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Statistik: 75 Tote nach Behandlungsfehlern von Patienten

Selten, aber folgenschwer: Unachtsamkeiten oder Fehlentscheidungen im OP-Saal oder Behandlungszimmer haben oft tragische Folgen. Patientenschützer kritisieren die Fehlerkultur in der Medizin.

Der Medizinische Dienst stellte im vergangenen Jahr in rund 2700 Fällen fehlerbedingte Schäden nach Behanldungen fest. (Archivbild)
Foto: Frank Molter/dpa

Statt der geplanten Operation wegen einer Zyste wurde eine 39-jährige Frau sterilisiert – der Grund: eine Verwechslung. Patienten oder Körperteile verwechseln, die falschen Medikamente verabreichen oder Gegenstände nach Operationen unbeabsichtigt im Körper zurücklassen – solche schwerwiegenden Fehler von Ärztinnen und Ärzten nennt der Medizinische Dienst «Never Events». Es sind Versehen, die laut Gutachtern niemals passieren dürften und vermeidbar wären. 

Etwa 150 Fehler dieser schwerwiegenden Art wurden im letzten Jahr von den Gutachtern registriert. Dies wurde vom Medizinischen Dienst bei der Präsentation seiner Jahresstatistik 2023 in Berlin bekannt gegeben. Er agiert als Gutachter für die gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen. Insgesamt 75 Patienten starben demnach aufgrund von Fehlern des medizinischen Personals. Im Vorjahr wurden von den Experten 84 Todesfälle auf solche Fehler zurückgeführt.

«Um solche Ereignisse zu verhindern, brauchen wir eine Meldepflicht», fordert der Vorstandschef des Medizinischen Dienstes Bund, Stefan Gronemeyer. Da es diese in den Krankenhäusern aktuell nicht gibt, erfasst die Statistik nur Fälle, die auf die Initiative der Patienten zurückgehen. 

Schaden durch Fehler in jedem fünften Gutachten nachgewiesen 

Denn derzeit ist der Ablauf folgender: Wenn jemand das Gefühl hat, dass bei seiner Behandlung ein Fehler unterlaufen ist, kann er sich an seine gesetzliche Krankenkasse wenden. Diese kann dann den Medizinischen Dienst einschalten, um den Fall zu untersuchen. Erst dann wird der Fall in die Statistik aufgenommen. Im Jahr 2023 kam es fast 12.500 Mal dazu, was etwa 600 Gutachten weniger sind als im Vorjahr.

Bei den meisten Fällen (71,1 Prozent) wurde von den Experten kein Fehlverhalten des medizinischen Personals festgestellt. In rund jedem fünften Fall (21,5 Prozent), also bei 2.679 Behandlungen, erlitten Patienten aufgrund eines Fehlers der Ärzte einen Schaden. Die absolute Anzahl der Vorfälle bleibt somit nahezu unverändert – im Vorjahr waren es nur 17 mehr. In allen anderen Gutachten wurde entweder kein Schaden festgestellt oder es konnte kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Schaden und Fehlverhalten nachgewiesen werden.

Die Anzahl der nachgewiesenen Fehler beträgt weit weniger als ein Prozent aller Behandlungen in Deutschland. Zum Vergleich: Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung gibt es jährlich weit über 500 Millionen Behandlungsfälle in den Praxen. Dennoch haben diese Fehler oft schwerwiegende Folgen für die Patienten.

Wie schwer sind die Schäden?

Die Mehrheit der Patienten (65,5 Prozent) erleidet nur vorübergehende Schäden, während bei knapp einem Drittel (29,7 Prozent) die Schäden dauerhaft sind. Im vergangenen Jahr wurden 180 fehlerbedingte Dauerschäden als schwerwiegend eingestuft. Dies bedeutet, dass die betroffenen Patienten nun pflegebedürftig, blind oder gelähmt sind.

Die Dunkelziffer der Behandlungsfehler sei insgesamt wahrscheinlich deutlich höher. Experten vermuteten, dass es in einem Prozent aller stationären Behandlungen zu vermeidbaren Schäden kommt. «Fachleute gehen außerdem davon aus, dass es jedes Jahr ca. 17.000 fehlerbedingte, vermeidbare Todesfälle in unseren Krankenhäusern gibt», erklärte Vorstandschef Gronemeyer. Er berief sich dabei unter anderem auf eine Studie im Auftrag des Aktionsbündnisses Patientensicherheit. 

Laut dem Medizinischen Dienst ist es erforderlich, dass solche Fälle ohne Sanktionen und pseudonymisiert gemeldet werden, damit aus ihnen gelernt werden kann und sie sich nicht wiederholen.

Forderungen nach Härtefallfonds und Meldepflicht

«Wenn solche Fehler passieren, dann bestehen Risiken im Versorgungsprozess, denen systematisch nachgegangen werden muss», forderte Gronemeyer. Er kritisierte, dass die von der Bundesregierung geplante Krankenhausreform keine Verfahren zur Vermeidung von Fehlern enthalte. Diese seien im Ausland längst üblich. 

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte den Umgang mit Fehlern in der Medizin scharf. «Patientinnen und Patienten werden hierzulande im Stich gelassen. Denn eine Fehlerkultur in Praxen und Pflegeheimen ist nicht existent», äußerte der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch. 

Auf dpa-Anfrage teilt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit, Kliniken und Praxen seien bereits gesetzlich verpflichtet, Fehlermeldesysteme umzusetzen. «Sowohl im vertragsärztlichen Bereich als auch in Krankenhäusern verdeutlichen Auswertungen einen hohen Umsetzungsstand von Fehlermanagement und Fehlermeldesystemen», heißt es aus dem Ministerium. 

Damit Betroffene entschädigt werden könnten, brauche es einen Härtefallfonds, wie er im Koalitionsvertrag versprochen sei. «Es kann nicht sein, dass die Geschädigten viele Jahre warten müssen, um zu ihrem Recht zu kommen», kritisierte Brysch und forderte vom Gesundheitsminister einen Gesetzesentwurf. Das BMG teilte mit, es werde geprüft, ein Konzept für die Ausgestaltung eines Härtefallfonds in Auftrag zu geben.

dpa