Kurz vor Donald Trumps Nahost-Reise lässt die Hamas als Geste gegenüber den USA einen amerikanisch-israelischen Doppelstaatler frei. Israel bereitet dennoch eine Verschärfung der Angriffe in Gaza vor.
Jubel und Tränen nach Freilassung von Hamas-Geisel

Nach mehr als 580 Tagen in Gefangenschaft kann Edan Alexander endlich seine Mutter wiedersehen. Beide umarmen sich lange, die Mutter schreit vor Freude und schließlich weinen sie zusammen. Der junge Soldat ist nach 19 Monaten Hamas-Geiselhaft im Gazastreifen wieder in Israel und mit seiner Familie vereint. Auch Vater und Geschwister kann Alexander wieder in die Arme nehmen, Bruder und Schwester küsst er auf die Stirn. Aufnahmen des Wiedersehens wurden am späten Montagabend von Israels Armee und Regierung veröffentlicht.
Kurz zuvor hatten die Islamisten den amerikanisch-israelischen Doppelstaatler aus ihrer Gewalt entlassen. Die Freilassung wird als Geste gegenüber den USA betrachtet: Die Hamas hofft, dass US-Präsident Donald Trump Druck auf Israels Regierung ausübt, damit sie einem Abkommen zustimmt, das auch ein dauerhaftes Ende des Gaza-Kriegs vorsieht. Am Montag brach Trump zu einer mehrtägigen Nahost-Reise auf. Nach dem heutigen Stopp in Saudi-Arabien folgen Besuche in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten – aber keiner in Israel. Es handelt sich um die erste große Auslandsreise des US-Präsidenten in seiner zweiten Amtszeit.
Folter, Handschellen, wenig Essen
Edan Alexander hat schwierige Monate hinter sich: Terroristen hätten ihn bei Verhören brutal gefoltert und in einem Käfig eingesperrt, berichtete der israelische Sender Kan unter Berufung auf erste Aussagen des 21-Jährigen. Er musste auch lange Zeit Handschellen tragen. Laut dem Bericht wurde der Soldat der israelischen Armee zusammen mit anderen Geiseln in einem Tunnel festgehalten und erhielt nur wenig Essen. Die Hamas veröffentlichte im November 2024 ein Video des Soldaten, auf dem er hemmungslos weint.
Alexander kam nach der Freilassung zur Behandlung in eine Klinik, dort traf er auch weitere Angehörige. Auf den veröffentlichten Aufnahmen sieht er blass aus. Laut dem Sender Kan sagte er in einem ersten Gespräch mit seiner Mutter, er müsse zum Sonnenbaden an den Strand. «Ich liebe dich so sehr», sagte seine Mutter in ihrem ersten Telefonat, das die beiden noch vor dem Wiedersehen führten.
Die Familie war aus den USA angereist, um den 21-Jährigen in Empfang zu nehmen. Alexanders Eltern waren kurz nach seiner Geburt in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Ihr ältester Sohn ging später alleine nach Israel, um dort in der Armee zu dienen. Am 7. Oktober 2023 wurde er dann von einem Wachposten in der Nähe des Gazastreifens in das abgeriegelte Küstengebiet verschleppt. Er ist der erste männliche Soldat, der seitdem lebend aus der Geiselhaft der Hamas freikam. Die Freilassung wurde zwischen der Hamas und den USA vereinbart, ohne israelische Beteiligung.
Hamas soll vollständig entwaffnet werden
Israels Armee hat ihre Angriffe im Gazastreifen kurzzeitig unterbrochen, aber diese nach israelischen und palästinensischen Berichten wieder aufgenommen. Israels Regierung beabsichtigt, die Angriffe im Gazastreifen weiter auszuweiten. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lehnt weiterhin ein Ende des Krieges ab und strebt danach, die Hamas vollständig zu zerschlagen.
Das Büro des israelischen Regierungschefs kündigte an, am Dienstag Unterhändler zu indirekten Verhandlungen mit der Hamas nach Katar zu schicken. Die von den USA, Ägypten und Katar vermittelten Gespräche zwischen Israel und der Hamas sind vor einigen Monaten ins Stocken geraten. Die Hauptstreitpunkte zwischen den beiden Kriegsparteien sind nach wie vor nicht gelöst.
Am Abend zitierte der israelische Sender Channel 12 Ministerpräsident Netanjahu mit den Worten, dass eine Einigung über ein Ende des Kriegs nur möglich sei, wenn die Hamas vollständig entwaffnet werde. Die palästinensische Terrororganisation hat diese Forderung als Voraussetzung für einen dauerhaften Waffenstillstand bisher abgelehnt. Jetzt hofft sie darauf, dass US-Präsident Trump auf Netanjahu einwirkt.
Dank an Trump – und ein Treffen?
Nach seiner Freilassung hielt Edan Alexander auf einem Helikopterflug ins Krankenhaus eine Tafel mit der Aufschrift «Danke, Präsident Trump!!!» in eine Kamera. Im Laufe der Woche könnte er zu einem Treffen mit Trump nach Katar reisen, sollte es ihm dafür gut genug gehen. Das berichteten mehrere israelische Medien unter Berufung auf Alexanders Familie.
Israelischen Quellen zufolge werden nach der Freilassung des jungen Mannes noch mindestens 20 lebende Geiseln im Gazastreifen festgehalten, bei drei weiteren Entführten ist der Status unklar. Des Weiteren wurden die sterblichen Überreste von 35 Entführten noch nicht übergeben.
«Unsere Leben sind weniger wert»
Bei aller Freude über die Freilassung Edan Alexanders gab es auch Kritik an der Regierung Netanjahus, der vorgeworfen wird, andere Geiseln im Gazastreifen im Stich zu lassen. «Es ist schwer, die harte Botschaft zu ignorieren, die den Bürger des Staates Israel und der ganzen Welt heute übermittelt wurde: Unsere Leben sind weniger wert», hieß es in einer Botschaft des Kibbuz Nir Oz. «Einer Geisel mit amerikanischem Pass wird Priorität eingeräumt, während die 58 anderen Geiseln zurückgelassen werden – darunter 14 Mitglieder der Gemeinschaft von Nir Oz, und die Sorge um ihr Los ist größer denn je.»
Nir Oz war vor gut anderthalb Jahren einer der Schauplätze eines beispiellosen Massakers. Die Hamas und andere islamistische Terroristen töteten am 7. Oktober 2023 bei ihrem Angriff im Süden Israels rund 1.200 Menschen und entführten mehr als 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen. Dieses Massaker führte zum Gaza-Krieg. Laut Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden bisher mehr als 52.800 Palästinenser getötet, wobei sowohl Zivilisten als auch Kämpfer mitgezählt werden.