Israels Sicherheitskabinett und Regierung müssen eine Einigung mit der Hamas noch billigen. Der Weg bis zum dauerhaften Ende des Gaza-Kriegs ist noch weit. Kommen die ersten Geiseln am Sonntag frei?
In Gaza sollen die Waffen ruhen – Hält der Deal?
Die verkündete Einigung zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas auf eine Waffenruhe im Gazastreifen weckt Hoffnung auf ein Ende des seit 15 Monaten andauernden Krieges, wie von den Vermittlerstaaten angekündigt. Israels Staatspräsident Izchak Herzog rief das Sicherheitskabinett und die Regierung seines Landes auf, die Vereinbarung mit der Hamas zu billigen. Das Büro des Regierungschefs teilte am Abend mit, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu werde erst nach Abschluss letzter Detailfragen eine Erklärung abgeben. Es wird erwartet, dass das Kabinett heute über das Abkommen abstimmt.
«Wir befinden uns in einem äußerst entscheidenden Moment», sagte Herzog nach Angaben seines Büros. Der israelischen Nachrichtenseite «Ynet» zufolge handelt es sich bei den laut Netanjahus Büro noch zu klärenden Einzelheiten um «technische Details» wie die Zusammensetzung der Liste palästinensischer Häftlinge, die Israel im Austausch für die Hamas-Geiseln im Gazastreifen freilassen soll. Mit der Billigung durch das Sicherheitskabinett und die Regierung ist israelischen Medien zufolge aber zu rechnen. Demnach soll das Kabinett heute um 10.00 Uhr MEZ zusammentreten, unmittelbar danach dann auch die Regierung.
Feuerpause soll am Sonntag in Kraft treten
Der Ministerpräsident von Katar, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, hat gestern angekündigt, dass die Waffenruhe am Sonntag um 11.15 Uhr MEZ beginnen und zunächst für 42 Tage gelten soll. Berichten zufolge sollen noch am selben Tag die ersten Geiseln nach Israel zurückkehren. Im Rahmen der Waffenruhe sollen 33 der insgesamt 98 Entführten im Austausch gegen palästinensische Häftlinge freigelassen werden – wobei unklar ist, wie viele Geiseln noch am Leben sind. Israelische Krankenhäuser haben sich auf die Aufnahme von tief traumatisierten, teilweise auch kranken und verletzten Menschen vorbereitet.
Während im abgeriegelten Gazastreifen die Menschen in Jubel ausbrachen, nahmen Angehörige der israelischen Geiseln die Verkündung einer Einigung mit gemischten Gefühlen auf. «Für mich ist es erst vorbei, wenn es vorbei ist», sagte Jimmy Miller, Cousin der deutsch-israelischen Geisel Schiri Bibas, im Zentrum von Tel Aviv. Der Platz war am Abend ungewöhnlich leer, niemand schien in Feierstimmung.
Netanjahu dankt Biden und Trump
Gemäß dem Weißen Haus gratulierte der ausscheidende US-Präsident Joe Biden Netanjahu zum Waffenruhe-Deal, der in drei Phasen aufgeteilt ist. Beide Politiker diskutierten über die unvorstellbaren Bedingungen, die die Geiseln – darunter auch Amerikaner – ertragen mussten, sowie über das schreckliche Leid ihrer Familien. Biden unterstützte Israel immer, äußerte jedoch auch zunehmend Kritik an der Kriegsführung. Sein designierter Nachfolger Donald Trump ist hingegen als enger Verbündeter Netanjahus bekannt.
Er habe Trump für seine Unterstützung beim Voranbringen des Abkommens gedankt, teilte Netanjahus Büro mit. Der Republikaner habe Israel geholfen, «das Leiden Dutzender Geiseln und ihrer Familien zu beenden». Netanjahu lobte demnach auch Trumps Äußerungen, dass die USA gemeinsam mit Israel sicherstellen wollten, dass der Gazastreifen niemals Zufluchtsort für Terroristen werde. Beide wollten sich «demnächst» in Washington treffen und diese wie auch weitere Fragen erörtern.
