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Kann das klappen? Habecks Kurs aufs Kanzleramt

Sie steht ihm nicht mehr im Weg: Nach Baerbocks Rückzug läuft es auf Habeck hinaus. Er wird für die Grünen ums Kanzleramt kämpfen. Gut stehen die Chancen nicht – aber spannend wird es allemal.

«Das haben wir gut im Griff», sagt Habeck über die Frage der Grünen-Kanzlerkandidatur.
Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Nach langen Diskussionen wurde im Ausschlussverfahren die Entscheidung getroffen: Wirtschaftsminister Robert Habeck wird Kanzlerkandidat der Grünen. Seine Konkurrentin Annalena Baerbock hat ihren Verzicht erklärt. Die Grünen werden einen Kanzlerkandidaten für die nächste Bundestagswahl aufstellen und damit auch Anspruch auf den Spitzenjob der Regierung erheben, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Grünen-Führungskreisen erfuhr. Doch warum sollte das überhaupt interessant sein für eine Partei, die in den Umfragen bei 11 bis 13 Prozent liegt?

Kommunikationsberater: Rennen ist offener als es aussieht

Der Grünen-Abgeordnete Sven-Christian Kindler hält es für möglich, dass die Grünen bei der Bundestagswahl im Herbst 2025 stramme 25 Prozent erreichen. Vor der Wahl 2021 hatte die SPD ähnliche Umfragewerte, wie er im Deutschlandfunk sagte. Als die SPD-Parteichefs im August 2020 Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten ernannten, lag die Partei jedoch nur bei 14 bis 15 Prozent in den Umfragen. Aktuell liegt die Partei zwischen 14 und 16 Prozent, während die CDU/CSU bei rund 30 Prozent steht.

Doch auch Johannes Hillje sagt, das Rennen sei offener, als es derzeit aussehe. «Dass die Grünen das Kanzleramt holen, ist aktuell unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.» 2014 war er Wahlkampfmanager der europäischen Grünen im Europawahlkampf. Inzwischen ist Hillje Politik- und Kommunikationsberater und hat nach eigenen Angaben schon für alle drei Ampel-Parteien gearbeitet, für Unternehmen, Bundesministerien und Verbände. 

Nicht nur Habeck hat Altlasten

Es sehe nach einer Auseinandersetzung zwischen Friedrich Merz (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Habeck aus. Altlasten sieht Hillje bei allen dreien: «Merz hat die Rhetorik der AfD kopiert, Scholz bleibt blass, Habeck hängen das Heizungsgesetz und die AKW-Entscheidung nach.» 

Zur Aufstellung eines Kanzlerkandidaten würde er den Grünen so oder so raten. Die Umfragen seien volatil, Verbesserung möglich. «Und es wäre unklug, auf die zusätzliche Aufmerksamkeit der Medien zu verzichten, die eine Kanzlerkandidatur bringt, bis hin zur Teilnahme an TV-Debatten.»

Regierungspartei statt Underdog

Anders als im letzten Wahlkampf 2021 treten die Grünen dieses Mal jedoch nicht mit einer gesellschaftlichen Stimmung für mehr Klimaschutz im Rücken an. Damals kamen sie aus der Opposition, kokettierten mit der Rolle als Underdog und Hoffnungsträger. Heute wissen Wählerinnen und Wähler, was grüne Politik bedeutet – und viele lehnen sie entschieden ab. Das Europawahlergebnis von weniger als 12 Prozent war katastrophal. Die Grünen wollen ihre Stammwähler nicht vergraulen, müssen aber deutlich an Zustimmung gewinnen. Wie das gelingen soll, ist unklar.

«Habeck muss sich offen zeigen für den Dialog mit Wählergruppen, die die Grünen in den letzten Jahren verloren haben», glaubt Hillje. «Damit das klappt, muss er noch mehr auch in schmerzhafte Diskussionen gehen, etwa mit Leuten, denen Nachhaltigkeit wichtig ist, aber die Rezepte der Grünen nicht überzeugen.» 

