Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Geiseln im Gazastreifen: Israelische Regierung zu zögerlich bei Waffenruhe-Gesprächen

Netanjahu instruiert Unterhändler nur über "technische Einzelheiten" zu verhandeln, was Angehörige kritisieren und vor Wiederaufnahme des Gaza-Kriegs warnen.

Die Hamas ließ im Gazastreifen drei weitere Geiseln frei und übergab sie dem Roten Kreuz.
Foto: Abdel Kareem Hana/AP/dpa

Angehörige der Geiseln, die im Gazastreifen festgehalten werden, werfen der Regierung Israels vor, die nächste Runde der Gespräche über die Waffenruhe mit der Hamas nicht entschieden genug anzugehen. Sie bemängeln das eingeschränkte Mandat der israelischen Delegation, die nach Katar zu Verhandlungen geschickt wurde, und warnen vor einer erneuten Eskalation des Gaza-Konflikts.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe die Unterhändler angewiesen, vorerst nur über «technische Einzelheiten» zu verhandeln, berichteten israelische Medien unter Berufung auf hohe Regierungsbeamte. Die Delegation ist demnach auch weniger hochkarätig besetzt als bei früheren Runden: Ihr würden nicht die sonst meist nach Doha entsandten Chefs des Auslands- und Inlandsgeheimdiensts angehören, sondern diesmal nur höhere Beamte sowie der israelische Geisel-Koordinator, der pensionierte General Gal Hirsch.

Die Gespräche in Doha, bei denen Katar, Ägypten und die USA vermitteln, sollen sich um die zweite Phase der Waffenruhe drehen, die Ende des Monats beginnen müsste. Diese soll zu einem endgültigen Ende des Kriegs und zur Freilassung der restlichen Geiseln führen, die noch am Leben sind. Kritiker werfen Netanjahu vor, diesbezügliche Schritte aus Rücksicht auf die politische Rechte in Israel hinauszuzögern. Hardliner verlangen, die Forderungen der Hamas nicht zu erfüllen und die palästinensische Terrororganisation stattdessen vollständig zu vernichten.

Netanjahu: «Wir werden die Hamas eliminieren»

«Wir werden alles tun, um unsere Geiseln nach Hause zu bringen», versprach Netanjahu in einer Videobotschaft. «Wir werden die Hamas eliminieren, und wir werden unsere Geiseln nach Hause bringen.» Das Kabinett werde am Sonntag zusammentreten, um die zweite Phase der seit 19. Januar geltenden, aber fragilen Waffenruhe zu erörtern. Ein Verschwinden der Hamas aus Gaza, wo sie 2007 die Macht an sich gerissen hatte, ist unter den geltenden Bedingungen des Waffenruhe-Abkommens kaum vorstellbar.

Ein Mitglied des Hamas-Politbüros namens Bassem Naim sagte dem arabischen Sender Al-Dschasira, die Islamistenorganisation sei bereit dazu, alle Hürden für die Umsetzung des Abkommens aus dem Weg zu räumen. Allerdings wende Israel «schmutzige Tricks» an und unterlaufe damit die Abmachung. Dass Hilfslieferungen verzögert und weiterhin Palästinenser im Gazastreifen getötet würden, gefährde den mühsam ausgehandelten Deal.

Weiterer Teilrückzug des Militärs

Durch die Freilassung von drei israelischen Hamas-Geiseln und 183 palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen am Samstag wurde eine weitere Teilvereinbarung erfüllt. Als nächstes sollte sich das israelische Militär in der Nacht zum Sonntag aus dem sogenannten Nezarim-Korridor zurückziehen, der den abgeriegelten Gazastreifen in eine nördliche und eine südliche Hälfte teilt. In einer dritten Phase der Waffenruhe sollen die Leichen getöteter Geiseln zurückgeführt werden und der Wiederaufbau des Gazastreifens beginnen.

