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Kiew wirft Moskau Spiel auf Zeit vor

Die Ukraine und Russland vereinbaren in Istanbul einen weiteren Gefangenenaustausch. Dennoch wirft die Ukraine der russischen Seite vor, bei den Friedensgesprächen Zeit zu schinden.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte einen neuen großen Gefangenenaustausch mit Russland an.
Foto: Mindaugas Kulbis/AP/dpa

Nach einer neuen Verhandlungsrunde zwischen Moskau und Kiew wirft der ukrainische Verhandlungsführer Russland vor, auf Zeit zu spielen. Auf Facebook bezichtigte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow Moskau, die von Kiew angestrebte 30-tägige Feuerpause als Grundlage für weitere Friedensgespräche weiter abzulehnen. «Russland lehnt selbst den Gedanken an eine Einstellung des Tötens ab», schrieb Umjerow. 

Russland habe sein Memorandum für die Gespräche bewusst bis zum Beginn des Treffens in Istanbul zurückgehalten und damit eine Nebelwand aufgebaut. Während die Ukraine ihr Memorandum mit den Vorstellungen über einen Weg zum Frieden schon Tage vor dem Treffen übergeben hatte, wartete Russland bis zum Auftakt der neuen Verhandlungsrunde. «Es hat den Anschein, dass die Russen erneut eine Verzögerungstaktik verfolgen und versuchen, den Vereinigten Staaten ein „Bild der Diplomatie“ zu vermitteln, ohne wirklich etwas zu unternehmen.»

Bei der neuesten Verhandlungsrunde, die nur eine knappe Stunde gedauert hatte, vereinbarten Russland und die Ukraine lediglich den nächsten Austausch von Kriegsgefangenen. «Es wird 1.000 gegen 1.000 geben. Vielleicht noch weitere 200 gegen 200», sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Kiew wolle weitere Militärs, aber auch politische Gefangene und Journalisten freibekommen. Ein vorbereitender Austausch von Namenslisten und deren anschließende Überprüfung sollen noch in der laufenden Woche erfolgen. 

Umjerow hatte zuvor mitgeteilt, dass der Austausch hauptsächlich schwer verletzte und schwer kranke Kriegsgefangene sowie junge Soldaten im Alter von 18 bis 25 Jahren betreffen soll. Selenskyj bestätigte auch, dass die Rückgabe von jeweils 6.000 Soldatenleichen geplant sei.

Neue russische Drohnenangriffe

Wenige Stunden nach den Friedensverhandlungen setzte das russische Militär erneut Drohnenschwärme gegen Ziele in der Ukraine ein. In verschiedenen ukrainischen Regionen, einschließlich Kiew, wurde in der Nacht Luftalarm ausgelöst. Es gab Berichte über Explosionen in Charkiw, Tschernihiw und Mykolajiw, während in Poltawa der Strom nach einer Explosion ausfiel. Ersten Medienberichten zufolge wurden bei den Angriffen mehrere Personen verletzt.

Selenskyj feiert ukrainischen Drohnenangriff erneut

Nach dem ukrainischen Überraschungsangriff gegen russische Militärflugplätze vom Vortag sprach Selenskyj erneut von einer «brillanten Operation». Dabei empfand er kein Mitgefühl, falls Russland über den Verlust strategischer Bomber verärgert sei. Im Krieg gebe es täglich Verluste, schrieb Selenskyj auf X. «Nein, niemanden kümmert es, wenn Russland verärgert ist.» 

https://x.com/ZelenskyyUa/status/1929643575270428729

Der ukrainische Geheimdienst hatte am Vortag in einer sorgfältig geplanten Aktion russische Militärflugplätze mit Kampfdrohnen angegriffen und dabei laut eigenen Angaben etwa ein Drittel der russischen Flotte an strategischen Bombern am Boden zerstört.

Ukraine zu Nato-Gipfel in Den Haag eingeladen

Kiew hat eine Einladung zum kommenden Nato-Gipfel in Den Haag erhalten. «Wir sind zum Nato-Gipfel eingeladen worden. Ich denke, das ist wichtig», sagte Präsident Selenskyj. Die Einladung sei bei seinem Gespräch mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte in Vilnius erfolgt. Außenminister Andrij Sybiha sei mit der Vorbereitung des Treffens beauftragt worden. Ob Selenskyj selbst in die Niederlande reist, ließ er offen. Der Gipfel der Mitgliedsstaaten des Militärbündnisses Nato tagt in knapp drei Wochen in Den Haag.

Der Kreml betrachtet die Verhinderung des von Kiew angestrebten und verfassungsrechtlich verankerten Nato-Beitritts als einen der Hauptgründe für den Krieg.

Von der Leyen will weitere Russland-Sanktionen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen setzt sich persönlich für weitere Sanktionen gegen Russland ein, sollte es bei Friedensgesprächen zum Ukraine-Krieg keine Fortschritte geben. «Wir stehen in Europa bereit», sagte sie in der ZDF-Sendung «Was nun?». 

Wenn Wladimir Putin nicht ernsthaft an den Verhandlungstisch kommt, wird es weitere Sanktionen geben, zum Beispiel gegen die Gaspipelines Nord Stream oder die russische Schattenflotte. Am Morgen habe sie auch mit US-Senator Lindsey Graham gesprochen, der für den US-Senat ein weiteres Sanktionspaket vorbereite.

Die EU hat kürzlich ein 17. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet. Ein 18. Paket ist in Vorbereitung. Es zielt unter anderem darauf ab, die Wiederaufnahme des Betriebs der Nord-Stream-Gaspipelines zu verhindern. Außerdem sind eine Senkung des Preisdeckels für russisches Öl sowie weitere Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor geplant.

Auch aus den USA weitere Russland-Sanktionen möglich

Der republikanische US-Senator Graham erwartet, dass Präsident Donald Trump neue Sanktionen gegen Russland befürworten wird. Graham erklärte in den ARD-«Tagesthemen», dass der entsprechende Gesetzentwurf eine breite parteiübergreifende Unterstützung genießt. Laut Graham stehen 82 Senatorinnen und Senatoren hinter dem Vorhaben. Das Paket könnte noch vor dem G7-Gipfel Mitte Juni in Kanada von der Kongresskammer verabschiedet werden.

Laut Graham sieht der Entwurf drastische Strafzölle gegen Länder vor, die russisches Öl, Gas oder andere Energieprodukte importieren. Das Ziel ist es, die wirtschaftliche Basis des Kremls weiter zu schwächen, indem insbesondere große Abnehmer wie China und Indien stärker unter Druck gesetzt werden. China habe bisher nur zugesehen, während Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine fortgesetzt habe – dem müsse nun entschieden entgegengetreten werden, so Graham.

Drohender Gasmangel in der Ukraine

Nach massiven russischen Raketenangriffen auf Gasspeicher und Förderanlagen herrscht in der Ukraine ein Erdgasmangel. «Wir haben ein Defizit, über eine hinreichend große Summe», sagte Selenskyj. Kiew sucht derzeit nach alternativen Quellen. «Die Hälfte haben wir gefunden, doch eine Hälfte fehlt noch», erklärte der Präsident. Es handelt sich um eine Summe von einer Milliarde Euro, über die er mit dem norwegischen Ministerpräsidenten Jonas Gahr Støre verhandelt hat.

dpa