UN-Nothelfer sehen Hoffnung für Millionen in Gaza
Die vereinbarte Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas biete «dringend benötigte Hoffnung für Millionen Menschen, deren Leben durch diesen Konflikt zerstört wurden», sagte UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher. Der wichtige Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und Gaza soll bereits heute Morgen wieder eröffnet werden. Entsprechende Anweisungen seien eingegangen, bestätigte ein Sicherheitsbeamter der Deutschen Presse-Agentur. Rund 600 Lastwagen mit Hilfslieferungen wurden demnach für die Einfuhr vorbereitet.
Die humanitäre Situation im abgeriegelten Küstenstreifen am Mittelmeer hat sich aufgrund der monatelangen Bombardierungen dramatisch verschlechtert. Laut UN-Angaben leiden mittlerweile über 90 Prozent der palästinensischen Bevölkerung unter starkem Hunger. Es mangelt an Wasser, Notunterkünften und Arzneimitteln.
Auch mehrere arabische Staaten begrüßten die Einigung auf eine Waffenruhe. «Mit dieser Ankündigung endet eine blutige Seite in der Geschichte des palästinensischen Volkes, das unter der israelischen Aggression schwer gelitten hat», erklärte Libanons geschäftsführender Ministerpräsident Nadschib Mikati. Beide Seiten müssten sich nun an die getroffenen Vereinbarungen halten, um dem Leiden der Geiseln und der palästinensischen Häftlinge ein Ende zu setzen, hieß aus dem Außenministerium der Vereinigten Arabischen Staaten.
Macron: Abkommen muss eingehalten werden
Das Abkommen müsse eingehalten werden, forderte auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er pocht auf eine politische Lösung des Nahost-Konflikts. Nach 15 Monaten «eines nicht zu rechtfertigenden Martyriums» gebe es Erleichterung für die Menschen in Gaza und Hoffnung für die Geiseln und ihre Familien. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan teilte mit, er hoffe auf dauerhaften Frieden und Stabilität. Seine Regierung pflegt enge Beziehungen zur Hamas.
Das Abkommen müsse «rigoros umgesetzt werden», verlangte auch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Mit «Führung und Weisheit können wir Fortschritte auf dem Weg zu dem Tag machen, an dem Israelis und Palästinenser Seite an Seite in Frieden und Sicherheit in zwei souveränen Staaten leben, in gegenseitiger Sicherheit und Würde».
Tiefes Misstrauen nährt Skepsis
In Anbetracht des tiefen Misstrauens zwischen beiden Seiten ist es jedoch fraglich, ob Israel und die Hamas sich über Wochen hinweg an die vereinbarten Schritte halten werden. Es ist unklar, ob in der zweiten Phase der Vereinbarung eine Einigung über die Freilassung der restlichen Geiseln erzielt werden kann. Netanjahu wird bereits mit Vorwürfen konfrontiert, dass er die im Gazastreifen verbleibenden Geiseln vorerst im Stich gelassen habe. Beobachter warnen davor, dass die Kämpfe nach Ablauf der Waffenruhe erneut beginnen könnten – insbesondere da es auf beiden Seiten Befürworter einer Fortsetzung des Krieges gibt.
Der Krieg begann mit dem beispiellosen Massaker der Hamas und anderer extremistischer Gruppen, bei dem am 7. Oktober 2023 etwa 1.200 Menschen in Israel getötet und über 250 in den Gazastreifen verschleppt wurden. Israel reagierte mit Angriffen gegen die Hamas in Gaza, bei denen laut palästinensischen Angaben mehr als 46.700 Menschen getötet und über 110.200 weitere verletzt wurden. Die von den Vereinten Nationen als glaubwürdig eingestuften, aber unabhängig nicht überprüfbaren Zahlen machen keinen Unterschied zwischen Zivilisten und Kämpfern.