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Israel kündigt weitere Angriffe auf Hisbollah an

Israels Luftwaffe bombardiert unablässig Ziele der Hisbollah im Libanon – und schlägt damit auch zehntausende Zivilisten in die Flucht. Regierungschef Netanjahu hält trotz Kritik an seinem Kurs fest.

Israels Luftangriffe haben verheerende Folgen - und das längst nicht nur für die Hisbollah.
Foto: Marwan Naamani/dpa

Trotz der Tatsache, dass die Luftangriffe Israels im Libanon seit Montag Zehntausende Zivilisten zur Flucht gezwungen haben, plant die Regierung in Jerusalem, den militärischen Druck auf die Hisbollah zu erhöhen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte weitere Angriffe auf die proiranische Miliz an, die seit Beginn des Gaza-Kriegs vor knapp einem Jahr praktisch täglich Israels Norden mit Raketen beschießt. Die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten ist eines der wichtigsten Themen der laufenden UN-Vollversammlung in New York und wird heute im Mittelpunkt einer Sondersitzung des Weltsicherheitsrats stehen.

Israels Militär und die vom Iran unterstützte Hisbollah im Libanon kämpfen seit Monaten im Grenzgebiet beider Länder, was in den letzten Tagen noch schlimmer geworden ist. Die aktuellen Angriffe Israels mit Hunderten Toten und noch mehr Verletzten sind die schlimmsten seit fast zwei Jahrzehnten und schüren die Angst vor einer unkontrollierbaren Eskalation in der Region.

«Wer eine Rakete im Wohnzimmer hat …»

«Wir werden weiterhin gegen die Hisbollah vorgehen», sagte Netanjahu ungeachtet der harschen Kritik am Tod vieler Zivilisten, die bei den israelischen Luftangriffen im nördlichen Nachbarland ums Leben kamen. Er betonte erneut, dass sich der Krieg nicht gegen das libanesische Volk richte, sondern allein gegen die Hisbollah – wer aber Waffen für die Miliz verstecke, gerate ebenfalls ins Visier: «Wer eine Rakete im Wohnzimmer und eine Rakete in der Garage hat, wird kein Zuhause mehr haben.»

Am Abend griff die israelische Luftwaffe laut Armeeangaben erneut Dutzende militärische Einrichtungen der Hisbollah im Osten und Süden des Libanon an, darunter Waffenlager und Raketenabschussrampen. Diese werden nach israelischer Darstellung oft absichtlich in Wohngebieten platziert, um Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Armeesprecher Daniel Hagari sagte, dass Tausende Privatwohnungen auf diese Weise in militärische Stützpunkte der Miliz umgewandelt wurden. Netanjahu forderte die Libanesen auf, sich von der Hisbollah zu befreien, die im Küstenland wie ein Staat im Staate agiert.

Israel sieht Hisbollah schon jetzt stark geschwächt

«Wir dürfen der Hisbollah keine Pause gewähren. Wir müssen mit aller Kraft weitermachen», sagte der israelische Generalstabschef Herzi Halevi. Schon jetzt sei die Miliz durch die strategischen Erfolge seiner Armee drastisch geschwächt, sagte Verteidigungsminister Joav Galant. «Die Hisbollah von heute ist nicht mehr dieselbe Hisbollah, die wir vor einer Woche kannten.»

Laut Militärangaben hat die schwer bewaffnete Miliz seit Beginn des Kriegs gegen die mit ihr verbündete Hamas im Gazastreifen, also seit Anfang Oktober vergangenen Jahres, ungefähr 9.000 Raketen und Drohnen für Angriffe auf Israel eingesetzt. Galant zufolge wurden bei den jüngsten Angriffen nun Zehntausende ihrer Raketen zerstört. Vor Beginn der Hisbollah-Attacken am 8. Oktober wurde ihr Waffenarsenal auf 150.000 Raketen, Drohnen und Marschflugkörper geschätzt.

Miliz bestätigt Tod ihres Raketenchefs

Der nun laufende Militäreinsatz im Libanon unter dem Codenamen «Pfeile des Nordens» solle so schnell wie möglich beendet werden, betonte Armeesprecher Hagari. Deshalb greife das Militär mit geballten Kräften an. Allerdings müssten die Israelis auch darauf vorbereitet sein, dass der Einsatz länger dauern könne.

