Im Gegenzug für die Freilassung weiterer Geiseln hätten Hunderte palästinensische Häftlinge freikommen sollen. Erst müsse die Hamas mit Demütigungen aufhören, verlangt Israel – Endet die Waffenruhe?
Israel verschiebt Freilassung palästinensischer Häftlinge
Nach der Freilassung weiterer Geiseln durch die Hamas hat Israel die Entlassung palästinensischer Häftlinge gemäß dem Waffenstillstandsabkommen auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gab dies in der Nacht bekannt. Zur Begründung hieß es, dass die islamistische Terrororganisation zuerst die demütigenden Zeremonien bei der Freilassung der israelischen Geiseln beenden müsse.
Die Entscheidung könne zum Rückzug Israels aus dem Waffenruhe-Abkommen führen, schrieb die Zeitung «Times of Israel». Noch befinden sich mehr als 60 israelische Geiseln in der Gewalt von Islamisten im Gazastreifen, wobei etwa die Hälfte davon nach israelischen Informationen nicht mehr am Leben ist.
«Angesichts der wiederholten Verstöße der Hamas, einschließlich der Zeremonien zur Demütigung unserer Geiseln und der zynischen Ausnutzung unserer Geiseln für Propagandazwecke, wurde beschlossen, die für gestern geplante Freilassung der Terroristen zu verschieben, bis die Freilassung der nächsten Geiseln sichergestellt ist, und zwar ohne die demütigenden Zeremonien», hieß es in der Mitteilung des Büros des Ministerpräsidenten.
Propaganda-Video sorgt für Entsetzen
Israelische Medien verbreiteten am Abend ein Propaganda-Video, das zeigte, wie zwei israelische Geiseln von der Hamas gezwungen werden, von einem Fahrzeug aus die am Samstag erfolgte Freilassung drei ihrer Landsleute in Nuseirat im Gazastreifen aus nächster Nähe mitanzusehen, während sie selbst weiter in der Gewalt der Terrororganisation sind. «Dieser kalkulierte Akt psychologischer Folter ist ein krasses, abscheuliches Beispiel von Grausamkeit», hieß es in einer Mitteilung des Forums der Geisel-Angehörigen.
An diesem Tag hatte die Hamas sechs weitere Geiseln freigelassen. Vermummte und bewaffnete Hamas-Kämpfer in Uniformen inszenierten die Übergaben der Israelis in Rafah und Nuseirat erneut mit Schaulustigen, lauter Musik und palästinensischen Fahnen. Die Entführten wurden auf Bühnen präsentiert und erhielten von ihren bewaffneten Bewachern deutliche Anweisungen, zu lächeln und der wartenden Menschenmenge zuzuwinken.
In dem Propaganda-Video der Hamas sind der «Times of Israel» zufolge die beiden Geiseln Eviatar David und Guy Gilboa-Dalal in einem Fahrzeug im Bühnenbereich im Flüchtlingsviertel Nuseirat zu sehen. «Sie zwangen sie zuzusehen, wie ihre Freunde freigelassen wurden und brachten sie dann zurück in die Tunnel. Es gibt keine größere Grausamkeit», zitierte die Zeitung Gilboa-Dalals Vater. Das Video ist demnach das erste Lebenszeichen von David seit seiner Entführung am 7. Oktober 2023 und das erste von Gilboa-Dalal seit Juni.
Platzt der Waffenruhe-Deal?
Im Videoclip bitten die beiden Geiseln laut Zeitungsberichten verzweifelt die israelische Regierung um ihre Freilassung zu kümmern. Gemäß israelischen Medienberichten ist die Freilassung von Eviatar David und Guy Gilboa-Dalal jedoch nicht Teil der aktuellen ersten Phase des Waffenstillstandsabkommens. Diese sieht die Freilassung von 25 Geiseln und die Übergabe von acht getöteten Geiseln vor – im Austausch gegen 1.904 palästinensische Häftlinge. Die 25 Geiseln sind mittlerweile frei. Die letzten vier Leichen sollen laut Hamas nächste Woche übergeben werden. Die erste Phase soll somit offiziell am Samstag enden.
Es ist unklar, ob die zweite Phase, die zum endgültigen Ende des Krieges und zur Freilassung der verbliebenen Geiseln führen soll, stattfinden wird. Laut Berichten haben beide Kriegsparteien bisher noch keine ernsthaften Verhandlungen dazu geführt, wie eigentlich geplant.
Alle noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln müssten jetzt zurückgebracht werden, verlangte das Forum der Angehörigen. «Jede Sekunde zählt. Unsere Lieben leiden, werden gefoltert und sterben in den dunklen, erstickenden Tunneln der Hamas. Dieser Albtraum darf nicht einen weiteren Tag andauern».
Hamas warnt Israel
Die Hamas hat die Verzögerung der Freilassung palästinensischer Häftlinge durch Israel scharf kritisiert. Gemäß Vereinbarung hätten am Samstag rund 600 inhaftierte Palästinenser freigelassen werden sollen, darunter 50 mit lebenslangen Haftstrafen.
Die Hamas informierte die Vermittler Ägypten und Katar über die Verzögerung, wie es in einer Erklärung der Terrororganisation stand. Die Hamas warnte Israel davor, dass es keine Vermittler für den Konflikt mehr finden werde, wenn es das Abkommen jetzt bricht und sich weigert, die Häftlinge freizulassen. Kurz darauf wurde bekannt gegeben, dass die Freilassung verschoben wird, so das Büro von Netanjahu.
Die Hamas fordert eine anhaltende Waffenruhe und den vollständigen Abzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen als Voraussetzung für eine Einigung auf eine zweite Phase des Abkommens. Israel besteht jedoch auf dem Kriegsziel einer vollständigen Zerstörung der islamistischen Terrororganisation.