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Israel kündigt nach iranischem Raketenangriff Vergeltung an

Der Iran startet einen großen Raketenangriff auf Israel. Nun liegt das Heft des Handelns wieder beim israelischen Premier Netanjahu. Wird er den Iran direkt angreifen?

Israel kündigt kraftvolle Angriffe an.
Foto: Ilia Yefimovich/dpa

Nach dem Raketenangriff des Iran auf sein Land hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu Vergeltung angekündigt. «Der Iran hat heute Abend einen großen Fehler gemacht – und er wird dafür bezahlen», sagte Netanjahu laut seines Büros. Wann eine Vergeltungsmaßnahme gegen den Iran stattfinden könnte, blieb zunächst unklar. In der Nacht zum Mittwoch griff Israel jedoch erneut die libanesische Hauptstadt Beirut im Kampf gegen die proiranische Hisbollah-Miliz an. Der Iran warnte seinerseits Israel vor einer Vergeltung und drohte mit einer starken weiteren Reaktion.

Israel wurde am Dienstag vom Iran mit etwa 180 Raketen angegriffen. Die meisten Raketen wurden vom israelischen Militär und einer von den USA geführten Verteidigungskoalition abgefangen. Ein Todesopfer wurde im Westjordanland gemeldet, während zwei Verletzte in Tel Aviv zu verzeichnen waren. Einschläge wurden im Zentrum und Süden Israels registriert. Laut Medienberichten hatte der Iran es auf zwei israelische Luftwaffenstützpunkte und das Hauptquartier des israelischen Geheimdienstes Mossad abgesehen. Millionen Israelis suchten Schutz in Bunkern. Dies war der zweite Angriff des Irans auf Israel in diesem Jahr, nach einem im April.

Wie reagiert Israel?

Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte, der Iran habe «eine schwerwiegende Tat» begangen, die den Nahen Osten in Richtung Eskalation treibe. «Wir werden zu dem Zeitpunkt und an dem Ort handeln, den wir bestimmen, und zwar in Übereinstimmung mit den Anweisungen der politischen Ebene. Diese Ereignisse werden Konsequenzen nach sich ziehen.» Wie genau ein Vergeltungsschlag aussehen könnte, sagte er nicht.

Die «New York Times» berichtete unter Berufung auf US-Beamte, in einem möglichen Szenario könnte Israel die iranischen Nuklearanlagen angreifen. Insbesondere die Anreicherungsanlagen in Natanz, dem Herzstück des iranischen Programms, könnten im Visier stehen. 

Hagari kündigte weitere Angriffe an. «Die Luftwaffe ist nach wie vor voll einsatzfähig und wird heute Abend im Nahen Osten weiterhin mit voller Kraft zuschlagen, so wie sie es im vergangenen Jahr getan hat», sagte er in der Nacht zum Mittwoch. Die iranischen Raketenangriffe hätten keine Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit der Luftwaffe. Netanjahu bezeichnete Irans Angriff als gescheitert. 

Die Armee teilte am frühen Mittwochmorgen mit, es würden «terroristische Ziele in Beirut» attackiert. Details nannte das Militär zunächst nicht. Es seien mindestens fünf israelische Angriffe auf die südlichen Vororte von Beirut verübt worden, wie Medien unter Berufung auf eine libanesische Sicherheitsquelle berichteten.

https://x.com/idfonline/status/1841247089772171466

Und was macht der Iran?

Der Iran drohte Israel, falls es einen Vergeltungsschlag starte. «In diesem Fall wird unsere Antwort stärker und kräftiger ausfallen», schrieb der iranische Außenminister Abbas Araghchi auf der Plattform X. «Unsere Aktion ist abgeschlossen, es sei denn, das israelische Regime beschließt, zu weiteren Vergeltungsmaßnahmen aufzurufen.»

https://x.com/araghchi/status/1841224537834230244?s=46

Die iranischen Revolutionsgarden erklärten, dass die Attacke eine Rache für die Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Hanija, Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah und eines iranischen Generals sei, wie es im Staatsfernsehen hieß. Im Iran feierten Tausende Menschen den Raketenangriff auf Israel.

Wie schätzen Experten die Lage ein?

Grant Rumley, ein ehemaliger Pentagon-Beamter, sagte der «New York Times», im Gegensatz zu dem Angriff im April, bei dem Israel tagelang vorgewarnt war und seine Verteidigung mit Verbündeten in der Region koordinieren konnte, sei der Angriff am Dienstag nur wenige Stunden im Voraus angekündigt worden. «Daher ist es schwer, diesen neuen Angriff als rein symbolisch zu betrachten», sagte Rumley. «Es sieht auf jeden Fall nach einer Eskalation durch den Iran aus.»

