Komplette Leistungskürzung: Für die einen war dies ein Ziel der Bürgergeldreform – für andere eine zu große Härte. Lange hat die Koalition darum gerungen. Jetzt legt sie ihre Pläne vor.
Im Kabinett: Mehr Härten bei neuer Grundsicherung

Etwa drei Jahre nach dem Beginn der Bürgergeldreform plant die Koalition, die Vorschriften zu verschärfen und den Namen erneut zu ändern. Das Bundeskabinett wird heute grünes Licht für einen entsprechenden Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) geben. In letzter Minute einigten sich die Regierungsparteien auf genaue Formulierungen für einen vollständigen Wegfall der staatlichen Unterstützung, nachdem das Wirtschaftsministerium unter Katherina Reiche (CDU) und das Innenressort von Alexander Dobrindt (CSU) den Entwurf letzte Woche zunächst nicht freigegeben hatten.
Schon heute können Bürgergeld-Sanktionen verhängt werden, wenn Arbeitslose Termine im Jobcenter, zumutbare Jobangebote oder Weiterbildungen versäumen. Die Sanktionen belaufen sich derzeit auf 10, 20 oder 30 Prozent. Laut Regierungskreisen wurden die möglichen Schritte beim Kürzen der Leistungen mit der nun abgeschlossenen Lösung neu festgelegt.
In Zukunft kann das neue Grundsicherungsgeld sofort um 30 Prozent für drei Monate gekürzt werden, wenn ein Arbeitsloser beispielsweise keine Bewerbungen schreibt oder einen Förderkurs ablehnt – das entspricht rund 150 Euro im Monat. Bei verpassten Terminen gilt: Die Kürzung um 30 Prozent erfolgt für einen Monat bei zwei Versäumnissen. Eine vollständige Streichung folgt bei drei Versäumnissen. Betroffene gelten dann als nicht erreichbar. Es besteht auch die Gefahr des Verlusts der Übernahme der Wohnkosten.
Gelegenheit zu persönlicher Anhörung
Vorher muss das Jobcenter jedoch den Fall überprüfen. Zuerst per Brief mit der Möglichkeit zur Antwort. Innerhalb der Regierung wurde nun neu vereinbart, dass die Behörde dem Betroffenen die Gelegenheit zur persönlichen Anhörung geben muss – beispielsweise durch einen Telefonanruf oder einen Besuch.
Was ist jedoch, wenn jemand nicht erreichbar ist? Soll er dadurch die Sanktion verhindern können? Das war die Bedenken der Wirtschaftsministerin. Die neue Formulierung soll klarstellen, dass die persönliche Anhörung nicht unbedingt stattgefunden haben muss: Betroffene sollen nicht durch Untertauchen den Leistungsentzug verhindern können. In Ausnahmefällen, bei psychisch Kranken oder aus anderen wichtigen Gründen, soll die Regel für Terminverweigerer nicht gelten.
Teile der SPD-Basis möchten die Reform noch durch ein Mitgliederbegehren stoppen, unter anderem aufgrund der Befürchtung einer Zunahme sozialer Härten bis hin zur Obdachlosigkeit von Betroffenen.
Betroffene und Vermögen
Von den 5,5 Millionen Leistungsberechtigten sind nur wenige von Sanktionen betroffen. Im Durchschnitt gab es letztes Jahr weniger als 30.000 solcher Kürzungen pro Monat. Bereits 2019 hatte das Bundesverfassungsgericht die Sanktionen eingeschränkt: Damals wurden Kürzungen von 60 Prozent beim zweiten Pflichtverstoß pro Jahr als unzumutbar untersagt. Es blieben 30 Prozent weniger erlaubt. Die Sanktionen wurden vorübergehend ausgesetzt.
Der Staat plant, in Zukunft auch strenger beim Vermögen der Betroffenen vorzugehen. Laut dem Gesetzentwurf soll eine feste Karenzzeit für die Schonung von Vermögen abgeschafft werden. Es ist vorgesehen, dass zunächst eigenes Einkommen und Vermögen genutzt werden müssen, bevor Grundsicherung gewährt wird. Zukünftig wird die Höhe des Schonvermögens vom Lebensalter abhängig sein. Die Kosten der Unterkunft sollen nur in geringem Maß berücksichtigt werden.
Die Vorgeschichte
Mit dem 1. Januar 2023 gestarteten Bürgergeld hatten die damalige Ampelregierung auf Betreiben der SPD hin ein «neues System weg von Hartz IV» schaffen wollen, wie es Bas Amtsvorgänger Hubertus Heil (SPD) damals ausdrückte. Der Hintergrund: Fachkräftemangel und Rekordbeschäftigung. Auch die Union war an der Gestaltung des Hartz-IV-Nachfolgers beteiligt – über ein nötig gewordenes Vermittlungsverfahren von Bundestag und Bundesrat. Doch kaum in Kraft geriet das Bürgergeld in die Kritik, auch weil die Leistungen – heute 563 Euro für Alleinstehende – Anfang 2024 überproportional anstiegen und die Wirtschaft in Deutschland schwächelte.
Wenig Einsparungen
Die schärferen Regeln wurden zunächst im Koalitionsvertrag von Union und SPD und dann in einem Spitzentreffen im Oktober vereinbart. Das Jobcenter soll sich künftig darauf konzentrieren, direkt in Arbeitsplätze zu vermitteln, es sei denn, eine Weiterbildung erscheint erfolgversprechender. Die Angebote für Betroffene sollen in einem gemeinsamen Kooperationsplan zusammengestellt werden.
Mit dem Gesetzentwurf wird nicht viel gespart werden: Im Jahr 2026 sollen insgesamt 86 Millionen Euro bei Bund, Ländern, Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit eingespart werden, dann 70 Millionen Euro, während in den darauffolgenden Jahren sogar 11 beziehungsweise 9 Millionen Euro mehr anfallen sollen. Der Kabinettsbeschluss soll nun das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag und Bundesrat fortsetzen.








