Die Folgen des Klimawandels sind in Grönland spürbar: Schmelzende Gletscher, wirtschaftliche Chancen und veränderte Lebensbedingungen prägen die Zukunft der Inselbewohner.
Grönlands Eis schmilzt im Rekordtempo, eine neue Ära bricht an
Das Eis am Ende der Welt schmilzt, und es schmilzt im Rekordtempo. Karl Sandgreen hat es mit eigenen Augen verschwinden sehen. «Alles hat sich nach 1997 geändert», sagt der 45-Jährige aus dem westgrönländischen Ort Ilulissat. Davor habe das Meereis noch bis Ende Mai, Anfang Juni die Bucht vor Ilulissat bedeckt. «Aber nach 1997 ist es verschwunden.»
Sandgreens Heimat ist in gewisser Weise an der Front des vom Menschen verursachten Klimawandels, der in Grönland viel schneller voranschreitet als anderswo auf der Welt. In Ilulissat bezeugen dies bis zu 100 Meter hohe Eisberge, die vom nahegelegenen Gletscher Sermeq Kujalleq abbrechen und dann langsam im Ilulissat-Eisfjord hinaus in die Diskobucht und von dort weiter Richtung offenes Meer treiben. Es ist ein stilles Schauspiel, das höchst beeindruckend, aber auch beängstigend ist, da es die Folgen einer wärmer werdenden Welt dringlich bewusst macht.
Merkels Klimareise
Der Sermeq Kujalleq ist einer der aktivsten Gletscher der Welt. Seit 1850 hat er sich aufgrund der Erderwärmung und der Gletscherschmelze um mehr als 40 Kilometer zurückgezogen. Seit der Jahrtausendwende hat sich dieser Rückgang drastisch beschleunigt.
Toppolitiker aus aller Welt haben sich vor Ort in Ilulissat ein Bild von den Klimawandelfolgen gemacht, 2007 auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel. Sandgreen hat sie alle gesehen, doch die Kanzlerin hat ihn besonders beeindruckt. «Sie ist nicht wie andere Politiker aufgetreten, sondern sehr ruhig und sehr bescheiden», sagt der heutige Leiter des Eisfjord-Centers, eines Informationszentrums in Sichtweite der kolossalen Eisberge.
Laut einer Studie hat sich die Arktis, wo hauptsächlich Grönland liegt, in den letzten Jahrzehnten fast viermal so schnell erwärmt wie der Rest der Welt. Dies hat sowohl globale als auch lokale Auswirkungen: Während der weltweite Meeresspiegel aufgrund der Eisschmelze in Grönland stetig steigt, müssen sich die Bewohner der größten Insel der Welt an eine neue Realität anpassen. Gleichzeitig geht der Klimawandel mit zunehmenden wirtschaftlichen Ambitionen einher, die sich auch in den Besitzansprüchen von US-Präsident Donald Trump widerspiegeln.
Alles hängt vom Eis ab
«Der Rückgang des Eises bedeutet ein neues Kapitel für Grönland», sagt der Klimafolgenforscher Pelle Tejsner von der grönländischen Universität Ilisimatusarfik.
Alle Grönländer spüren den Klimawandel, aber einige sehen mehr positive als negative Effekte. Je mehr sie vom Eis für die Nahrungsbeschaffung abhängig sind, desto negativer betrachten sie den Klimawandel.
Hinzu kämen Sorgen wegen der zunehmenden Unvorhersehbarkeit des Wetters vor allem im Norden Grönlands. «Die Leute können das Wetter nicht mehr so genau lesen wie früher», sagt er. «Sie können nicht einschätzen, ob es noch sicher ist, zur Robben- oder Waljagd aufzubrechen.»
In Südgrönland sind die Bedingungen mittlerweile günstiger geworden, um beispielsweise Kartoffeln und Gemüse anzubauen. Diese Produkte müssen normalerweise teuer aus Dänemark importiert werden, weshalb die Preise in den Supermärkten in Grönland entsprechend hoch sind.
Weniger Hunde, mehr Fisch
In Ilulissat erzählen Fischer, dass das Meereis ihre Hundeschlitten früher nicht mehr trug, die sie beim Fischfang und bei der Jagd einsetzten. Deshalb gibt es heute in der 5.000-Einwohner-Stadt viel weniger Hunde als früher – dafür aber viele mehr Boote, mit denen die Fischer jetzt eine viel größere Menge an Heilbutt fangen als zuvor.
Ein weiterer positiver Effekt ist laut Sandgreen, dass Versorgungsschiffe quasi das ganze Jahr über nach Ilulissat kommen können. «Als ich als Kind in den Supermarkt gegangen bin, hatten sie dort manchmal keinen Käse, keine Milch, keine Eier. Manche Geschäfte waren damals komplett leer.» Das sei heute anders.
Gleichzeitig sind da stärkere Stürme, die heftige Wellen an den Küsten auslösen können. Ein Freund von ihm habe in solch einem Sturm vor drei Jahren sein Haus verloren, erzählt Sandgreen. «Das haben wir so vorher noch nie erlebt.»
Er befürchtet, dass der Klimawandel zu einer Zunahme von Tsunamis wie dem in Nordgrönland 2017 führen könnte. Sandgreen äußerte Bedenken, dass ein Museum in Ilulissat bald schließen muss, da der darunter liegende Permafrost rapide schmilzt und das Gebäude dadurch absackt. Das Auftauen hat in der Region Erdrisse verursacht, die er in dieser Form noch nie gesehen hat.
Ein Rennen um Ressourcen
Gleichzeitig bedeutet der Klimawandel für Grönland, dass Bodenschätze freier zugänglich und einst zugefrorene Schifffahrtsrouten zumindest im Sommer passierbar werden. Die Anzahl der durchfahrenden Schiffe in der Arktis ist innerhalb eines Jahrzehnts um 37 Prozent gestiegen, während die von ihnen zurückgelegte Strecke um 111 Prozent zugenommen hat. Der Hafen von Nuuk könnte zu einem wichtigeren Umschlagplatz und einer Einnahmequelle für die grönländische Wirtschaft werden.
Auch wenn der Weg von der Nordwest- zur Nordostpassage in Zukunft frei wird, könnte dies die Fahrtzeit der Schiffe zwischen Europa und Japan oder China im Vergleich zur Reise durch den Suezkanal von 22 auf etwa 10 Tage verkürzen. Nicht überraschend ist, dass China seit Jahren versucht, einen Fuß in die arktische Tür zu bekommen. Dass Trump so etwas aus militärischer wie wirtschaftlicher Sicht verhindern will, liegt auf der Hand.
Jedoch setzt man noch größere Erwartungen auf die Rohstoffe der Insel. Bereits heute erkennen Wissenschaftler – und die Weltmächte – in ihnen ein enormes Potenzial.
«Grönland ist wie ein Süßwarenladen für seltene Erden», sagt Tejsner. Wer sich die grönländischen Mineralvorkommen sichere, könne neben Weltmarktführer China zum Big Player werden. «Darum ging es in der Arktis schon immer: Es ist ein Rennen um Ressourcen», sagt der Forscher. Der Klimawandel habe dieses Rennen letztlich beschleunigt. «Er hat Möglichkeitsfenster geöffnet: Das Eis schmilzt und neues Land eröffnet sich.»