Das Heft des Handelns liegt nach Einschätzung von Experten nun bei Israel. Mohanad Hage Ali, stellvertretender Direktor des Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center, einem Forschungsinstitut in Beirut, sagte dem «Wall Street Journal», Irans Angriff gebe Israel Anlass, direkt auf iranisches Territorium zurückzuschlagen, was einen regionalen Krieg auslösen könnte. 

Ähnlich schätzt Bilal Saab, ein ehemaliger Pentagon-Beamter und jetzt bei der Denkfabrik Trends Research and Advisory, die Lage ein. Er sagte: «Die Möglichkeit einer weiteren Eskalation dieses regionalen Konflikts hat mehr damit zu tun, was Israel will und weniger damit, was der Iran tut.» Er fügte hinzu: «Israel sieht hier eine einmalige Gelegenheit, all seinen Gegnern zu schaden und ihnen möglicherweise einen tödlichen Schlag zu versetzen.»

Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

Die US-Regierung bewertete den Raketenangriff auf Israel als «vereitelt und unwirksam». Dennoch handele es sich um eine «bedeutende Eskalation», sagte US-Sicherheitsberater Jake Sullivan in Washington. Das US-Verteidigungsministerium warnte den Iran vor weiteren Angriffen auf Israel. Präsident Joe Biden hatte die US-Streitkräfte in der Region angewiesen, Israels Verteidigung zu unterstützen und iranische Raketen abzuschießen.

Die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verurteilte den Angriff auf der Plattform X «auf das Allerschärfste». Sie schrieb weiter: «Wir haben Iran vor dieser gefährlichen Eskalation eindringlich gewarnt.» Auch die EU verurteilte den Angriff. «Der gefährliche Kreislauf von Angriffen und Vergeltungsmaßnahmen droht, außer Kontrolle zu geraten», so der Außenbeauftragte Josep Borrell auf X.

Nach einer Sitzung des Verteidigungs- und Sicherheitsrats teilte der Élysée-Palast mit, dass die französische Regierung ihre militärischen Mittel im Nahen Osten mobilisiert hat, um die iranische Bedrohung abzuwehren. Gemäß Großbritanniens Verteidigungsminister John Healey hat sich das britische Militär am Abend an Bemühungen beteiligt, eine weitere Eskalation im Nahen Osten zu verhindern. Aufgrund der eskalierenden Lage im Nahen Osten wird der UN-Sicherheitsrat heute (16:00 Uhr MESZ) zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen.

Warum eskaliert die Lage immer weiter?

Bereits im April hatten die Revolutionsgarden des Iran (IRGC) erstmals in der Geschichte der Islamischen Republik einen direkten Angriff auf Israel durchgeführt. Dabei wurden mehr als 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörper von den IRGC-Luftstreitkräften auf ihren Erzfeind abgefeuert – als Reaktion auf die Tötung von Generälen durch einen mutmaßlichen israelischen Angriff in Syrien. Der Angriff wurde erfolgreich abgewehrt.

Israels Militär und Geheimdienste hatten kürzlich die Verbündeten des Irans in der Region erheblich geschwächt. Ende Juli wurde der Auslandschef der islamistischen Hamas in Teheran getötet. Die iranische Führung schwor daraufhin Rache. Am Freitag wurde mit Hisbollah-Chef Nasrallah ein wichtiger Verbündeter Teherans getötet. Zuvor hatten explodierende Pager Hunderte Hisbollah-Funktionäre verletzt und einige getötet. Es war unklar, ob und wie Irans militärische Führung reagieren würde.

Am Dienstag gab es eine weitere Entwicklung im israelischen Militär: Zum ersten Mal seit fast zwanzig Jahren drangen israelische Bodentruppen wieder in den Libanon ein. Rund ein Jahr nach Beginn des Gaza-Kriegs verlagerte sich somit der Fokus der Kämpfe in Richtung des nördlichen Nachbarlandes.

Seit 1979 gelten die USA und Israel als Erzfeinde der Islamischen Republik. Mit dem Ausbruch des Gaza-Kriegs vor knapp einem Jahr drohte mehrmals, dass sich der Schattenkonflikt zu einem Flächenbrand entwickelt. Der Iran erkennt das Existenzrecht Israels nicht an und strebt dessen Auslöschung an. Er hat jahrelang paramilitärische Organisationen unterstützt, die sich als Teil seiner Achse des Widerstands gegen Israel positionieren. Die Revolutionsgarden des Irans sind die Elitestreitkräfte des Landes und gelten als deutlich schlagkräftiger als die reguläre Armee.

dpa