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Aufruf zur Hilfe: Ukraine braucht mehr Luftabwehrsysteme

Die Ukraine ruft westliche Verbündete um Unterstützung angesichts russischer Luftangriffe. Die russische Luftwaffe setzt modifizierte Gleitbomben ein, die die Verteidigung erschweren.

Gegen Gleitbomben könnten mehr Patriot-Flugabwehrsysteme helfen, die mit ihrer Reichweite russische Flugzeuge auf Abstand halten könnten.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Die Ukraine hat knappe Ressourcen bei der Abwehr russischer Luftangriffe, was sich als Achillesferse bei der weiteren Verteidigung des Landes herausstellt. Die russische Luftwaffe ebnet den Truppen am Boden mit sogenannten Gleitbomben den Weg, modifizierten Sprengkörpern, die von Flugzeugen abgeworfen werden und auf weite Strecken ihr Ziel finden können.

Die Regierung in Kiew bittet westliche Verbündete um Hilfe. Deutschland, das seit Februar zusammen mit Frankreich eine sogenannte Fähigkeitskoalition für Luftverteidigung führt, wird ein drittes Patriot-Flugabwehrsystem schicken und wirbt bei Verbündeten mit einer Initiative um mehr Unterstützung.

Diese sei darauf ausgerichtet, eine größere Menge an Staaten noch mal «zu aktivieren und zu motivieren», kurzfristig etwas zu liefern, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin. Denn die ukrainischen Partner meldeten eine Veränderung in der Bedrohungslage.

«Russland nutzt zunehmend industriell produzierte Gleitbomben, die aus großem Abstand von der ukrainischen Grenze abgeschossen werden können. Und dementsprechend verlagert sich auch das Abwehrgeschehen», sagte er. Und: «Das heißt, die Ukraine braucht umso mehr weitreichende Waffensysteme.»

Streitkräfte sind an der Front unter Druck

Nachdem die Industriestadt Avdiivka in der Region Donezk Mitte Februar aufgegeben wurde, kündigte die ukrainische Militärführung die Einrichtung einer neuen Verteidigungslinie weiter westlich an. Entlang der Dörfer Berdytschi, Semeniwka, Orliwka und Tonenke sollte der russische Vormarsch etwa sechs bis acht Kilometer von Avdiivka entfernt gestoppt werden. Mitte April ist davon keine Rede mehr. Beinahe täglich verzeichnen ukrainische Militärbeobachter kleinere russische Geländegewinne nicht nur westlich von Avdiivka.

An verschiedenen Frontabschnitten im Donezker Gebiet rücken russische Truppen vor. Laut russischen Militärbeobachtern haben die Gebietsgewinne seit Ende Februar mehr als 200 Quadratkilometer erreicht. Neben dem Abschnitt westlich von Awdijiwka wird der Kampf um die Kleinstadt Tschassiw Jar, westlich von Bachmut, der 2023 von Russland erobert wurde, als neuer Schwerpunkt der Kämpfe angesehen. Erste russische Einheiten sollen bereits den Rand des östlichsten Stadtteils erreicht haben.

Es wird erwartet, dass die russische Armee innerhalb der nächsten Wochen versuchen wird, die Stadt in einer Zangenbewegung ähnlich wie Bachmut und Awdijiwka einzuschließen. Es ist möglich, dass russische Soldaten in weiteren Schritten eine Route zu den Großstädten Kramatorsk und Slowjansk einnehmen werden.

Mangel an Munition und Luftverteidigung hat Folgen

Der wachsende Mangel an Munition auf ukrainischer Seite wird als Hauptgrund für den langsamen, aber stetigen Vormarsch Russlands angesehen. Präsident Wolodymyr Selenskyj erwähnte kürzlich in einem Interview mit dem US-amerikanischen Sender PBS, dass die Ukrainer zehn russischen Granaten nur einer eigenen entgegensetzen können. Militärs beschreiben die Situation jedoch weniger dramatisch und sprechen eher von einem Verhältnis von eins zu drei bis eins zu sechs.

Trotz der verkündeten Abschüsse russischer Flugzeuge hat die ukrainische Seite bisher kein Mittel gegen die gefürchteten russischen Gleitbomben gefunden. Diese werden von russischen Kampfflugzeugen aus einer Entfernung von 60 Kilometern von der Front, angeblich sogar von 90 Kilometern, abgeworfen und gleiten mit Flügeln ausgestattet zu ihrem Ziel, fern von der ukrainischen Flugabwehr.

Laut ukrainischer Zählung sollen täglich über 100 Bomben dieser Art mit einem Gewicht von 250, 500 oder mehr Kilogramm auf ukrainische Stellungen fallen, was verheerende Auswirkungen hat. Obwohl sie nicht sehr präzise sind, werden durch die Detonationen Soldaten in einem größeren Umkreis kampfunfähig. Ausgebaute Befestigungen werden vollständig zerstört.

Luftverteidigungssysteme werden für Infrastruktur gebraucht

Mehr Patriot-Flugabwehrsysteme wären eine Lösung, um russische Flugzeuge fernzuhalten. Allerdings werden die drei vorhandenen Systeme in Kiew dringend benötigt, um die eigene Rüstungsproduktion und Infrastruktur vor Raketenangriffen aus Russland zu schützen.

Aufgrund der begrenzten Anzahl von weitreichenden Luftabwehrsystemen, die auch ballistische Raketen abwehren können, sind russische Raketenangriffe im ukrainischen Hinterland immer wieder erfolgreich. Seit Mitte März wurden mehrere Wärmekraftwerke und mindestens ein Wasserkraftwerk zumindest stark beschädigt. Es wird bereits vor größeren Stromabschaltungen im Sommer gewarnt.

Neben der militärischen Überlegenheit Russlands macht sich auch ein Mangel an Soldaten auf ukrainischer Seite immer stärker bemerkbar. Berichten zufolge weicht die tatsächliche Stärke ukrainischer Brigaden immer mehr von ihrer Soll-Stärke ab. Ein großer Teil soll aufgrund hoher Verluste nur noch etwa die Hälfte der Mannschaften haben. Militärs und Beobachter erwarten für den Rest des Jahres stärkere Rückschläge für die ukrainischen Verteidiger. Es wird sogar bereits über einen Rückzug bis an den Fluss Dnipro gesprochen.

Am Freitag hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf Wunsch der Regierung in Kiew eine Sitzung des Nato-Ukraine-Rats einberufen. Laut Stoltenberg soll es darum gehen, die dringenden Bedürfnisse der Ukraine nach zusätzlichen Luftverteidigungssystemen und Artilleriegeschossen anzusprechen. An der Sitzung sollen auch Präsident Selenskyj und die Verteidigungsminister der Mitgliedsstaaten teilnehmen.

dpa