Schwieriges Thema Migration

Das gesellschaftliche Top-Thema Migration fassen manche Grüne nur mit spitzen Fingern an. Der Wunsch gerade linker Grüner nach mehr Offenheit entspricht nicht dem Mainstream, das ist der Partei klar. «Wir können bei dem Thema nicht gewinnen», heißt es dann. Aus Sicht Hilljes ein Fehler. «Die Menschen erwarten, dass Migration nach Spielregeln funktioniert, haben aber aktuell nur den Eindruck, dass da zu viel Chaos herrscht in Deutschland und Europa.» Und: «Die These, dass Problembenennung der AfD in die Karten spielt, ist falsch – Problemignoranz tut das. Wenn man hier glaubhaft auftritt, ist es auch möglich, sich für Fachkräfteeinwanderung und humane Flüchtlingspolitik einzusetzen.»

Die Leidenschaft, mit der die Grünen Probleme diskutieren und Kompromisse kritisieren, stellt ein Problem für die Partei dar. Realos beschreiben dies folgendermaßen: Solange es kein Ergebnis zu schwierigen Themen wie der Bezahlkarte für Flüchtlinge gibt, verliert die Partei Unterstützung von allen Seiten. Linke Wähler finden den Kompromiss zu streng, konservative Sympathisanten schütteln den Kopf über die Bedenkenträger. Die Disziplin hat jedoch bereits zugenommen, sagt ein Beobachter. Dafür gibt es Anzeichen: Als Habeck, der keine Angst vor klaren Worten hat, kürzlich die Abschiebung von schweren Straftätern und Gefährdern nach Syrien und Afghanistan befürwortete, blieb ein Aufschrei aus.

Mit Habeck wird es spannend 

Man muss Habeck nicht mögen, ein Langweiler ist er nicht. «Er stillt den Durst der Gesellschaft nach Orientierung, rhetorisch und intellektuell», sagt ein Grüner über ihn. Kleinmut, Stillstand, Übervorsicht sind dem Instinkt-Politiker Habeck zuwider, er empfindet sie als Hemmnisse für erfolgreiche Politik. Bei öffentlichen Auftritten spricht er anders als Baerbock stets frei, der Verzicht aufs Manuskript scheint ihm eine Frage der Ehre, vielleicht auch der Eitelkeit. Oft geht es gut, auch lange Reden sind häufig gut strukturiert und unterhaltsam. 

Wenn es aber schief geht, verheddert sich Habeck in seltsamen Sprachbildern und schrägen Vergleichen oder vergreift sich im Ton. Einen Ort der Begegnung zwischen Süd- und Nordkoreanern verglich er bei einem Besuch an der schwer militärisch gesicherten Grenze jüngst mit der «Mixed Zone» im Fußball. Und die USA forderte er bei einer Rede vor amerikanischen Studenten jüngst auf, doch bitte ihre «Scheiß Probleme zu lösen». Im O-Ton: «Solve the fucking problems.»

Wie es weitergeht

Habecks offizielle Bewerbung für die grüne Pole Position im nächsten Bundestagswahlkampf steht noch aus. «Alle weiteren Fragen für Wahlkämpfe werden wir dann organisieren über die Gremien und dann uns rechtzeitig melden», erklärte er Journalisten auf seiner Sommertour in Paderborn. Wer ihn beobachtet, kann jedoch keinen Zweifel haben, dass Habeck es will – die Frage ist nur, wann er dies offiziell verkündet und von der Partei gewählt wird. Am wahrscheinlichsten ist, dass dies erst nach den Landtagswahlen im Osten im September geschieht. Dadurch wären die erwartet desaströsen Grünen-Ergebnisse dort etwas weniger mit seiner Person verbunden.

Einen lähmenden Machtkampf immerhin hat Baerbock ihrer Partei mit dem im US-Sender CNN erklärten Kandidatur-Verzicht erspart. Sie selbst begründete den Schritt mit den Krisen der Welt, die sie als Außenministerin forderten. Das ist nicht unplausibel, andererseits: Was hätte sie sonst sagen sollen? Dass «der Robert» ein besserer Kandidat sei? Wohl kaum. Hillje hält den Schritt für klug. «Sie hat den selbstbestimmten Rückzug einem riskanten Machtkampf vorgezogen.» 

Die Veranstaltung beginnt um 19:00 Uhr und endet um Mitternacht. Es gibt ein Buffet und Live-Musik. Der Eintritt kostet 20 Euro.

“Es tut mir leid, aber wir haben keine Zimmer mehr für heute Abend verfügbar”, sagte der Rezeptionist höflich.

dpa