Kritiker warnen, der Geheimdienst könne zum Instrument von Premier Netanjahu werden. Seit Tagen kommt es zu Protesten, auch gegen den Neubeginn des Gaza-Kriegs. Doch Netanjahu zeigt sich unbeirrt.
Israels Regierung entlässt Geheimdienstchef – Massenproteste
Die rechtsreligiöse Regierung Israels unter Benjamin Netanjahu hat trotz wütender Massenproteste den Chef des Inlandsgeheimdienstes entlassen. Das Kabinett hat einstimmig Netanjahus Entscheidung gebilligt, Schin Bet-Chef Ronen Bar seines Amtes zu entheben, teilte das Büro des Ministerpräsidenten in der Nacht mit. Es ist das erste Mal in der Geschichte Israels, dass eine Regierung den Leiter des Schin Bet entlässt. Tausende Menschen protestierten bei strömendem Regen vor Netanjahus Amtssitz. Laut Medien kam es auch zu Zusammenstößen mit der Polizei.
Netanjahu, gegen den seit Jahren ein Korruptionsprozess läuft, hatte die Entlassung von Ronen Bar am Sonntagabend angekündigt. Als Grund nannte er einen «Mangel an Vertrauen» in den Geheimdienstchef. Die Beziehungen zwischen den beiden gelten seit Längerem als belastet. Der Schin Bet ermittelt gegen Vertraute von Netanjahu wegen angeblicher Beziehungen zu Katar.
Kritiker warnen vor schwerwiegenden Folgen
Es wird berichtet, dass Netanjahus Berater angebliche Geldzahlungen von Katar erhalten haben sollen, um das Image des Golfemirats in Israel zu verbessern. Katar ist einer der Unterhändler bei den indirekten Gesprächen mit der islamistischen Hamas, gilt jedoch auch als Unterstützer der Terrororganisation.
In Israels Presse werden die Ermittlungen als «Katargate» bezeichnet. Oppositionsführer Jair Lapid erklärte der «Times of Israel» zufolge, die Regierung entlasse Bar «nur aus einem einzigen Grund: Um die Katargate-Untersuchung zu stoppen». Die Oppositionsparteien würden gemeinsam «gegen diesen rücksichtslosen Schritt» vorgehen, kündigte Lapid an.
Kritiker in Israel warnen davor, dass Netanjahu Bar durch einen loyalen Nachfolger ersetzen könnte, der die Ermittlungen stoppt. Sie befürchten, dass der Inlandsgeheimdienst unter der Kontrolle des Ministerpräsidenten zum Einsatz gegen politische Gegner kommen könnte. Netanjahu hatte zuvor Bar aus dem israelischen Verhandlungsteam für die indirekten Gespräche mit der Hamas entfernt.
Wütende Proteste
Bars Amtszeit wird am 10. April enden, es sei denn, es wird zuvor ein Nachfolger ernannt, teilte Netanjahus Büro in der Nacht mit. Vor Netanjahus Büro in Jerusalem versammelten sich trotz starken Regens Tausende zu Massenprotesten. Die Polizei setzte teilweise Wasserwerfer ein, um die Demonstranten zu stoppen, wie lokale Medien berichteten. Bereits in den vorherigen Tagen gab es große Proteste gegen die Entlassung von Bar.
In einer weiteren Untersuchung von Schin Bet über die Fehler, die das Massaker der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober 2023 in Israel ermöglicht hatten, war auch Netanjahu nicht gut weggekommen. Der Terrorüberfall war Auslöser des Krieges im Gazastreifen. Dort geht Israels Armee seit der Nacht zum Dienstag wieder massiv gegen die Hamas vor, womit de facto eine seit dem 19. Januar geltende Waffenruhe endete. Nun begann die Armee nach eigenen Angaben auch eine Bodenoffensive in Rafah im Süden.
Israels Armee beginnt Bodenoffensive in Rafah
Bodentruppen hätten in einem Stadtteil Infrastruktur von Terrororganisationen zerstört, hieß es. Auch im Norden sowie im Zentrum des abgeriegelten Küstenstreifens würden die Angriffe am Boden fortgesetzt. Zudem bombardiere die Luftwaffe weiter Ziele im gesamten Gazastreifen. «Wir werden nicht aufhören, bis die Geiseln freigelassen werden», sagte Verteidigungsminister Israel Katz. Nach israelischen Informationen werden noch 24 Geiseln im Gazastreifen festgehalten. Hinzu kommen die Leichen von 35 Verschleppten.
Seit Beginn des Krieges wurden laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde rund 49.000 Menschen im Gazastreifen getötet. Die unabhängig nicht überprüfbaren Angaben unterscheiden nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten. Israel spricht von rund 20.000 getöteten Terroristen. Arabische Geheimdienstbeamte gingen davon aus, dass die Hamas nur noch zehn bis 15 Prozent der rund 20.000 Geschosse besitzt, die sie beim Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 hatte, berichtete das «Wall Street Journal».
Israel habe laut Geheimdienstlern viele Raketenproduktionsstätten der Hamas zerstört, was es schwierig mache, das Arsenal wieder aufzufüllen. Die neuen Rekruten, die die gefallenen Kämpfer ersetzen, seien jung und schlecht ausgebildet. Trotzdem warnten israelische Analysten davor, dass die Hamas immer noch in der Lage sei, Israels Armee im Guerillastil Verluste zuzufügen. Die Gruppe habe israelische Granaten gesammelt, um sie für Hinterhaltangriffe zu verwenden.
Israels Militär fängt weitere Rakete aus dem Jemen ab
Mit dem Beginn des Gaza-Kriegs hat auch die mit der Hamas verbündete Huthi-Miliz im Jemen ihre Angriffe auf Israel wieder aufgenommen. Laut Armee heulten erneut in mehreren Regionen sowie in Siedlungen im Westjordanland die Warnsirenen. Israels Militär teilte mit, dass eine aus dem Jemen abgefeuerte Rakete von der Raketenabwehr abgefangen wurde, bevor sie israelisches Gebiet erreichen konnte. Es wurden keine Berichte über Verletzte oder Schäden gemeldet. Auch in Jerusalem gab es Raketenalarm.
Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten fordern eine umgehende Rückkehr zur Waffenruhe. In einer gemeinsamen Erklärung des Brüsseler Frühjahrsgipfels wurde betont, dass es wichtig sei, zum Abkommen zurückzukehren. Es wurde darauf hingewiesen, dass alle Geiseln freigelassen werden müssten und die Feindseligkeiten dauerhaft beendet werden sollten. Es wurde auch unterstrichen, dass es notwendig sei, uneingeschränkte humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza bereitzustellen. Insbesondere müsse die Stromversorgung – einschließlich der Wasserentsalzungsanlagen – sofort wiederhergestellt werden.