Truppen halten Außenbezirke von Gaza, während Militärpläne für Einnahme der Stadt vorangetrieben werden.
Israelische Armee startet Bodenoffensive im Gazastreifen

Ungeachtet internationaler Kritik hat die israelische Armee nach eigenen Angaben die «nächste Phase des Kriegs» im Gazastreifen begonnen. Die Truppen hielten jetzt die Außenbezirke der Stadt Gaza im Norden des abgeriegelten Küstenstreifens, sagte Armeesprecher Effie Defrin und sprach von «vorbereitenden Maßnahmen» zur geplanten Einnahme der ganzen Stadt. Das Sicherheitskabinett hatte Anfang des Monats die Einnahme der Stadt sowie die Evakuierung der Bevölkerung in den Süden genehmigt.
Laut israelischen Beamten sollen die detaillierten Militärpläne zur vollständigen Einnahme der Stadt, in der sich Schätzungen zufolge derzeit rund eine Million Menschen aufhalten, in den nächsten Tagen vom Sicherheitskabinett abschließend gebilligt werden, wie das «Wall Street Journal» berichtete. Demnach dürfte die Bodenoffensive im September beginnen. Israelischen Medien zufolge soll das Sicherheitskabinett noch heute zusammenkommen.
Die ‚Äußerungen des Armeesprechers vor Journalisten fielen zusammen mit einer Mitteilung des Büros von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, in der er zur beschleunigten Einnahme der größten Stadt im Norden des Küstenstreifens aufrief. Vor Billigung der Pläne für den dortigen Einsatz habe Netanjahu angeordnet, «dass die Zeitpläne – für die Eroberung der letzten Terroristenhochburgen und die Niederlage der Hamas – verkürzt werden».
Hamas: Netanjahu missachtet Vermittlungsbemühungen
Dabei hatte die islamistische Terrororganisation am Montag erklärt, sie habe den Vermittlern eine «positive Antwort» auf einen neuen Vorschlag für eine Waffenruhe vorgelegt. Die Ankündigung der israelischen Armee, mit der Einnahme der Stadt Gaza mit ihren fast eine Million Bewohnern zu beginnen, und Netanjahus Absicht, dies zu billigen, sei eine «Missachtung» der Bemühungen der Vermittler um eine Waffenruhe, erklärte die Hamas.
Den Berichten zufolge handelt es sich bei dem neuesten Vorschlag für einen Waffenstillstand um eine nahezu identische Version eines zuvor verhandelten Vorschlags des US-Sondergesandten Steve Witkoff. Dieser sieht eine 60-tägige Feuerpause vor, während der zehn lebende Geiseln im Austausch gegen palästinensische Häftlinge freigelassen werden. Insgesamt befinden sich in Gaza noch 50 Geiseln, von denen mindestens 20 noch am Leben sein sollen.
Geisel-Angehörige befürchten das Schlimmste
Die Angehörigen befürchten das Schlimmste. Militärischer Druck rette Geiseln nicht, sondern töte sie, sagte der Vater eines Entführten bei einer Demonstration im Grenzgebiet zum Gazastreifen. Macabit Mayer, die Tante zweier nach Gaza entführter Zwillingsbrüder, warf Ministerpräsident Netanjahu vor, Zehntausende weiterer Reservisten für eine «sinnlose Mission» rekrutiert zu haben, die «unsere Liebsten und sie selbst in Gefahr bringt.»
Verteidigungsminister Israel Katz hat zuvor die Mobilisierung von etwa 60.000 weiteren Reservisten für die Eroberung der Stadt Gaza genehmigt. Außerdem wird der Dienst von etwa 20.000 weiteren Soldaten verlängert. Es wurde spekuliert, dass Israels Ankündigung einer Ausweitung des Kriegs auch eine Verhandlungstaktik sein könnte, um die Hamas unter Druck zu setzen, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren und flexibler zu werden.
Noch keine Antwort Netanjahus auf Waffenruhe-Vorschlag
Die israelische Zeitung «Haaretz» hielt fest, Netanjahu zögere nach der Hamas-Zustimmung zum jüngsten Vorschlag noch mit einer offiziellen Antwort Israels und habe auch noch keine Sitzung des Sicherheitskabinetts angekündigt. Mit einer offiziellen Reaktion Israels wird bis zum Ende dieser Woche gerechnet. In einem Gespräch mit dem US-Sondergesandten Witkoff habe der ägyptische Außenminister Badr Abdelatty darauf gedrungen, dass Israel auf den Vorschlag der arabischen Vermittler reagiert, berichtete die «Times of Israel». Die sich gegenwärtig bietende Gelegenheit für ein Abkommen müsse genutzt werden.
Es besteht die Befürchtung, dass die geplante Offensive in Gaza die bereits katastrophale Situation der Zivilbevölkerung weiter verschlimmern wird. Laut den Vereinten Nationen hat sich die Zahl der unterernährten Kinder im Gazastreifen seit März verdreifacht. Fast ein Drittel der Kinder in Gaza sind unterernährt.
«Das wird chaotisch werden»
Man werde die Bewohner der Stadt Gaza warnen und ihre Evakuierung ermöglichen, erklärte Armeesprecher Defrin. Laut Medien sollen die Hunderttausenden Zivilisten in Zeltquartiere weiter im Süden evakuiert werden. Die Bevölkerung werde dabei aber möglicherweise nicht kooperieren, «weil sie keinen Ort hat, wohin sie gehen kann», zitierte das «Wall Street Journal» den pensionierten israelischen General Israel Ziv. «Das wird chaotisch werden».
Falls jedoch eine Vereinbarung mit der Hamas getroffen wird, würde der Einsatz in der Stadt nicht fortgesetzt, zitierte die US-Zeitung einen israelischen Beamten. Am Sonntag gingen Hunderttausende Menschen in Israel auf die Straße, um gegen die eigene Regierung zu protestieren und sie aufzufordern, ein Abkommen zur Beendigung des seit fast zwei Jahren andauernden Kriegs im Gazastreifen zu schließen und die Geiseln zu befreien.
Berichte: Rechtsextremer Minister droht mit Regierungsaustritt
Laut unbestätigten Medienberichten hat der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich den Geiseln erklärt, dass er aus der Regierung austreten werde, falls Ministerpräsident Netanjahu einem Waffenruhe-Abkommen mit der Hamas zustimmen sollte. Netanjahu ist darauf angewiesen, die Unterstützung seiner rechtsextremen Partner wie Smotrich zu erhalten, um politisch überleben zu können.
Es wurde in den Medienberichten erwähnt, dass der Oppositionspolitiker Benny Gantz in Betracht zieht, in die Regierung zurückzukehren, um eine Waffenruhe zu ermöglichen. Der ehemalige Verteidigungsminister hatte die Regierung von Netanjahu im Jahr 2024 nach Meinungsverschiedenheiten verlassen.