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Stasi-Offizier verurteilt wegen Mordes an DDR-Grenzübergang

Das Landgericht Berlin verurteilte einen Ex-Stasi-Offizier zu 10 Jahren Haft für den Mord an einem Polen vor 50 Jahren. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Berliner Richter haben einen Ex-Stasi-Mitarbeiter verurteilt. (Archivbild)
Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Am DDR-Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße in Ost-Berlin wird mitten am Tag ein Mann hinterrücks erschossen. Es dauert Jahrzehnte, bis der Fall vor Gericht im wiedervereinigten Deutschland landet. Rund 50 Jahre nach der Tat wird ein ehemaliger Stasi-Offizier vom Landgericht Berlin wegen Mordes verurteilt.

Das Gericht hat den 80-jährigen Mann aus Leipzig zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte eine Haftstrafe von zwölf Jahren gefordert. Laut Urteil hat der damalige Oberleutnant am 29. März 1974 im Auftrag des DDR-Geheimdienstes den 38-jährigen Polen Czesław Kukuczka aus einem Hinterhalt erschossen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Angeklagter bestritt Vorwürfe

Andrea Liebscher, die Anwältin des Angeklagten, hatte einen Freispruch beantragt. Es war nicht bewiesen, dass ihr Mandant der Schütze war”, so die Verteidigerin. Der 80-Jährige schwieg vor Gericht zu den Anschuldigungen; zu Beginn des Prozesses hatte seine Anwältin erklärt, dass ihr Mandant diese bestritt.

Laut Anklage gehörte der Sachse einer Operativgruppe des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) an und war mit der «Unschädlichmachung» des Polen beauftragt worden. Zuvor soll dieser in der polnischen Botschaft versucht haben, seine Ausreise nach West-Berlin mit einer Bombenattrappe zu erzwingen.

Laut Angaben der Behörden soll das MfS den 38-Jährigen mit einer inszenierten Ausreise in eine Falle gelockt haben. Er erhielt Dokumente und wurde von Stasi-Mitarbeitern zum Bahnhof Friedrichstraße begleitet. Als er jedoch den letzten Kontrollpunkt passierte, fiel der Schuss.

Westdeutsche Schüler Zeugen der Tat

Es waren Schülerinnen aus Westdeutschland einer 10. Klasse, die unerwartet Zeuginnen des Vorfalls wurden. Sie hatten einen Ausflug nach Ost-Berlin gemacht und waren auf dem Weg zurück in den Westen der zu dieser Zeit geteilten Stadt. Vor Gericht berichteten mehrere ehemalige Schülerinnen aus Hessen eindrucksvoll über die Ereignisse – sowie über ihre Angst und Fassungslosigkeit.

Es gab zu der Zeit eine erfolglose Anfrage an die Justiz im Osten, wie ein Berliner Kommissar im Prozess berichtete. Die alten Akten wurden dem Polizisten für die neuen Ermittlungen vorgelegt, aber über viele Jahre hinweg gab es keine Fortschritte.

Entscheidender Hinweis erst 2016 

Erst im Jahr 2016 lieferte das Stasi-Unterlagen-Archiv einen entscheidenden Hinweis zur möglichen Identität des Schützen: Ein vom damaligen Staatssicherheitsminister Erich Mielke unterzeichneter Befehl nannte zwölf MfS-Mitarbeiter, die im Kontext der Tötung ausgezeichnet werden sollten. Der Angeklagte wurde laut Schriftstück von der Stasi mit dem «Kampforden in Bronze» ausgezeichnet.

Zunächst ging die Staatsanwaltschaft jedoch von Totschlag und nicht von Mord aus und stellte das Verfahren 2017 ein, da die Tat in diesem Fall verjährt gewesen wäre. Im Jahr 2023 erhob die Staatsanwaltschaft Berlin jedoch Anklage, da sie mittlerweile das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt sah. Der Hintergrund für die neue Bewertung war ein europäischer Haftbefehl gegen den Angeklagten nach intensiven Nachforschungen auf polnischer Seite.

Auszeichnung mit «Kampforden» führte auf die Spur

Der Vorsitzende Richter Bernd Miczajka hatte zu Prozessbeginn deutlich gemacht, wo die Schwierigkeit rund 50 Jahre nach der Tat liegt: «Vieles wird auf der Bewertung von Urkunden beruhen.» Das Gericht müsse sich ein Bild davon machen, wie verlässlich diese seien. Es ging vor allem um den Vorschlag zur Auszeichnung mit dem «Kampforden» nach der Tat.

Die Kammer hat in den letzten gut sechs Monaten mehrmals vom Stasi-Unterlagen-Archiv Skizzen oder Schriftstücke angefordert. Eine Sachverständige für Geschichtswissenschaften wurde als Zeugin gehört.

Prozess wegen historischer Bedeutung aufgezeichnet

Der Prozess wurde wegen seiner historischen Bedeutung aufgezeichnet. Die Angehörigen des Opfers – eine Tochter, zwei Söhne und eine Schwester – traten im Verfahren als Nebenkläger auf. Es sei ihren Mandanten nie um eine bestimmte Strafe oder Rache gegangen, betonten die Anwälte. «Die Nebenkläger sind dem Gericht, dem deutschen Staat dankbar, dass es dieses Verfahren gab», so Anwalt Rajmund Niwinski.

dpa