Industrie fordert Senkung von Stromkosten und Netzentgelten, um Arbeitsplätze zu sichern. Ohne Mehrheit wird es schwierig.
Druck auf Kanzler Scholz wächst bei Industriegipfel
Der Kanzler hat keine Mehrheit – und die Industrie macht Druck. Mehr als eine Woche nach dem Scheitern der Ampel-Koalition berät Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) heute bei einem erneuten Industriegipfel mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden, Unternehmen und Gewerkschaften. Die Erwartungen sind gedämpft, Ergebnisse werden nicht erwartet. Denn Scholz hat für mögliche milliardenschwere Vorhaben keine Mehrheit mehr im Bundestag. Auch die Finanzierung wäre schwierig.
Industrie-Kanzler Scholz?
Nach einem ersten Industriegipfel Ende Oktober hatte Scholz dazu aufgerufen, gemeinsam einen «Pakt für die Industrie» zu schmieden. Daran hält er auch nach dem Aus der Ampel aus SPD, Grünen und FDP fest, wie der Kanzler am Mittwochabend bei einer Feier zum 150-jährigen Bestehen der Wirtschaftsvereinigung Stahl klarmachte. Ziel sei es, den Industriestandort zu stärken und Industriearbeitsplätze zu sichern. Das könnte auch eine Hauptbotschaft der SPD im bevorstehenden Wahlkampf sein. Es gehe vor allem um günstige Energiepreise und verlässliche Netzentgelte, sagte Scholz. Man brauche Klarheit in dieser Frage.
In einem Papier des Kanzleramts zum Koalitionsausschuss vor dem Ampel-Aus wurde außerdem unter anderem eine Ausweitung der sogenannten Strompreiskompensation vorgeschlagen. Um der kriselnden Autoindustrie zu helfen und die schwache Nachfrage nach Elektroautos anzukurbeln, könnten Abschreibungen für E-Autos als Dienstwagen erhöht werden. Elektroautos könnten zudem länger von der Kfz-Steuer befreit werden.
Unternehmen unter Druck
Wirtschaftsverbände und Unternehmen beklagen seit langem die hohen Strompreise im internationalen Vergleich. Besonders die Netzentgelte als Teil des Strompreises steigen, wobei der Ausbau des Stromnetzes ein Kostentreiber ist. Dies beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit und hemmt Investitionen. Deutschland steckt in einer Konjunkturflaute fest. Die Situation könnte sich verschärfen, falls der designierte US-Präsident Donald Trump höhere Einfuhrzölle auf Importe aus Europa beschließt.
Der Chef des Stahlherstellers Georgsmarienhütte, Alexander Becker, beschrieb das Problem am Mittwochabend bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl so: Das Unternehmen habe in den vergangenen zehn Jahren in seinem Hauptstahlwerk durchschnittliche Investitionen von 20 Millionen Euro im Jahr und Energiekosten von 40 Millionen Euro. Inzwischen habe die Firma aber Energiekosten von 80 Millionen. «Wir haben keinen Raum mehr für Investitionen.» Das gelte für alle Unternehmen in der energieintensiven Industrie. Ab Januar müssten die Netzentgelte deutlich verringert werden. «Wir haben wirklich lange genug gesprochen.»
Ursprünglich war für das laufende Jahr geplant, dass ein Bundeszuschuss in Höhe von bis zu 5,5 Milliarden Euro zur anteiligen Finanzierung der Übertragungsnetzkosten bereitgestellt wird, um Unternehmen zu unterstützen. Diese Mittel sollten aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds stammen. Aufgrund eines Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts sah sich die Bundesregierung jedoch gezwungen, diesen speziellen Fonds aufzulösen.
Intel-Milliarden nutzen?
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schlug vor, die freigewordenen Intel-Milliarden zur Senkung der Netzentgelte zu verwenden. Die erste geplante Tranche der Intel-Gelder könne genutzt werden, um im kommenden Jahr die Netzentgelte um vier Milliarden Euro zu senken. Dafür wäre eine Mehrheit im Haushaltsausschuss des Bundestags erforderlich. Allerdings fehlt Rot-Grün nach dem Scheitern der Ampel an einer Mehrheit. Die CDU-Wirtschaftspolitikerin Julia Klöckner reagierte zurückhaltend. Darüber hinaus plant der neue Finanzminister Jörg Kukies (SPD), die freiwerdenden Fördermittel durch die Verschiebung des Intel-Chipwerks in Magdeburg zu nutzen, um eine Haushaltssperre in diesem Jahr zu verhindern.
Scheitert der Gipfel?
Der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Gunnar Groebler, sagte, in Deutschland gehe das «Gespenst der Deindustrialisierung» um. Stromkosten und Netzentgelte müssten «jetzt» gesenkt werden. Die Erste Vorsitzende der Gewerkschaft IG Metall, Christiane Benner, sagte: «Jetzt muss gehandelt werden.» Sie warnte vor dem Verlust von Jobs. Groebler und Benner sind Teilnehmer des «Industriegipfels». Nur: was kann bei dem Treffen herauskommen, scheitert der Gipfel? Ohne Mehrheit dürfte es für Scholz sehr schwierig werden.