Israel begründet die Entscheidung, UNRWA zu verbieten, mit Terrorvorwürfen. Auch befreundete Länder kritisieren den Schritt jedoch scharf. Welche Auswirkungen des Verbots sind wahrscheinlich?
Israels UNRWA-Verbot: Dramatische Auswirkungen befürchtet
Das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA muss gemäß einer Entscheidung des israelischen Parlaments innerhalb von drei Monaten seine Tätigkeit auf israelischem Territorium beenden. Die Verabschiedung von zwei Gesetzen in der Knesset – mit überwältigender Mehrheit – wird international kritisiert. Es wird befürchtet, dass dies schwerwiegende Folgen für die Palästinenser hat, insbesondere für zwei Millionen Menschen im umkämpften Gazastreifen.
Welche konkreten Schritte sind geplant?
Das erste Gesetz verbietet UNRWA, jegliche Vertretung auf israelischem Territorium zu betreiben, Dienstleistungen anzubieten sowie direkte oder indirekte Aktivitäten durchzuführen. Dies betrifft die Vertretung von UNRWA im arabisch geprägten Ostteil Jerusalems, den Israel 1967 erobert und später annektiert hatte. Israel plant, das Land, auf dem die Vertretung steht, zu beschlagnahmen und dort 1.440 Wohnungen für Siedler zu bauen. Die Vertretung ist bereits seit einiger Zeit geschlossen.
Das Gesetz betrifft im Allgemeinen die Aktivitäten der UNRWA in Ost-Jerusalem, insbesondere im Flüchtlingsviertel Schoafat, wo die Organisation bisher grundlegende Dienstleistungen wie Schulbildung, Gesundheit und Müllabfuhr angeboten hatte.
Das zweite Gesetz verbietet israelischen Behörden jeglichen Kontakt mit UNRWA oder dessen Repräsentanten. Es besagt, dass die Zustimmung Israels in einem Schreiben vom 14. Juni 1967, dass UNRWA Hilfsleistungen für palästinensische Flüchtlinge anbietet, für ungültig erklärt wird. Darüber hinaus sollen UNRWA-Mitarbeiter Privilegien wie Immunität und Steuerbefreiungen verlieren.
Welche Auswirkungen werden für die Palästinenser im Gazastreifen befürchtet?
Etwa zwei Millionen Menschen dort sind auf die lebenswichtige Hilfe von UNRWA angewiesen. «Diese Gesetzesentwürfe werden das Leiden der Palästinenser nur noch verschlimmern, insbesondere in Gaza, wo die Menschen seit mehr als einem Jahr durch die Hölle gehen», schrieb UNRWA-Leiter Philippe Lazzarini auf der Plattform X.
Die neuen Gesetze, die innerhalb von drei Monaten in Kraft treten sollen, betreffen zwar das israelische Staatsgebiet. Es wird jedoch angenommen, dass UNRWA aufgrund dessen seine Aktivitäten im Westjordanland und Gazastreifen praktisch nicht fortsetzen kann, da Israel die Grenzübergänge kontrolliert.
Die humanitäre Lage im Norden des Gazastreifens wird bereits jetzt als katastrophal eingestuft, immer wieder warnen Hilfsorganisationen vor Hunger und Krankheiten. Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor mehr als einem Jahr stellt UNRWA auch Unterkünfte für Hunderttausende Binnenflüchtlinge zur Verfügung. Laut UN-Angaben sind etwa 90 Prozent der Bewohner des Gebiets vertrieben worden, viele sogar mehrfach.
Die Vereinten Nationen gründeten das Hilfswerk im Jahr 1949, um palästinensischen Flüchtlingen zu helfen. Palästinenser, die während der Kriege 1948 und 1967 geflohen oder vertrieben wurden, sowie ihre Nachkommen haben Anspruch auf die Dienste des Hilfswerks. Laut Angaben der Organisation sind mittlerweile rund 5,9 Millionen Menschen berechtigt, und die Zahl steigt kontinuierlich an. Das Hilfswerk ist auch in Jordanien und im Libanon tätig.
Wie begründet Israel das Verbot?
