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Horst Köhlers spektakulärer Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten

Ein politischer Paukenschlag, der die Republik den Atem anhalten ließ. Köhler erklärte seinen Rücktritt mit sofortiger Wirkung, standen ihm dabei Tränen in den Augen.

Altbundespräsident Horst Köhler ist tot.
Foto: Martial Trezzini/KEYSTONE/dpa

Es war ein politischer Paukenschlag, der die Republik den Atem anhalten ließ. Am 31. Mai 2010 lud Bundespräsident Horst Köhler die Hauptstadtmedien überraschend zu einem Statement in seinen Amtssitz Schloss Bellevue ein. Was er zu sagen hatte, war noch überraschender: «Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten – mit sofortiger Wirkung.» Köhler standen dabei die Tränen in den Augen. Es handelte sich um einen bis dahin einmaligen Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik. Nichts blieb vom neunten deutschen Bundespräsidenten mehr in Erinnerung als dieser spektakuläre Rücktritt.

Keiner aus dem politischen Establishment

Ein Grund für diesen plötzlichen Schritt könnte sein, dass Köhler der erste Bundespräsident war, der keine politische Parteikarriere hatte und nicht an scharfe politische Auseinandersetzungen gewöhnt war. Köhler wurde am 22. Februar 1943 in dem zu dieser Zeit von deutschen Truppen besetzten polnischen Skierbieszow geboren. Seine Familie floh 1944 vor der Roten Armee in Richtung Westen, in die Nähe von Leipzig, und zog 1953 weiter nach Westdeutschland. Er studierte in Tübingen Wirtschaft, promovierte, arbeitete in Bonn und stieg im Bundesfinanzministerium bis zum Staatssekretär auf.

Im Jahr 1992 übernahm Köhler die Führung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, wechselte dann zur Osteuropabank in London. Im Jahr 2000 wurde er Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF). Dadurch hatte er eine wichtige Rolle in der globalen Finanzwelt inne und – im Gegensatz zu seiner späteren Position als Bundespräsident – auch Macht.

Der Umzug ins Schloss Bellevue kam unerwartet. Es war der Schachzug der Parteichefs Angela Merkel (CDU) und Guido Westerwelle (FDP), die damit ein Zeichen für ihre geplante schwarz-gelbe Koalition setzen wollten.

Als die Bundesversammlung ihn am 23. Mai 2004 zum höchsten Staatsamt wählte, war Köhler den meisten Deutschen unbekannt, wurde aber schnell beliebt. Im Amt war er unangefochten. 2009 wurde er wiedergewählt, setzte sich schon im ersten Wahlgang gegen drei Mitbewerber durch.

Als Bundespräsident notfalls unbequem

Sein Amt als neunter Bundespräsident trat Köhler am 1. Juli 2004 mit großem Anspruch an. «Meinen Amtseid verstehe ich als Verpflichtung, zur Erneuerung Deutschlands beizutragen.» Notfalls unbequem wolle er sein – was er bald unter Beweis stellte. Er mische sich zu sehr in die Tagespolitik ein, hielten ihm Kritiker vor.

Im November 2004 durchkreuzte Köhler mit einem öffentlich gewordenen Brief die Pläne des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), den Tag der Deutschen Einheit immer auf den ersten Sonntag im Oktober zu legen, um einen Feiertag einzusparen. Vor allem in der SPD wurde dies als Affront angesehen. Im Januar 2005 unterzeichnete Köhler zwar das Luftsicherheitsgesetz, regte jedoch eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht an. Dieses hob später die Bestimmung zum Abschuss von Passagiermaschinen im Notfall auf.

Im Oktober 2006 stoppte Köhler das Gesetz zur Privatisierung der Luftraumüberwachung, im Dezember das Verbraucherschutzgesetz. In der Koalition war man über diese Eingriffe in die Gesetzgebung verärgert. Die schwierigste Entscheidung seiner Amtszeit musste Köhler gleich nach einem Jahr im Amt treffen. Am 21. Juli 2005 löste er den 15. Deutschen Bundestag auf und folgte damit Schröders umstrittenen Ansinnen nach einer vorgezogenen Wahl.

