Proiranische Miliz feuert Dutzende Raketen auf den Norden Israels ab, USA rufen Staatsbürger zur Evakuierung auf.
Israels Armee und Hisbollah-Miliz liefern sich schwere Gefechte im Libanon
Israels Armee und die Hisbollah-Miliz im Libanon haben sich in der Nacht erneut schwere Gefechte geliefert. Die proiranische Miliz feuerte in der Nacht Dutzende Raketen auf den Norden Israels ab, die so weit reichten wie noch nie. In mehreren Salven wurden die Geschosse abgefeuert, wie die «Times of Israel» unter Berufung auf die Armee berichtete. Die meisten von ihnen seien abgefangen worden. Israels Luftwaffe attackierte in den Abendstunden zuvor nach eigenen Angaben etwa 110 Stellungen der Miliz im Südlibanon, darunter einsatzbereite Raketenabschussrampen und «terroristische Infrastruktur». Seit Samstagnachmittag seien rund 400 Ziele angegriffen worden, hieß es. In den frühen Morgenstunden heulten in gleich mehreren Gebieten in Nordisrael die Sirenen.
Angesichts der Eskalation verschärfte die Armee am frühen Morgen die Einschränkungen für Bewohner im Norden Israels. Unter anderem auf den Golanhöhen und in der Küstenstadt Haifa darf kein Unterricht stattfinden. Arbeitsplätze dürfen nur aufgesucht werden, wenn sich ein Schutzraum in der Nähe befindet, wie die «Times of Israel» meldete. Versammlungen im Freien seien auf maximal 10 Personen, in Innenräumen auf 100 Teilnehmer beschränkt.
USA rufen Staatsbürger zum Verlassen des Libanons auf
Die USA rufen angesichts der Eskalation ihre Staatsbürger zum Verlassen des Libanons auf. Aufgrund der unvorhersehbaren Entwicklung «und der jüngsten Explosionen im gesamten Libanon» einschließlich der Hauptstadt Beirut rate die US-Botschaft ihren Landsleuten «dringend, den Libanon zu verlassen, solange noch kommerzielle Optionen verfügbar sind», teilte das US-Außenministerium mit. Noch gebe es Flüge, aber mit reduzierter Kapazität.
Israelische Soldaten haben nach Angaben des arabischen TV-Senders Al-Dschasira am frühen Morgen die Büros des Unternehmens im besetzten Westjordanland betreten und vorübergehend geschlossen. Schwer bewaffnete und maskierte israelische Soldaten betraten das Gebäude und ordneten eine 45-tägige Schließung an. Sie haben keinen Grund für diese Entscheidung genannt. Die israelische Regierung hatte bereits im Mai ein Notfallgesetz angewendet, um den Betrieb des Senders in Israel zu stoppen.
Bericht: Israel schließt Al-Dschasira-Büro im Westjordanland
Das sogenannte Al-Dschasira-Gesetz ermöglicht Israels Regierung eine Schließung ausländischer TV-Sender, wenn diese als Risiko für die Sicherheit des Staats eingestuft werden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte den arabischen Sender als «Sprachrohr» der islamistischen Hamas bezeichnet, das der Sicherheit Israels geschadet habe. Al-Dschasira hatte die Vorwürfe zurückgewiesen und von einem «kriminellen Akt» gesprochen.
Die Situation im Westjordanland hat sich seit dem Massaker der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober letzten Jahres in Israel und dem darauffolgenden Gaza-Krieg deutlich verschärft. Laut Behördenangaben wurden seitdem Hunderte Palästinenser in Ramallah bei israelischen Militäreinsätzen, bewaffneten Auseinandersetzungen und Anschlägen von Extremisten getötet.
Derweil wächst die Sorge, dass sich der Konflikt zwischen Israels Streitkräften und der mit der Hamas verbündeten Hisbollah im Libanon zum Flächenbrand entwickelt. Man habe im Süden des Nachbarlandes «umfangreiche Angriffe durchgeführt», nachdem Vorbereitungen der Hisbollah für einen Beschuss israelischen Gebiets festgestellt worden seien, teilte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari am Abend mit. Die etwa 400 im Libanon getroffenen Raketenwerfer der Hisbollah hätten Tausende Raketenabschussrohre umfasst.
Bericht: USA hoffen auf diplomatische Lösung
Am Freitag führte die Armee Israels einen Angriff auf einen Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut durch und tötete dabei nach eigenen Angaben 16 Hisbollah-Mitglieder, darunter den hochrangigen Hisbollah-Militärkommandeur Ibrahim Akil, auf den der Angriff abzielte, so das israelische Militär. Auch mehrere andere hochrangige Hisbollah-Kommandeure wurden getötet. Laut dem libanesischen Gesundheitsministerium kamen bei dem Angriff insgesamt mindestens 37 Menschen ums Leben, darunter drei Kinder.
Die US-Regierung sei nach Aussagen von Beamten «äußerst besorgt» über das Risiko eines umfassenden Krieges zwischen Israel und dem Libanon, berichtete das Nachrichtenportal «Axios». Washington hoffe aber, den zunehmenden militärischen Druck Israels auf die Hisbollah nutzen zu können, um eine diplomatische Einigung zu erzielen, damit Zivilisten auf beiden Seiten der israelisch-libanesischen Grenze in ihre Häuser zurückkehren können.
Mit diplomatischem und zunehmendem militärischem Druck möchte Israel erreichen, dass die Hisbollah sich aus dem Grenzgebiet zurückzieht, so wie es eine UN-Resolution vorschreibt. Sobald die grenznahe Region wieder sicher ist, sollen 60.000 geflüchtete Israelis in ihre Häuser und Wohnungen zurückkehren. Die proiranische Schiiten-Miliz will ihre Angriffe auf Israel jedoch erst einstellen, wenn es zu einer Waffenruhe zwischen Israel und der mit ihr verbündeten islamistischen Hamas im Gazastreifen kommt. Israel und die USA suchten nach Möglichkeiten, die Hisbollah-Miliz von der Hamas abzukoppeln, berichtete «Axios» weiter.
Erneut Massenproteste in Israel
Die Versuche, eine Waffenruhe in Gaza zu erreichen und die dort noch festgehaltenen Geiseln der Hamas freizulassen, stecken seit Wochen fest. In Israel sind laut örtlichen Medienberichten erneut Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln zu fordern. Die Organisatoren sprachen sogar von Hunderttausenden Teilnehmern in Tel Aviv und anderen Städten.
«Beendet das Blutvergießen», war auf einem Protestschild zu lesen. «Liri – entschuldige», sagte der Vater einer entführten Frau auf einer Kundgebung in Tel Aviv. Vor allem einige rechtsextreme Minister seien schuld, dass noch immer kein Abkommen mit der Hamas für ein Ende des Kriegs und die Freilassung der Geiseln zustande gekommen sei, sagte der Vater.
Kritiker von Regierungschef Netanjahu werfen ihm vor, die indirekten Verhandlungen mit den Islamisten zu sabotieren. Netanjahu regiert mit ultra-religiösen und rechtsextremen Koalitionspartnern, die Zugeständnisse an die Hamas ablehnen. Netanjahu, gegen den ein Korruptionsprozess läuft, ist für sein politisches Überleben auf diese Partner angewiesen.