Schon jetzt sollen etliche Mitglieder der Führungsriege der Hisbollah bei dem Militäreinsatz getötet worden sein. Zuletzt traf es den Leiter der Raketeneinheit, Ibrahim Muhammad Kubaisi – er und zwei weitere Hisbollah-Kommandeure seien bei einem «gezielten Angriff» in einem Vorort der Hauptstadt Beirut ums Leben gekommen, teilte Israels Armee mit. Auch die Hisbollah bestätigte Kubaisis Tod. Er war laut Armee unter anderem für Raketenangriffe auf Israel und Anschläge auf israelische Zivilisten verantwortlich.

Gemäß dem libanesischen Gesundheitsministerium wurden durch den Luftangriff zwei Etagen eines Gebäudes zerstört, wobei 6 Menschen getötet und 15 weitere verletzt wurden. Insgesamt wurden infolge der israelischen Angriffe seit Montag mehr als 550 Menschen getötet und fast 2000 verletzt.

Libanon schon vor Angriffswelle in tiefer Krise

Die Situation der Menschen im Libanon war bereits vor dem Beginn der aktuellen Angriffswelle schwierig. Die Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise und ein großer Teil der Bevölkerung lebt in Armut. Trotzdem hat der kleine Mittelmeerstaat laut den Vereinten Nationen so viele Flüchtlinge aufgenommen wie kein anderes Land der Welt, gemessen an seiner Einwohnerzahl – seit dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2011 wurden allein etwa 1,5 Millionen Hilfesuchende aufgenommen.

Nun kommen noch einmal zahlreiche Binnenvertriebene hinzu. Aufgrund der israelischen Luftangriffe brach bei vielen Libanesen Panik aus – Zehntausende ergriffen die Flucht und versuchten, auf überfüllten Straßen gen Norden zu gelangen. Laut Behördenangaben flohen allein 27.000 Menschen aus dem Süden und der Bekaa-Ebene im Osten. Mehr als 250 Schulen wurden daher kurzfristig zu Notunterkünften umfunktioniert. Selbst ins benachbarte Bürgerkriegsland Syrien, wo die Situation kaum weniger prekär ist, sollen hunderte Menschen geflohen sein.

Israel hofft, dass die Angriffe im Libanon die Hisbollah dazu bringen werden, sich aus dem Grenzgebiet zurückzuziehen. Seit Beginn des Gaza-Kriegs nach dem Terrorangriff der Hamas und anderer islamistischer Extremisten auf Israel am 7. Oktober letzten Jahres hat die Miliz regelmäßig den Norden des jüdischen Staates beschossen – aus Solidarität mit der Hamas, wie sie behauptet. Israels Militär hat daraufhin reagiert. Auf beiden Seiten der Grenze gab es Tote, und allein in Israel mussten etwa 60.000 Menschen aus ihren Heimatorten fliehen. Die Rückkehr der Menschen in den Norden des Landes ist ein erklärtes Kriegsziel der Regierung Netanjahus.

Großbritannien entsendet hunderte Soldaten

Der iranische Präsident Massud Peseschkian sagte in einer Rede vor der UN-Vollversammlung in New York, es sei selbstverständlich, dass die «terroristischen Verbrechen» der israelischen Armee und die «Aggression gegen den Libanon» nicht unbeantwortet bleiben könnten. Überdies sei die Präsenz ausländischer Mächte im Nahen Osten eine «Quelle der Instabilität». Peseschkian rief die Länder in der Region zu mehr Zusammenarbeit auf, da ihr Schicksal untrennbar miteinander verbunden sei. Gleichzeitig sei die Islamische Republik Iran «entschlossen, ihre Sicherheit zu gewährleisten, ohne andere zu destabilisieren».

Die Eskalation der Gewalt wird nicht nur in den direkten Nachbarländern mit Sorge verfolgt. Die britische Regierung wies alle Landsleute an, den Libanon sofort zu verlassen. Außerdem würden «in den nächsten Stunden» 700 Soldaten auf die nahegelegene Mittelmeerinsel Zypern verlegt – die Mitteilung der Regierung vom Dienstagabend legt nahe, dass dies zum Vorbereiten einer möglichen Evakuierungsaktion geschieht.

dpa