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Kiew und Moskau starten Treffen – Wut auf Korruptionsgesetz

Ein Durchbruch für eine Waffenruhe ist bei den Gesprächen von Moskau und Kiew nicht zu erwarten. Derweil fürchten in der Ukraine Demonstranten um die Unabhängigkeit der Korruptionsermittler.

Zweimal haben sich russische und ukrainische Unterhändler seit Mai zu Verhandlungen in Istanbul getroffen. (Archivbild)
Foto: Handout/Türkisches Außenministerium/dpa

Knapp dreieinhalb Jahre nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine werden Vertreter beider Länder heute in Istanbul ihre zuletzt ins Stocken geratenen direkten Gespräche fortsetzen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Erwartungen an die neue Verhandlungsrunde jedoch bereits gedämpft. Seinen Angaben zufolge wird es auch dieses Mal nicht um eine Waffenruhe, sondern unter anderem um einen Gefangenenaustausch gehen. Unterdessen protestierten am Abend in der Ukraine Hunderte Menschen auf der Straße, die um die Unabhängigkeit der Korruptionsermittler im Land besorgt sind.

Am Abend unterzeichnete Selenskyj ein Gesetz, das die Befugnisse von NABU und SAP einschränkt und nach Ansicht der Opposition ihre Unabhängigkeit beeinträchtigt. Der Leiter des Nationalen Antikorruptionsbüros, Semen Krywonos, warnte davor, dass das zuvor vom Parlament verabschiedete Gesetz den angestrebten Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union gefährde.

Ein EU-Kommissionssprecher äußerte Besorgnis über die Entwicklungen. Am Abend demonstrierten laut Medienberichten Tausende Menschen in Kiew, Lwiw (Lemberg), Odessa und Dnipro. Transparency International zufolge zählt die Ukraine zu einem der korruptesten Länder Europas.

Selenskyj will Gefangenenaustausch vorantreiben

Selenskyj sagte zu den Gesprächen in Istanbul, dass für Kiew die Ausweitung des Gefangenenaustausches und die Rückholung von Kindern, die Russland aus den besetzten Gebieten verschleppt habe, vorrangig sei. Außerdem solle das Treffen der Vorbereitung eines Gipfels zwischen ihm und Kremlchef Wladimir Putin dienen. „Nur auf Ebene der Staatschefs könne eine Waffenruhe ausgehandelt werden.“ Der Kreml hatte ein solches Treffen nicht ausgeschlossen, fordert jedoch vorab eine Einigung auf einen Friedensplan.

In seiner Videobotschaft, die er erst in der Nacht auf der Plattform X veröffentlichte, sagte Selenskyj: «Die Aufgabe ist es, auf einen Waffenstillstand hinzuarbeiten. Das ist es, worauf die ganze Welt Russland drängt. Ein Treffen auf Ebene der Staatschefs würde auch einen Frieden näherbringen.»

Die russische Delegation wird erneut von Präsidentenberater und Ex-Kulturminister Wladimir Medinski angeführt. Chefunterhändler auf ukrainischer Seite bleibt auch nach seinem Rücktritt als Verteidigungsminister Rustem Umjerow. Selenskyj hatte ihn zum Sekretär des nationalen Sicherheitsrats ernannt und mit der Aufstellung der neuen Delegation beauftragt.

Bisher Gefangenenaustausche und Rückgaben toter Soldaten

Es handelt sich bereits um das dritte Mal, dass direkte Gespräche zwischen den Kriegsparteien stattfinden, seit Mai. Vorher gab es seit 2022 keine Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew. Bei den vorherigen Treffen im Mai und Juni haben die Unterhändler einen umfangreichen Austausch von Kriegsgefangenen vereinbart. Zuletzt wurden junge Soldaten unter 25 Jahren und schwer verwundete Kämpfer freigelassen.

Moskau und Kiew haben vereinbart, die Gefallenen zurückzuführen. Russland hat bisher nach eigenen Angaben 7.000 tote ukrainische Soldaten an Kiew übergeben und auch einige Leichen erhalten. Es gibt keine Informationen über die Anzahl der ausgetauschten Gefangenen.

Russland hat bisher nicht von seinen Maximalforderungen für einen Frieden abgewichen, darunter der Verzicht der Ukraine auf den Nato-Beitritt und der vollständige Rückzug der Kiewer Truppen aus den von Moskau annektierten Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson. Im Jahr 2014 hatte Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert. Seit über drei Jahren führt das Land einen zerstörerischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Die USA unterstützen auch direkte Gespräche. «Wir ermutigen weiter zu direkten Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine, um eine umfassende Waffenruhe und eine eventuelle Friedenslösung auf dem Verhandlungswege zu erreichen», sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Tammy Bruce.

Moskau knüpft Waffenstillstand an Bedingungen

Der Kreml erwartet nach eigener Darstellung von dem Treffen der Delegationen in Istanbul eine Annäherung der bislang gegensätzlichen Positionen Moskaus und Kiews zu den Bedingungen für eine Waffenruhe. Dazu sei aber «große diplomatische Arbeit» nötig, sagte Peskow. Auf einen «Durchbruch aus der Reihe Wunder» rechne er nicht.

Eine bedingungslose Waffenruhe, wie von US-Präsident Donald Trump bereits im März vorgeschlagen, wurde von Putin – im Gegensatz zu Selenskyj – abgelehnt. Er begründete dies mit Bedenken hinsichtlich einer erneuten Aufrüstung und Neuformierung der ukrainischen Truppen. Russland plant stattdessen, seinen Vormarsch fortzusetzen, bis eine endgültige Friedenslösung erreicht ist.

Die russische Regierung besteht darauf, dass die Positionspapiere über mögliche Wege zum Frieden, die von den Kriegsparteien überreicht wurden, in der dritten Verhandlungsrunde diskutiert werden sollten. Die Ansichten auf beiden Seiten sind stark unterschiedlich.

Proteste in Kiew und anderen Städten gegen Gesetz

Derweil warnte in der Ukraine der Chef des Nationalen Antikorruptionsbüros, Krywonos, vor dem Verlust der Unabhängigkeit von Organen zur Korruptionsbekämpfung. «Wir sind kategorisch dagegen», sagte er örtlichen Medien zufolge in Kiew mit Blick auf die Verabschiedung des neuen Gesetzes.

Kritiker behaupten seit einiger Zeit, dass Selenskyj autoritäre Tendenzen zeigt. Ein Sprecher der EU-Kommission äußerte in Brüssel die Besorgnis der EU über die aktuellen Maßnahmen der Ukraine. NABU und SAP sind für die Reformagenda der Ukraine entscheidend und sollten unabhängig arbeiten, um Korruption zu bekämpfen.

https://x.com/ZelenskyyUa/status/1947803089626427753

Selenskyj sagte in seiner Videobotschaft, «die Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung wird funktionieren. Nur ohne russischen Einfluss, davon muss sie befreit werden». Seit Jahren lebten Beamte, die aus der Ukraine geflohen seien, aus irgendwelchen Gründen im Ausland – «in sehr schönen Ländern und ohne rechtliche Konsequenzen – und das ist nicht normal». 

Nach dem prowestlichen Umsturz von 2014 wurde in der Ukraine mit Unterstützung der EU und der USA ein System von Behörden zur Bekämpfung von Korruption aufgebaut. Dies sollte helfen, die weit verbreitete Bestechlichkeit in Verwaltung und Politik zu bekämpfen.

dpa