Nach dem Raketenangriff auf Israel hat Premier Benjamin Netanjahu Vergeltung angekündigt. Was droht nun in dem Konflikt, der zunehmend eskaliert?
Was folgt nach Irans Raketenangriff auf Israel?
Die Luftstreitkräfte der Revolutionsgarden, Irans Elitestreitmacht, haben zum zweiten Mal in diesem Jahr direkt den Erzfeind Israel angegriffen. Etwa 200 Raketen wurden abgefeuert, die auf Luftwaffenstützpunkte und das Hauptquartier des Geheimdienstes Mossad abzielten. Nach israelischen Angaben wurde der Angriff größtenteils abgewehrt – dennoch plant Regierungschef Benjamin Netanjahu eine Antwort. Fragen und Antworten zur zunehmenden Eskalation des Konflikts:
Wie könnte ein israelischer Gegenschlag aussehen?
Israel hat bereits erklärt, entschlossen auf den Raketenangriff zu reagieren. Das Militär oder die Regierung hat jedoch weder mögliche Ziele noch den Zeitpunkt genannt. Aufgrund des jüdischen Neujahrsfestes Rosch Haschana, das in diesen Tagen gefeiert wird, ist es unwahrscheinlich, dass der Gegenangriff unmittelbar bevorsteht.
Laut US-Beamten könnte Israel die iranischen Nuklearanlagen angreifen, insbesondere die Anreicherungsanlagen in Natans. Diese Anlage in Zentraliran gilt als mögliches Ziel im Konflikt zwischen der Islamischen Republik und Israel. Teheran wird immer wieder vorgeworfen, nach Atomwaffen zu streben, so die «New York Times».
Auch die Infrastruktur der iranischen Öl- und Gasindustrie könnte angegriffen werden, was die Führung des rohstoffreichen Landes schwer treffen würde. Trotz der strengen internationalen Sanktionen erzielt die Regierung weiterhin ihre Haupteinnahmen aus dem Ölverkauf, wobei China der größte Abnehmer ist.
Experten sind der Ansicht, dass auch hochrangige Politiker oder Militärkommandanten mögliche Angriffsziele sein könnten. In den letzten Wochen haben Israels Militär und Geheimdienst gezeigt, dass sie ihre Feinde, einschließlich Anführer der islamistischen Hamas und der libanesischen Hisbollah-Miliz, selbst in gut geschützten Bunkern tief unter der Erde erreichen können. Solche Angriffe hätten jedoch wahrscheinlich das größte Eskalationspotenzial.
Wie gut sind Israel und Iran militärisch aufgestellt?
Die Islamische Republik Iran hat eine der größten Armeen im Nahen Osten, mit mehr als 600.000 aktiven Soldaten und rund 350.000 Reservisten. In den letzten Jahrzehnten hat das Land erheblich in sein Raketen- und Drohnenarsenal investiert. Beim Angriff auf Israel wurden erstmals auch Hyperschallraketen eingesetzt, die Israel in nur wenigen Minuten erreichen können. Die Standorte der Raketensilos und Drohnenbasen sind geheim, sollen aber teils tief unter der Erde oder in Gebirgsregionen geschützt sein.
Der größte Schwachpunkt der iranischen Streitkräfte ist die Luftwaffe. Die Flotte wird als stark veraltet angesehen, und aufgrund der internationalen Sanktionen stockt ihre Modernisierung. Viele Flugzeuge und Hubschrauber stammen noch aus der Zeit vor der Islamischen Revolution 1979, als das Land enge Beziehungen zu den USA unterhielt. Ähnliches gilt für die Luftabwehr des Iran, die im Falle eines israelischen Angriffs modernen Kampfflugzeugen deutlich unterlegen wäre.
Israels militärische Stärke übertrifft die des Irans in vielen Bereichen. Die Luftwaffe gilt als eine der modernsten weltweit, mit fortschrittlichen Kampfjets und Drohnentechnologie. Dank der engen militärischen Partnerschaft mit den USA hat Israel Zugang zu modernsten Waffensystemen. Israels Auslandsgeheimdienst Mossad ist bekannt für seine Spionage- und Sabotageoperationen. Außerdem gilt es als sicher, dass Israel – obwohl es nie offiziell zugegeben wurde – Atomwaffen besitzt.
Die Konfrontation droht zu eskalieren – für wen ist es das größere Risiko?
Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor etwa einem Jahr besteht die Gefahr, dass der langjährige Schattenkrieg zwischen dem Iran und Israel wieder eskaliert und sich zu einem größeren regionalen Konflikt ausweitet. Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 sieht sich Israel einem Mehrfrontenkonflikt mit militant-islamistischen Gruppen gegenüber. Teheran unterstützt diese Milizen seit vielen Jahren im Kampf gegen den gemeinsamen Feind.
Die Regierung von Netanjahu steht international in der Kritik, aufgrund der hohen Opferzahlen im Gazastreifen und einer möglichen Invasion im Libanon. Es gab militärische Erfolge mit der Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Hanija und Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah. Der Raketenangriff könnte aufgrund von Vorwürfen der Untätigkeit seitens der Anhänger der iranischen Führung erfolgt sein.
Das iranische Volk selbst stellt ein unvorhersehbares Risiko für Irans politische und militärische Führung dar. Trotz der militärischen Spannungen konnte selbst der als gemäßigt geltende Präsident Massud Peseschkian nichts daran ändern, dass ein Großteil der Gesellschaft im Iran der Regierung und dem islamischen Herrschaftssystem kritisch gegenübersteht. Er strebte zuletzt eine Annäherung an den Westen an und forderte neue Atomgespräche zur Aufhebung der Sanktionen, um die Wirtschaftskrise im Land zu bewältigen.
Welche Rolle spielen die USA?
Rückendeckung dürfte Israel von den USA erhalten. Der wichtigste Verbündete hilft dem jüdischen Staat uneingeschränkt bei der Abwehr iranischer Raketen. Zugleich graut es der US-Administration unter Präsident Joe Biden davor, wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in einen flächenbrandartigen Nahost-Krieg hineingezogen zu werden. Bei einem Vergeltungsangriff auf den Iran könnte Israel auf amerikanische Hilfe angewiesen sein, sei es in Form von geheimdienstlichen Informationen oder Bereitstellung bunkerbrechender Bomben. «Israel täte gut daran, seine Antwort mit der US-Administration abzustimmen, bevor es losschlägt», schrieb die regierungsnahe Zeitung «Israel Hajom». Wenige Wochen vor den Wahlen wolle Washington nicht in unüberschaubare militärische Aktivitäten verstrickt werden.