Israel hatte sich nach Beginn der Waffenruhe bereits aus einem Teil des strategisch wichtigen Nezarim-Korridors zurückgezogen. Nun soll es ihn – abgesehen von einem ein Kilometer breiten Gebiet unmittelbar an der Grenze zu Israel – vollständig räumen. Dadurch könnten Palästinenser, die aufgrund des Krieges aus den Städten des Nordens in den Süden vertrieben wurden, in noch größerer Zahl als zuvor in ihre größtenteils zerstörten Heimatorte zurückkehren. Es gab keine Bestätigung für einen erfolgten Rückzug des Militärs in der Nacht.

Die Befreiung der drei Geiseln am Samstag verdeutlichte erneut, wie dramatisch die Situation der Entführten ist, die seit über einem Jahr in der Gewalt der Hamas sind und nicht wissen, ob und wann sie ihre Familien wiedersehen werden. Ohad Ben Ami (56), Or Levy (34) und Eli Scharabi (52) zeigten sich nach 16 Monaten Geiselhaft schwer gezeichnet: geschwächt, blass und abgemagert.

Den Vater kaum wiedererkannt

Die Tochter von Ben Ami sagte israelischen Medien zufolge, sie habe ihren Vater kaum wiedererkannt. Sie wolle ihn einfach nur umarmen, sagte Ella Ben Ami. «So sieht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus», erklärte der israelische Staatspräsident Isaac Herzog angesichts des Zustands der Geiseln. Palästinensische Terroristen hatten sie und rund 250 andere während des Massakers am 7. Oktober 2023 aus Israel in den Gazastreifen verschleppt. 

Seit Beginn der Waffenruhe hat die Hamas nun 16 von 33 israelischen Geiseln freigelassen, die während der ersten Phase der dreistufigen Vereinbarung freigelassen werden sollen. Insgesamt werden noch 76 Geiseln im Gazastreifen festgehalten, wobei 35 von ihnen israelischen Angaben zufolge tot sind. Die nächsten Geiseln sollen am kommenden Wochenende freikommen.

Das Forum der Geiselangehörigen warf Netanjahus Regierung vor, wertvolle Zeit zu verschwenden: «Wie kommt es, dass das Kabinett nach den schockierenden Bildern von Eli, Ohad und Or nicht sofort zusammentrat? Was für Beweise braucht es noch, dass die Entscheidungsträger die kritische Dringlichkeit der Freilassung der 76 Geiseln einsehen?», hieß es in einer Stellungnahme.

Luftangriffe im Libanon und in Syrien 

Die israelische Luftwaffe hat militärische Ziele im Libanon und in Syrien bombardiert. Laut der libanesischen Nachrichtenagentur NNA wurden bei einem Drohnenangriff auf eine Basis der Hisbollah-Miliz in der libanesischen Bekaa-Ebene sechs Menschen getötet und zwei verletzt. Das israelische Militär hat einen Luftangriff auf Hisbollah-Kämpfer in einer Waffenfabrik bestätigt. Diese haben gegen die Waffenruhe-Vereinbarung verstoßen, die Ende November zwischen Israel und der Hisbollah erreicht wurde.

In der Umgebung von Damaskus, der Hauptstadt Syriens, griff die Luftwaffe laut eigenen Angaben ein Waffenlager der Hamas an. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London, welche die Situation in Syrien mithilfe eines Aktivistennetzwerks verfolgt, bestätigte den Angriff auf das Depot in Deir Ali, 25 Kilometer südlich von Damaskus. Gemäß den Berichten gab es keine Verletzten.

Israel hat seit dem 8. Dezember seine Angriffe auf vermutete Waffenlager und Versorgungswege der Hamas und der mit ihr verbündeten Hisbollah-Miliz in Syrien stark intensiviert. An diesem Tag wurde der syrische Präsident Baschar al-Assad von Rebellen gestürzt. Er floh daraufhin nach Moskau. Die Hisbollah und die Hamas waren mit der Regierung von Assad verbündet.

dpa