Bis tief in die Nacht diskutieren, abstimmen, stricken: Das hat bei Grünen-Parteitagen Tradition. Neu sind Freundschaftsbändchen, wie bei den Fans der US-Popikone Taylor Swift.
Grünen-Parteitag: «Auf geht’s mit Robert in den Wahlkampf»
Das Motto gibt Jürgen Trittin schon vor der Nominierung aus: «Auf geht’s mit Robert in den Wahlkampf!», ruft das Grünen-Urgestein den Delegierten in Wiesbaden zu. An diesem Sonntag soll der Parteitag Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als Kanzlerkandidaten nominieren.
Ein ambitioniertes Projekt bei Umfragewerten zwischen 11 und 12 Prozent. Die Grünen fangen das mit Unbestimmtheit auf. Spitzenvertreter unterstreichen zwar, natürlich solle Habeck Kanzlerkandidat werden. In dem Dringlichkeitsantrag, mit dem er aufgestellt wird, heißt er aber nur «Kandidat für die Menschen in Deutschland». Er habe «das Zeug zu einem guten Bundeskanzler». Den Wahlkampf soll er als Spitzenduo mit Außenministerin Annalena Baerbock führen.
Betont selbstbewusst tritt der frühere Umweltminister Trittin auf, der in Wiesbaden verabschiedet wurde. «Wir Grünen sind eine Zumutung. Wir sind eine Zumutung, weil wir immer den Mut gehabt haben, die Menschen als Erwachsene zu behandeln», gab er seiner Partei mit auf den Weg. Damit meint er: Die Grünen muten den Menschen unbequeme Wahrheiten zu.
Wollpullis seit 45 Jahren
Seit dem Auftakt ihres Parteitags am Freitag haben die Grünen schon einiges an Parteifolklore zelebriert. «Warum stricken wir seit 45 Jahren Wollpullis, warum immer diese Obsession? Die Antwort kriegen wir jetzt im Spätherbst 2024 und sie heißt “Winterwahlkampf”», erklärt die kurz darauf gewählte Co-Vorsitzende der Partei, Franziska Brantner, in ihrer Bewerbungsrede. Auch Freundschaftsbändchen mit dem Schriftzug «Kanzler Era» werden geknüpft – in Anspielung auf das Video, mit dem Habeck in der vergangenen Woche seine Kandidatur-Erklärung andeutete und in dem er ein solches Armband trug.
Die Grünen haben bereits die ersten Schritte auf dem Weg zum Wahlprogramm unternommen, das aufgrund der Kürze des Wahlkampfs knackiger als üblich ausfallen soll. Bis Donnerstag haben sie die Möglichkeit, erste Ideen in einer Online-Befragung zu äußern. Anfang Dezember wird der Bundesvorstand einen Entwurf vorlegen, der dann in Seminaren diskutiert werden soll, wie die Politische Geschäftsführerin Pegah Edalatian ankündigt. Am 26. Januar soll das Bundestagswahlprogramm bei einem eintägigen Parteitag in Berlin verabschiedet werden, am 23. Februar ist die Wahl geplant.
Beschlüsse von Erbschaftsteuer bis AfD
Am Samstagabend fassen die Grünen eine Reihe inhaltlicher Beschlüsse. So wollen sie bei der Erbschaftsteuer ein komplett neues Modell einführen. Vorgesehen ist ein «Lebensfreibetrag für alle» in Höhe von beispielsweise einer Million Euro, statt der bisherigen Freibeträge, die vom Verwandtschaftsverhältnis zwischen Erblasser und Erben abhängen. Oberhalb des Freibetrags solle dann ein linearer Steuersatz von etwa 25 Prozent für alle Vermögensgegenstände gleichermaßen gelten – inklusive Immobilien, Betriebsvermögen und Aktien.
Eine große Mehrheit der Delegierten stellt sich hinter einen Antrag, der für ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD wirbt. Ein solches Verfahren sei «erforderlich, zum Schutz der Demokratie und der unveräußerlichen Rechte jedes Einzelnen», heißt es darin. «Man sollte nicht aus Sorge vor einer möglichen Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht von einem Parteiverbotsverfahren absehen», führen die Grünen aus.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz setzt sich seit langem für ein Verbot der AfD ein. Gemeinsam mit Mitstreitern – auch von den Grünen – hat er einen entsprechenden Antrag im Bundestag vorgelegt. Laut Wanderwitz hat der Antrag 113 Unterstützer aus verschiedenen Fraktionen. Die Abgeordneten möchten, dass das Bundesverfassungsgericht prüft, ob die AfD verfassungswidrig ist. Wann über den Antrag im Bundestag abgestimmt wird, ist noch unklar.
Die Delegierten bekräftigen auch die Forderung nach einem Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen. Außerdem soll es aus Sicht der Partei mehr Entscheidungsspielräume für Kommunen geben, um innerorts flächendeckend Tempo 30 einzuführen. Sie plädieren zudem für die Einführung eines sozial gestaffelten Klimagelds zum Ausgleich für den steigenden CO2-Preis, der Heizen und Tanken mit fossilen Brennstoffen verteuert. Am späten Abend sprachen sich die Delegierten noch mit sehr großer Mehrheit für die Abschaffung von Arbeitsverboten für Ausländer aus.