Anwalt des afrikanischen Kontinents

Köhler setzte auf internationaler Bühne vor allem Zeichen für Afrika. Der Nachbarkontinent war gewissermaßen seine außenpolitische Agenda. Schon die erste große Auslandsreise im Amt führte ihn nach Sierra Leone, Benin, Äthiopien und Dschibuti. Zwölf afrikanische Länder besuchte er in den sechs Jahren seiner Amtszeit.

Der afrikanische Kontinent beschäftigte Köhler schon als IWF-Chef stark. «Ich hab’ mein Herz in Afrika verloren» – diesen Satz hörte man oft aus seinem Mund. In seiner Antrittsrede als Bundespräsident am 1. Juli 2004 sagte er: «Für mich entscheidet sich die Menschlichkeit unserer Welt am Schicksal Afrikas.»

Bei einem Abendessen anlässlich Köhlers 80. Geburtstags würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seinen Vorgänger im März 2023 als Anwalt des afrikanischen Kontinents: «Sie sind ein verlässlicher, ein leidenschaftlicher Freund Afrikas.» Auch in seinem Kondolenzschreiben an die Witwe Eva Luise Köhler hob Steinmeier das Engagement Köhlers für einen fairen Umgang mit Afrika hervor: «Damit war er der Zeit weit voraus.»

Rücktritt als Antwort auf Kritik

Der Rücktritt von Köhler kam völlig unerwartet – auch für Kanzlerin Merkel, die noch versuchte, ihn umzustimmen. Vergeblich. Was war passiert? Auslöser war ein Interview zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, das zunächst weitgehend unbemerkt blieb, dann aber heftige Kritik auslöste. Köhler gab es dem Deutschlandradio Kultur auf dem Heimflug nach einem Blitzbesuch in Masar-i-Scharif bei den in Afghanistan stationierten deutschen Soldaten.

Es war ein langer, umständlich formulierter Satz, der die Kritiker erzürnte. Köhler sagte, dass «ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege (…)». Köhler wurde vorgeworfen, er rechtfertige damit auch den Afghanistan-Einsatz mit wirtschaftlichen Interessen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sprach von «Kanonenbootpolitik».

Die Kritik gehe so weit, ihm zu unterstellen, er befürworte vom Grundgesetz nicht gedeckte Einsätze der Bundeswehr, sagte Köhler bei seinem Rücktritt. «Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen.»

Vom Staatsoberhaupt zum UN-Beauftragten

In der Folge wurde es um Köhler relativ ruhig. Er setzte sein Engagement für Afrika und die Entwicklungspolitik fort. 2016/2017 leitete er zusammen mit dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan eine Kommission der Afrikanischen Entwicklungsbank. Im Jahr 2017 ernannte ihn UN-Generalsekretär António Guterres zum Sonderbeauftragten für den Westsahara-Konflikt. Nur knapp zwei Jahre später legte Köhler auch dieses Amt vorzeitig nieder – diesmal aus gesundheitlichen Gründen.

Köhler gründete 2006 zusammen mit seiner Frau Eva Luise eine Stiftung, die sich für eine verbesserte medizinische Versorgung von Menschen mit Seltenen Erkrankungen einsetzt. Im Jahr 2021 engagierte er sich erneut politisch und übernahm die Schirmherrschaft für den ersten bundesweiten Bürgerrat für Klimapolitik.

Seinen Abgang von der Staatsspitze bereute er nicht. «Das war keine Entscheidung, die mir Freude bereitet hat», sagte Köhler im Februar 2023 in einem Interview der «Süddeutschen Zeitung» zu seinem 80. Geburtstag. «Aber ich bin da völlig mit mir im Reinen.»

dpa