In der Begründung des ersten Gesetzes steht: «Da es dem Staat Israel bewiesen wurde, dass UNRWA und seine Mitarbeiter an Terroraktivitäten gegen Israel teilgenommen haben und darin involviert waren, soll festgelegt werden, dass Israel alle Aktivitäten der Organisation innerhalb seines Territoriums stoppt.»
Der israelische Außenminister Israel Katz sagte, es sei «ohne jeglichen Zweifel bewiesen worden, dass die UNRWA-Organisaton eine aktive Rolle bei den Morden und Entführungen am 7. Oktober (vergangenen Jahres) gespielt hat». «UNRWA ist gleich Hamas», sagte der Abgeordnete Boaz Bismuth von der rechtskonservativen Regierungspartei Likud, einer der Initiatoren des ersten Gesetzes, nach der Billigung.
Die israelische Regierung veröffentlichte im Februar ein Video vom 7. Oktober 2023, das einen UNRWA-Sozialarbeiter zeigt, der die Leiche eines Israelis in ein Auto trägt, um ihn in den Gazastreifen zu verschleppen.
Ein Prüfbericht unabhängiger Experten hatte israelische Vorwürfe gegen insgesamt zwölf UNRWA-Mitarbeiter untersucht und war zu dem Schluss gekommen, UNRWA habe «robuste» Mechanismen etabliert, um seinen Neutralitätsgrundsatz zu wahren. Allerdings gebe es Verbesserungsbedarf.
Wie realistisch sind Israels Erwartungen an eine UNRWA-Alternative?
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schrieb bei X, es sei unbedingt notwendig, eine humanitäre Krise im Gazastreifen zu verhindern. «In den 90 Tagen, bevor die Gesetzgebung in Kraft tritt, und danach, sind wir bereit, mit unseren internationalen Partnern zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass Israel humanitäre Hilfe für Zivilisten in Gaza auf eine Art ermöglicht, die Israels Sicherheit nicht gefährdet», schrieb Netanjahu, ohne Einzelheiten zu nennen. Die Initiatoren der Gesetze hatten gesagt, man werde sich binnen drei Monaten für die Schaffung von Alternativen für UNRWA einsetzen.
UN-Generalsekretär António Guterres betonte nach der Entscheidung der Knesset jedoch, dass es keine Alternative für die Arbeit von UNRWA gebe. Letzten Monat hatten israelische Medien berichtet, dass Netanjahu die Armee angewiesen hatte, sich auf die Möglichkeit vorzubereiten, die Verteilung humanitärer Hilfsgüter im Gazastreifen zu übernehmen. Allerdings wurde aus Armeekreisen darauf hingewiesen, dass dies das Leben der Soldaten gefährden könnte.
Nach jüngsten Medienberichten könnte Israel außerdem private Subunternehmer mit der Auslieferung humanitärer Hilfe im Gazastreifen beauftragen. Ziel sei es, dass die islamistische Hamas und andere bewaffnete Gruppen die Güter nicht abgreifen können. Der Geschäftsführer eines US-Logistikunternehmens sagte der israelischen Nachrichtenseite ynet, seine Firma könne die Lieferung humanitärer Güter in den Gazastreifen sichern und deren Verteilung in «humanitären Zonen» übernehmen, zu denen Terroristen keinen Zugang haben sollten.
Israel lehnt bisher eine größere Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland sowie im Gazastreifen ab, die von den USA und Deutschland befürwortet wird. Die rechtsreligiöse Regierung von Netanjahu strebt danach, eine Zweistaatenlösung zu verhindern und betrachtet den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas nicht als verlässlichen Partner.
Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?
Die Türkei verurteilte das UNRWA-Arbeitsverbot als eindeutig völkerrechtswidrig. UN-Generalsekretär António Guterres warnte, die Umsetzung der Gesetze «könnte verheerende Folgen für die palästinensischen Flüchtlinge in den besetzten palästinensischen Gebieten haben, was nicht hinnehmbar ist». Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, warnte vor «verheerenden Folgen».
Auch mit Israel eng befreundete Länder, darunter die USA und Deutschland, kritisierten die Entscheidung. Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, zeigte sich «sehr besorgt». Die humanitäre Lage der vertriebenen Männer, Frauen und Kinder im Gazastreifen sei bereits desaströs, schrieb Seibert auf der Plattform X. «Durch diese Gesetze werden sie noch mehr gefährdet.»