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Haft, Exil, Flucht: Proteste in Kuba werfen langen Schatten

Das hatte es wohl so seit Castros Revolution nicht gegeben: Vor einem Jahr gingen die Kubaner gegen Misswirtschaft und Repression auf die Straße. Die Regierung schickte Hunderte ins Gefängnis und andere ins Exil.

Die Polizei verhaftet einen regierungskritischen Demonstranten während einer Demonstration in Havanna.
Foto: Ramon Espinosa/AP/dpa

So wichtig sei er sich noch nie vorgekommen, erzählt Hamlet Lavastida. Als er vergangenen September aus seiner Heimat Kuba nach Polen abgeschoben worden sei, habe man ihn und seine damalige Freundin mit Polizeieskorte zum Flughafen von Havanna gefahren und in den VIP-Bereich geführt. Um die 20 Geheimdienstagenten hätten sie zur Tür eines Linienfliegers gebracht, ihnen die Koffer ins Flugzeug getragen und Telefon, Reisepass und Bordkarte in die Hand gedrückt.

So war der bildende Künstler nach 93 Tagen Haft plötzlich frei, wie er der Deutschen Presse-Agentur aus dem Exil in Berlin erzählt – von Polen, wo er Familie hat, ist er inzwischen dorthin gezogen. Wie genau es zu der Abschiebung kam, ist dem 38-Jährigen bis heute nicht ganz klar. Wohl wegen der politischen Inhalte seiner Kunst und seiner Mitgliedschaft in regierungskritischen Gruppen war Lavastida im berüchtigten Gefängnis Villa Marista in Havanna gelandet. Kurz darauf erlebte er, wie sich der Knast nach einem für Kuba außergewöhnlichen Ereignis füllte: den Demonstrationen vom 11. Juli vor einem Jahr.

Ein wichtiger Auslöser der Proteste war die schwere wirtschaftliche Situation – die Knappheit an Lebensmitteln und Medikamenten, die häufigen Stromausfälle. Dazu trugen unter anderem der Einbruch des Tourismus in der Pandemie und das US-Embargo bei.

Friedliche Proteste, vereinzelt auch Randale

Die Tausenden Menschen, die anscheinend spontan im ganzen Land auf die Straßen gingen, forderten aber auch Freiheit und riefen «nieder mit der Diktatur». Bilder zeigten überwiegend friedliche Proteste, vereinzelt auch Randale. Nach einem Bericht der Aktivistengruppen Justicia 11J und Cubalex waren die Demos beispiellos in der Zeit seit der Revolution von 1959. In rund 60 Orten sei protestiert worden.

Lavastida war schon davor ins Visier der Regierung geraten. Im Staatsfernsehen war angeprangert worden, dass er in einer privaten Messenger-Gruppe eine Aktion vorgeschlagen hatte, bei der das Logo der Künstlergruppe 27N auf kubanische Geldscheine gestempelt werden sollte. So wurde er im Juni 2021 nach seiner Rückkehr von einem einjährigen Stipendium im Künstlerhaus Bethanien in Berlin-Kreuzberg festgenommen. Ihm sei Anstiftung zu einer Straftat vorgeworfen und mit langer Haft gedroht worden, sagt er.

Um freizukommen, musste Lavastida nach eigenen Angaben Reue äußern und sich zur Zusammenarbeit mit dem «Staatssicherheit» genannten Geheimdienst des Innenministeriums bereit erklären. Er habe niemandem davon erzählen dürfen und sofort das Land verlassen müssen – wohin, habe man ihm nicht gesagt. «Das war reines Theater; ich habe das nur gemacht, um aus der Situation rauszukommen», sagt Lavastida.

Androhung psychischer Folter

Zum Abschied vom Gefängnis habe es auch eine Warnung gegeben: Sollte er sich wieder feindselig gegenüber der Regierung verhalten und nach Kuba zurückkehren, werde er direkt wieder nach Villa Marista kommen. «Ich hole dich persönlich vom Flughafen ab», habe ihm ein Agent dort mit auf den Weg gegeben. In dem Gefängnis gab es laut dem Künstler enge Zellen, psychische Folter und häufige Verhöre. Noch immer leide er unter Träumen, Klaustrophobie und Platzangst, meide Menschen.

Die Regierung stellte die Demos als Destabilisierungsversuch der USA dar. «Der Kampfbefehl ist erteilt, Revolutionäre auf die Straße», sagte Staatspräsident Miguel Díaz-Canel. Auf Videos war zu sehen, wie teils in zivil gekleidete Sicherheitskräfte Demonstranten mit Fäusten und Stöcken schlugen, sie in Autos zerrten und auch Schüsse abgaben. Der Tod eines Demonstranten wurde offiziell bestätigt. Das mobile Internet wurde abgeschaltet. Später wurde das Strafrecht verschärft. Die Generalstaatsanwaltschaft teilte am 13. Juni mit, wegen der «Unruhen» seien 381 Menschen verurteilt worden, 297 zu Haftstrafen.

Hunderte Menschen noch in Haft

Dem Aktivistenbericht zufolge wurden mehr als 1400 Menschen festgenommen, etwa die Hälfte sei noch in Haft. Mindestens 584 von ihnen seien, teils in Schnellverfahren, zu bis zu 30 Jahre Haft oder anderen Strafen verurteilt worden – darunter mindestens 27 Minderjährige. Die Anklagepunkte lauteten etwa öffentliche Unruhe, Ungehorsam, Aufruhr und Beleidigung der Symbole des Vaterlandes.

Nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte erhielt auch ein seit 1985 in Deutschland lebender Deutsch-Kubaner, Luis Frómeta, 25 Jahre Haft. Der Dresdner war demnach zu Besuch auf Kuba gewesen und hatte die Proteste privat mit dem Handy gefilmt. Es gehe ihm gesundheitlich schlecht. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, eine konsularische Betreuung Frómetas sei nur eingeschränkt möglich.

Nach Lavastida wurden weitere Dissidenten nach eigener Darstellung ins Exil verbannt. Andere sitzen im Gefängnis. Die Probleme bleiben. Zuletzt machten Videos in sozialen Medien die Runde, in denen kubanische Mütter klagten, sie hätten Schwierigkeiten, ihre Kinder zu ernähren. Kuba erlebt eine wohl noch größere Fluchtwelle als die Mariel-Bootskrise von 1980, als 125.000 Menschen das Land verließen.

Lavastida meint, wenn es die letzten Symbole der Revolution wie den 91-jährigen Raúl Castro nicht mehr gebe, werde die Kommunistische Partei zerbröckeln. Die Regierung habe den Respekt der Menschen verloren. Ihr bleibe nur noch, Angst zu verbreiten. Er habe aber schon bei seiner Abschiebung gemerkt: «Sie haben selbst Angst.»

dpa