Die Lage in Südasien hat sich weiter zugespitzt. Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan um die Kaschmir-Region reicht Jahrzehnte zurück.
Indien und Pakistan auf gefährlichem Konfrontationskurs

Die Region Kaschmir im westlichen Himalaya ist seit Jahrzehnten ein zentrales Streitthema zwischen den Atommächten Indien und Pakistan. Die indischen Angriffe auf Ziele in Pakistan und im von Pakistan kontrollierten Teil Kaschmirs werden als Reaktion auf einen Terroranschlag in der Unruheregion am 22. April betrachtet. Dabei wurden in der Nähe der Stadt Pahalgam 26 Menschen – hauptsächlich indische Touristen – getötet. Die Regierung in Neu-Delhi beschuldigt Pakistan der Beteiligung, während Islamabad dies bestreitet.
Der Territorialkonflikt hat jedoch eine lange Geschichte. Nach den Angriffen wächst die Befürchtung, dass die Krise sich weiter zuspitzen könnte.
Warum ist der Konflikt so gefährlich?
Kaschmir ist von drei Atommächten umgeben, in der Region sind militante Gruppierungen aktiv. Pakistan hat nach den nächtlichen Luftangriffen Indiens mit Vergeltung gedroht. Das nährt die Befürchtung, dass die Lage außer Kontrolle geraten und in einen Krieg münden könnte – mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Region. Auch China, das einen umstrittenen Grenzverlauf mit Indien im Osten der Kaschmir-Region teilt, könnte in den Konflikt hineingezogen werden.
Was sind die Hintergründe des Konflikts?
Die Wurzeln reichen bis in die Kolonialzeit zurück. 1947 entließen die Briten den indischen Subkontinent in die Unabhängigkeit, und neben dem überwiegend hinduistischen Indien entstand der neue Staat Pakistan mit einer hauptsächlich muslimischen Bevölkerung. Bis zu 15 Millionen Menschen wurden damals vertrieben oder mussten flüchten. Die Teilung nährt bis heute eine erbitterte Rivalität. Seit ihrer Unabhängigkeit führten beide Länder drei Kriege gegeneinander, zwei davon um Kaschmir. Mit seinen malerischen Bergseen und schneebedeckten Gipfeln ist die Region ein beliebtes Touristenziel.
Was geschah in den letzten Wochen?
Indien hat unter anderem den Indus-Wasservertrag ausgesetzt, der für beide Seiten die Wassernutzung des Indus und seiner Nebenflüsse regelt. Als Reaktion darauf erklärte Pakistan, man behalte sich vor, das Shimla-Abkommen von 1972 für ungültig zu erklären, das eine wichtige Grundlage für Verhandlungen zwischen den beiden Staaten darstellt. Ein Rückzug aus dem Vertrag wird als extrem gefährlich gesehen.
Die Regierungen in Neu-Delhi und Islamabad sind auch intern stark unter Druck, auf Feindseligkeiten der anderen Seite mit aller Härte zu reagieren. Die Eskalation sei bereits jetzt weiter fortgeschritten als bei der Krise im Jahr 2019, schreibt Südasien-Experte Michael Kugelman.
Wie hoch ist die Gefahr eines Atomkrieges?
Mit seiner «No first use»-Doktrin verpflichtet sich Indien zwar, auf einen Ersteinsatz nuklearer Waffen zu verzichten. Nach dem Konzept der massiven Vergeltung will Neu-Delhi jedoch Erstschläge gegen das eigene Land mit einem vernichtenden nuklearen Gegenschlag beantworten.
Pakistan behält sich hingegen auch den Ersteinsatz von Atomwaffen vor – sofern die Existenz des Landes unmittelbar bedroht ist. Die «Full-Spectrum-Deterrence»-Doktrin dient vor allem als Abschreckung, die jede Form der Aggression gegen das Land verhindern soll.
Laut dem Jahrbuch 2024 des Friedensforschungsinstituts Sipri besitzt Indien 172 Atomsprengköpfe und Pakistan 170.
