Bei der Parlamentswahl in Georgien gab es massive Verstöße. Aber wiegen sie so schwer, dass die gesamte Wahl als ungültig einzustufen ist?
Wahlbetrug? Proteste in Georgien – Zurückhaltung im Westen
In Georgien protestiert die Opposition gegen eine Fälschung der Parlamentswahl – doch erste westliche Reaktionen gehen nicht so weit, die Abstimmung insgesamt infrage zu stellen. So rief US-Außenminister Antony Blinken die Politiker in Georgien lediglich auf, «Mängel am Wahlprozess» zu beseitigen. Sie sollten Rechtsstaatlichkeit akzeptieren und Gesetze zurücknehmen, die grundlegende Freiheiten einschränkten, schrieb Blinken auf der Plattform X.
Eine Demonstration war für Montagnachmittag (19.00 Uhr Ortszeit, 16.00 Uhr MEZ) auf der Hauptstraße Rustaweli-Prospekt in Tiflis (Tbilissi) geplant. Die prowestliche Präsidentin des kleinen Landes im Südkaukasus, Salome Surabischwili, hatte dazu aufgerufen. Sie bezeichnete den offiziell erklärten Wahlsieg der nationalkonservativen Regierungspartei Georgischer Traum als eine Verfälschung des Wählerwillens, die sie nicht akzeptieren werde.
Surabischwili vermutet dahinter russische Einflussnahme: «Wir sind Zeugen und Opfer einer russischen Spezialoperation geworden», sagte sie. Der Generalsekretär von Georgischer Traum, Kacha Kaladse, nannte Surabischwilis Unterstellungen schändlich. In der Ex-Sowjetrepublik, die EU-Beitrittskandidat ist, steht mit dieser Wahl auch die weitere Annäherung an die EU auf dem Spiel.
Trotz zahlreicher Hinweise auf Unregelmäßigkeiten hat die Wahlleitung die russlandfreundliche Partei Georgischer Traum zum Sieger mit knapp 54 Prozent der Stimmen erklärt. An der Spitze der Partei steht der Milliardär Bidsina Iwanischwili, der sein Vermögen in Russland erworben hat. Den vier größten proeuropäischen Oppositionsbündnissen wurden jeweils nur elf Prozent oder weniger zugeschrieben.
Russland dementiert Einmischung in Georgien
Der Kreml dementierte eine Einmischung Russlands in die Wahl. Im Gegenteil hätten die europäischen Staaten Druck auf das Land an der russischen Südgrenze ausgeübt, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. «Viele Kräfte aus europäischen Staaten und europäischen Institutionen haben versucht, Einfluss auf das Ergebnis der Abstimmung zu nehmen», sagte er russischen Nachrichtenagenturen zufolge.
EU fordert Aufklärung von Unregelmäßigkeiten
Georgische und internationale Beobachter haben bei den Wahlen am Samstag viele Unregelmäßigkeiten festgestellt. Es wurde von Stimmenkauf und Druck auf Wähler und Wählerinnen, vermehrtem Einwerfen von Stimmzetteln in die Wahlurnen und dem Missbrauch staatlicher Einflussmöglichkeiten zugunsten der Regierung berichtet. Auf der anderen Seite wurde erwähnt, dass es bei 18 Parteien auf dem Stimmzettel eine breite Auswahl gab.
Wie Blinken, forderte auch EU-Ratspräsident Charles Michel von der georgischen Führung eine Aufklärung der Unregelmäßigkeiten. Georgien brauche nun einen konstruktiven Dialog quer durch das politische Spektrum, schrieb er auf X. Er werde die künftigen Beziehungen zu Georgien auch auf die Tagesordnung des nächsten Europäischen Rates im November in Budapest setzen. «Wir wiederholen den Aufruf der EU an die Führung Georgiens, ihr Festhalten am EU-Kurs des Landes zu demonstrieren.»
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und die EU-Kommission äußerten sich ähnlich in einer Mitteilung. Brüssel hat den Gesprächsprozess mit Georgien auf Eis gelegt aufgrund mehrerer repressiver Gesetze, die der Georgische Traum durchgesetzt hat.
Regierungschef bekräftigt EU-Kurs
Ministerpräsident Irakli Kobachidse versuchte, Bedenken zu zerstreuen, dass es eine Abkehr vom EU-Kurs gebe. Bei einer Regierungssitzung erklärte er, dass Georgien bis 2030 vollständig in die Europäische Union integriert werden wolle. Er erwarte einen Neubeginn im schwierigen Verhältnis zur EU im kommenden Jahr.
Wie Präsidentin Surabischwili erkennt auch die proeuropäische Opposition das Wahlergebnis nicht an. Verschiedene Oppositionsbündnisse weigern sich, ihre Mandate anzunehmen. Trotzdem ist die Regierungspartei der Ansicht, dass das Parlament weiterhin legitim arbeiten kann. Kobachidse erklärte, dass die Oppositionsabgeordneten ohnehin nicht benötigt würden. Vor der Wahl hatte der Georgische Traum gedroht, gegnerische Parteien zu verbieten.