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Prozess gegen „Querdenken“-Initiator Ballweg vor überraschender Wende

Die Staatsanwaltschaft lehnt den Vorschlag des Gerichts ab. Der Prozess wird fortgesetzt, trotz fehlendem Vorsatznachweis und Steuerunterlagen.

Ballweg ging optimistisch in den Prozess.
Foto: Marijan Murat/dpa

Überraschende Wende im Verfahren gegen «Querdenken»-Initiator Michael Ballweg: Die Strafkammer schlägt eine Einstellung des Betrugsprozesses vor. Man wolle anregen, das Verfahren gegen den Angeklagten wegen Geringfügigkeit einzustellen, teilte die Vorsitzende Richterin in Stuttgart nach einem vorherigen Gespräch mit den Prozessbeteiligten mit. Ballweg muss sich wegen versuchten Betrugs verantworten, auch Steuern soll er laut Anklage hinterzogen haben. Allerdings ist die Kammer derzeit der Auffassung, dass man dem 50-jährigen Unternehmer keinen Vorsatz nachweisen könne.

Die Staatsanwaltschaft hat den Vorschlag des Gerichts abgelehnt. „Eine Verurteilung ist weiterhin wahrscheinlich“, sagten die Ankläger am 27. Verhandlungstag. Die Sach- und Rechtslage werde nicht anders bewertet als zur Eröffnung des Verfahrens, betonte eine Sprecherin der Anklagebehörde. Es sind noch mehr als 20 Verhandlungstage angesetzt, und die Beweisaufnahme ist noch lange nicht abgeschlossen. Daher wird der Prozess fortgesetzt. Am Montag sollten mehrere Zeugen befragt werden.

Nur ein kleiner Restbetrag bleibt 

Ballweg soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft durch öffentliche Aufrufe mehr als eine Million Euro von tausenden Menschen für die Organisation eingeworben, die Spender aber über die Verwendung von Geldern getäuscht haben. Die Ankläger werfen ihm vor, 575.929,84 Euro für private Zwecke verwendet zu haben. Dokumentiert sind belegbare Ausgaben für die «Querdenken»-Bewegung in Höhe von 843.111,68 Euro. Ballweg ist nicht wegen Betrugs, sondern nur wegen versuchten Betrugs angeklagt, weil einigen Spendern wohl gleichgültig war, was mit dem Geld passiert, so die Argumentation der Staatsanwaltschaft. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung.

Das Gericht sieht es nach der bisherigen Beweisaufnahme als unwahrscheinlich an, dass der Vorwurf des versuchten Betrugs gegen Ballweg nachgewiesen werden kann. „Bei rund 380.000 Euro sei etwa schlicht nicht nachweisbar, was mit dem Geld passiert sei“, sagte ein Gerichtssprecher. Möglicherweise bliebe von den Vorwürfen der Steuerhinterziehung nur ein geringer Betrag zwischen ein paar Euro und rund 2.000 Euro übrig. Das Gericht sieht es bei beiden Delikten als schwierig an, den Vorsatz zu beweisen. Nach Ansicht der Kammer besteht auch wenig Hoffnung, dass sich dies noch ändern wird.

Gerichtssprecher betont aufwendiges Verfahren

Laut Gericht lagen Ballwegs Steuerunterlagen bei seinem langjährigen Steuerberater vor, was im Zusammenhang mit den Vorwürfen der versuchten und vollendeten Steuerhinterziehung steht. Da Ballweg seinen Steuerberater nicht von der Schweigepflicht entbunden hatte, konnte nicht geklärt werden, warum der Berater diese Unterlagen nicht an das Finanzamt weitergeleitet hatte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Ballweg in Untersuchungshaft, was die Kommunikation zusätzlich erschwerte, so ein Sprecher.

Laut dem Gerichtssprecher geht es bei dem Vorschlag zur Einstellung auch um Verfahrensökonomie. Der Prozess ist sehr aufwendig. Das Gericht ist der Meinung, dass der Aufwand nicht im Verhältnis zum zu erwartenden Urteil steht.

Ballwegs Anwalt spricht von «Riesenerfolg»

Das Gericht habe der Staatsanwaltschaft mit seinem Vorschlag den Boden unter den Füßen weggezogen, sagte einer von Ballwegs Rechtsanwälten. Aus Sicht der Verteidigung sei das ein «Riesenerfolg». Hätte die Staatsanwaltschaft der Einstellung zugestimmt, hätten alle Verfahrensbeteiligten gesichtswahrend aus dem Verfahren ausscheiden können. «Dem Angeklagten ist großes Leid zuteilgeworden.»

Ballweg selbst war auch erfreut über den Vorschlag des Gerichts. Er präsentierte sich und seine Anhänger erneut als rechtlich verfolgt. Auch während der Corona-Pandemie wurde mit hohen Zahlen argumentiert und Freiheitsrechte wurden eingeschränkt, am Ende blieb jedoch nichts davon übrig.

«Querdenken»-Initiator saß monatelang in U-Haft

Ballwegs Anwälte hatten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft immer wieder zurückgewiesen. Der «Querdenken»-Initiator saß wegen der Vorwürfe ab Juni 2022 bereits monatelang in Untersuchungshaft, weil die Behörden von einer Fluchtgefahr ausgingen. Immer wieder hatten seine Anhänger vor dem Gefängnis demonstriert. Im April 2023 war er aus der Haft entlassen worden.

Die «Querdenken»-Bewegung hatte sich im Zuge der Corona-Pandemie von Stuttgart aus in vielen deutschen Städten formiert. Die Anhängerinnen und Anhänger demonstrierten immer wieder öffentlich gegen die politischen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. Dabei gab es auch Angriffe auf Polizisten und Medienvertreter.

dpa