Der geschichtliche Hintergrund
Der historische Hintergrund des Konflikts liegt in einer problematischen Entscheidung der britischen Kolonialmacht. Trotz einer überwiegend muslimischen Bevölkerung verkaufte sie Kaschmir im Jahr 1846 an den hinduistischen Herrscher Gulab Singh. Als die Briten 1947 den Subkontinent verließen und die Landesfürsten entscheiden mussten, ob sie sich dem islamischen Pakistan oder dem mehrheitlich hinduistischen Indien anschließen wollten, entschied sich der hinduistische Maharadscha für Indien.
Mehrere Rebellionen der einheimischen Bevölkerung gegen Indien wurden durch den von den Vereinten Nationen vermittelten Waffenstillstand im Jahr 1949 beendet. Der UN-Sicherheitsrat hatte bereits am 21. April 1948 beschlossen, die endgültige Entscheidung über die staatliche Zugehörigkeit Kaschmirs durch eine Volksbefragung zu klären. Die Bewohner Kaschmirs warten bis heute auf diese Volksbefragung.
Wer kontrolliert Kaschmir?
Die 222.236 Quadratkilometer große Region mit ihren insgesamt rund 20 Millionen Bewohnern ist heute zerstückelt und eingezwängt in ein Machtdreieck der Atommächte Pakistan, Indien und China. Seit 1949 ist der größte Teil Kaschmirs Indien unterstellt, etwa ein Drittel wird als «Azad Kashmir» (Freies Kaschmir) von Pakistan verwaltet. Ein kleinerer Teil im Osten steht unter Chinas Kontrolle. Pakistan trat 1963 zudem ein kleines Gebiet an China ab. Eine Waffenstillstandslinie markiert den faktischen Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan.
Rebellengruppen kämpfen im indischen Teil Kaschmirs entweder für Unabhängigkeit von Indien, das hauptsächlich von Hindus bewohnt wird, oder für einen Anschluss an Pakistan. Indien wirft Pakistan vor, diese Gruppen zu unterstützen, was Pakistan jedoch zurückweist.
Was passierte 2019 in Kaschmir?
Bei dem schwersten Angriff auf indische Sicherheitskräfte seit 30 Jahren wurden damals im Februar 40 Menschen getötet. Indien machte Pakistan für den Anschlag verantwortlich und griff daraufhin nach eigenen Angaben ein Terrorcamp einer islamistischen Organisation Pakistan an. Pakistan erklärte, zwei indische Militärflugzeuge abgeschossen zu haben. Ein indischer Pilot wurde gefangen genommen, später aber als «Geste des Friedens» wieder freigelassen. Die Lage beruhigte sich zunächst weitgehend.
Die Spannungen flackerten jedoch wieder auf, nachdem Indien im August dem von ihm kontrollierten Teil Kaschmirs die Teilautonomie entzogen und das Gebiet aufgeteilt hatte. Zwei Unionsterritorien – Jammu und Kaschmir sowie Ladakh – entstanden, die stärker unter die Kontrolle der Zentralregierung in Neu-Delhi gestellt wurden. Pakistan bezeichnete die Aufhebung der Teilautonomie als illegal. Es kam in der Folgezeit vermehrt zu Gefechten entlang der sogenannten Kontrolllinie. Tausende zusätzliche indische Soldaten wurden in das Kaschmir-Tal geschickt, um Proteste zu verhindern.
Im Jahr 2021 einigten sich die rivalisierenden Staaten darauf, alle bilateralen Abkommen zu respektieren und Kampfhandlungen einzustellen. Kritisiert wird jedoch die verstärkte Militarisierung des indischen Teils von Kaschmir von Menschenrechtsorganisationen. Sie werfen Indien zudem vor, die Region mit flächendeckenden Repressionen kontrollieren zu wollen.
Welche Rolle spielen andere Länder in diesem Konflikt?
Wie weit einflussreiche Mächte wie die USA oder China auf Indien und Pakistan einwirken können, um einen bewaffneten Konflikt zu verhindern, gilt als unklar. Indien ist ein wichtiger Verteidigungspartner der USA, während Washington Pakistan zu seinen Nicht-Nato-Verbündeten zählt. In der Vergangenheit hätten internationale Akteure wie etwa die USA eine wichtige Rolle gespielt, um Krisen in Südasien zu entschärfen, schreibt «Foreign Affairs». Doch gegenwärtig sei die Welt müde, was die indisch-pakistanischen Streitereien betreffe. «Der Rückzug der Nato-Truppen aus Afghanistan hat das Interesse der USA an Pakistan verringert.»