliarden Euro zuzusagen.

Typ Scholz vs. Typ Macron

Auch wenn das Szenario mit Trump nicht eintritt und Joe Biden weiterhin für weitere vier Jahre US-Präsident bleibt, könnte der Ukraine-Krieg zu einer gefährlichen Belastungsprobe für die Nato werden. Die Spannungen unter den Bündnispartnern haben zuletzt aufgrund der steigenden Kosten und der schwierigen Lage an der Front zugenommen.

Es gibt Politiker wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die bestimmte Waffen wie Taurus-Marschflugkörper nicht an die Ukraine liefern wollen, um eine weitere Eskalation zu verhindern, und Staatschefs wie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die einen Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nicht ausschließen wollen. Es ist derzeit unklar, wie die Nato reagieren würde, wenn russische Truppen an der Front wieder größere Erfolge erzielen und erneut ein Fall von Kiew drohen sollte.

Streitthema China

Das alles erinnert ein wenig an die Nato während der Amtszeit von Trump von 2017 bis 2021. Macron attestierte dem Bündnis damals wegen mangelnder Abstimmung der Alliierten den «Hirntod».

Wie selbstsüchtig Nato-Staaten selbst in heutigen Krisenzeiten handeln, wurde kürzlich deutlich, als Schweden und Finnland der Nato beitreten wollten angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine. Die Alliierten Türkei und Ungarn verzögerten den Aufnahmeprozess bei Schweden um fast zwei Jahre – unter anderem, um Zugeständnisse bei Rüstungsgeschäften zu erzwingen.

Derzeit wird auch hinter den Kulissen über den Umgang mit China gestritten. Die USA fordern, dass sich die Nato zukünftig stärker mit den Bedrohungen durch die aufstrebende Großmacht befasst. In Ländern wie Frankreich oder Deutschland gibt es jedoch die Befürchtung, dass Washington das Bündnis auch für den wirtschaftlichen Machtkampf mit Peking nutzen möchte und dadurch Konflikte weiter verschärft werden könnten.

Weltpolizei-Einsätze sind Geschichte

Nato-Anhängern kann Hoffnung machen, dass die Allianz bisher immer in der Lage war, sich anzupassen. Nach der Gründung des Bündnisses am 4. April 1949 als Reaktion auf die als bedrohlich empfundene Politik der kommunistischen Sowjetunion war es während des Kalten Krieges dafür verantwortlich, der östlichen Militärmacht ein abschreckendes Gegengewicht entgegenzusetzen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 90er-Jahre übernahm die Nato zeitweise die Rolle einer Art Weltpolizei.

So war sie unter anderem in Konflikte in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo und in Libyen verwickelt und spielte nach den islamistischen Anschlägen gegen die USA vom 11. September 2001 eine zentrale Rolle im Krieg gegen die Taliban und die Terrororganisation Al Kaida in Afghanistan. Zum ersten Mal wurde damals der Artikel 5 für die USA aktiviert, der besagt, dass ein bewaffneter Angriff auf ein Nato-Mitglied als Angriff gegen alle Mitglieder gilt. Das Bündnis erlebte dann im Jahr 2021 das wohl größte Debakel in seiner Geschichte, als der Abzug aus Afghanistan in der Rückeroberung des Landes durch die Taliban endete.

Aufrüsten für Abschreckung und Verteidigung

Spätestens seit dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine redet jedoch kaum noch jemand darüber, und der Schwerpunkt der Nato liegt wieder eindeutig auf Abschreckung und Verteidigung gegen Russland. Vor allem östliche Bündnispartner fürchten, dass Kremlchef Wladimir Putin auch einen Angriff auf das Baltikum in Betracht ziehen könnte – insbesondere dann, wenn seine Truppen in der Ukraine erfolgreich sind und die Nato intern zerstritten wirkt.

Am Donnerstag bei der Nato-Geburtstagsfeier mit den Außenministern der Mitgliedstaaten dürfte deswegen versucht werden, einen ganz anderen Eindruck zu erwecken. Gemeinsam will man einmal mehr den Zusammenhalt beschwören und Botschaften der Abschreckung an Putin senden. «Alle für einen, einer für alle», wird dann der Satz heißen, der von den mittlerweile 32 Nato-Staaten als Botschaft in die Welt gehen soll.

dpa