Israel will mit der neuen Militäroffensive die Geiseln freibekommen und die Hamas vollends zerschlagen. Der oberste UN-Menschenrechtler vermutet jedoch hinter Israels Vorgehen ein weiteres Ziel.
Israels Armee beginnt neue Großoffensive in Gaza
Israels Armee hat nach eigenen Angaben die erwartete neue Großoffensive im Gazastreifen eingeleitet. Das teilte das Militär in der Nacht mit. Im Laufe des vergangenen Tages habe die Armee damit begonnen, «umfangreiche Angriffe durchzuführen und Truppen zu mobilisieren, um die operative Kontrolle in Gebieten des Gazastreifens zu erlangen». Der nun laufende Militäreinsatz unter dem Namen «Gideon’s Chariots» sei der Auftakt zur «Erreichung der Kriegsziele» – einschließlich der Freilassung von Geiseln und der Zerschlagung der islamistischen Terrororganisation Hamas, hieß es.
Berichte über nächtliche Bombardierungen
Die israelische Nachrichtenseite «Ynet» berichtete in der Nacht unter Berufung auf Quellen im Gazastreifen von neuen heftigen Explosionen im Norden des abgeriegelten Küstengebiets. Östlich der Stadt Gaza gebe es Berichte über Artilleriebeschuss durch die israelische Armee, hieß es. Demnach würden Wohngebäude bombardiert. Die israelische Regierung hatte jüngst angekündigt, den Militäreinsatz im Gazastreifen ausweiten zu wollen.
Israelische Medien hatten berichtet, dass dies nach dem Ende der Nahostreise von US-Präsident Donald Trump geschehen solle, wenn bis dahin kein neues Gaza-Abkommen erzielt werde. Trump hat inzwischen seinen mehrtägigen Besuch in der Golfregion beendet. Ein neuer Deal für Gaza ist nach wie vor nicht in Sicht.
UN-Hochkommissar: «Ethnische Säuberung» im Gazastreifen
Bei den Angriffen der israelischen Armee waren nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde in Gaza zuletzt rund 100 Menschen ums Leben gekommen. Die Angaben, die nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheiden, ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die israelische Nachrichtenseite «ynet» hatte unter Berufung auf Sicherheitsbeamte gemeldet, die Angriffe seien eine Vorbereitung auf den Einmarsch weiterer Truppen.
Der Chef des UN-Menschenrechtsbüros verurteilte Israels neue Offensive mit drastischen Worten. «Es sieht nach einem Vorstoß für eine dauerhafte Bevölkerungsverschiebung in Gaza aus, der das Völkerrecht missachtet und einer ethnischen Säuberung gleichkommt», sagte Hochkommissar Volker Türk in Genf. Die Bombardements hätten zu weiteren Vertreibungen geführt.
Warnung vor Hungersnot
Die neue Militäroffensive Israels wird voraussichtlich die bereits schwierige Lage der palästinensischen Bevölkerung im dicht besiedelten und nach mehr als anderthalb Jahren Krieg weitgehend zerstörten Gazastreifen weiter verschärfen. Die UN und Hilfsorganisationen warnen bereits vor einer Hungersnot. Seit Anfang März werden keine Hilfslieferungen mehr in den Gazastreifen gelassen, da Israel der Hamas vorwirft, diese weiterzuverkaufen, um ihre Kämpfer und Waffen zu finanzieren.
Das Sicherheitskabinett Israels hat vor Kurzem beschlossen, Lieferungen nach Gaza wieder zuzulassen, jedoch mit einem anderen Mechanismus, um sicherzustellen, dass die Hamas nicht davon profitieren kann. Berichten zufolge sollen Güter nur noch von wenigen Standorten aus verteilt werden. Die UN kritisierten dies: Zivilisten könnten auf dem Weg zu diesen Verteilungszentren ins Kreuzfeuer geraten.
Trump: Gaza sollte «Freiheitszone» werden
«Gaza ist ein scheußlicher Ort», sagte US-Präsident Trump dem US-Sender Fox News und erhob erneut Anspruch auf das Küstengebiet. Es sollte eine «Freiheitszone» werden, sagte er. Bereits Anfang Februar hatte Trump erklärt, die USA könnten Gaza übernehmen, neu aufbauen und in eine «Riviera des Nahen Ostens» verwandeln. Die mehr als zwei Millionen palästinensischen Bewohner müssten dafür umgesiedelt werden.
Benjamin Netanjahu, der israelische Ministerpräsident, erklärte kürzlich, dass er davon ausgehe, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung den Gazastreifen verlassen würde, wenn entsprechende Ausreisemöglichkeiten vorhanden wären. Israel bemüht sich derzeit, Drittstaaten dazu zu bewegen, die Menschen aufzunehmen. Zwangsumsiedlungen würden nach Expertenmeinung gegen das Völkerrecht verstoßen.
Seit dem Beginn des Krieges vor mehr als eineinhalb Jahren wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 53.100 Palästinenser im Gazastreifen getötet. Der Auslöser des Krieges war der Überfall der Hamas und anderer islamistischer Terroristen auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden.