Arbeitsauftrag im Koalitionsvertrag, Erststimme wieder zur Geltung verhelfen, Legitimierungs- und Repräsentationsproblem ansprechen
Julia Klöckner fordert erneute Reform des Wahlrechts

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner besteht auf einer erneuten Reform des erst in der vergangenen Legislaturperiode geänderten Wahlrechts. «Ich habe die Fraktionen gebeten, sich des Themas anzunehmen. Der Arbeitsauftrag ist zudem im Koalitionsvertrag aufgenommen», sagte die CDU-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Einen eigenen Vorschlag will sie aber nicht vorlegen. «Ich kann jeden Vorschlag noch mal machen, der schon mal abgelehnt worden ist. Aber das ist ja wenig kreativ. Es liegen genügend Vorschläge auf dem Tisch.» Vielleicht gebe es ja jetzt auch Erkenntnisgewinne und eine Bereitschaft, sich auf ein Modell zu einigen, das zuvor abgelehnt worden sei.
Wahlrechtsreform der Ampel verkleinerte Bundestag deutlich
Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte durch eine Änderung des Bundestagswahlrechts eine Reduzierung des Parlaments von zuletzt 735 auf 630 Sitze erreicht. Dies wurde durch die Abschaffung von Überhang- und Ausgleichsmandaten erreicht.
Eine Konsequenz war jedoch, dass nach der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar 23 Wahlkreissieger ihr gewonnenes Direktmandat nicht erhielten, weil ihrer Partei die erforderliche Zweitstimmenunterstützung fehlte. Drei Wahlkreise in Baden-Württemberg und einer in Hessen sind sogar überhaupt nicht im Bundestag vertreten.
Klöckner kritisiert Entwertung der Erststimme
«Wen wollen Sie überhaupt noch überzeugen, in einem Wahlkreis anzutreten, der viele Kandidaten hat, wodurch das Erststimmenergebnis für jeden Einzelnen niedriger ist?», sagte Klöckner dazu. «Da investiert jemand persönliche Zeit, persönliche Reputation, persönliches Geld, gewinnt sogar und kommt dann nicht in den Bundestag.»
Auf diese Weise werde die Erststimme entwertet, kritisierte die Bundestagspräsidentin. «Entweder muss man sagen, wir wollen ein anderes Wahlrecht, keine Erst- und Zweitstimme mehr. Oder man muss der Erststimme wieder zur Geltung verhelfen.»
Dass der Bundestag nun weniger Abgeordnete habe, sei gut und richtig. «Aber so, wie das Wahlrecht jetzt ist, haben wir ein Legitimierungsproblem gegenüber der Bevölkerung und ein Repräsentationsproblem», sagte Klöckner und verwies auf die nicht zum Zuge gekommenen 23 Wahlkreissieger und die vier verwaisten Wahlkreise.
Bürger wollen laut Umfrage mehrheitlich Wahlrecht beibehalten
Die Bundestagspräsidentin hatte bereits in der Antrittsrede nach ihrer Wahl Ende März gesagt: «Es muss doch möglich sein, das Ziel der Wahlrechtsreform – eine deutliche Verkleinerung des Bundestags – mit einem verständlichen und gerechten Wahlrecht zu verbinden.»
Zeitgleich sprachen sich jedoch 47 Prozent der Befragten in einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur dafür aus, das aktuelle Wahlrecht beizubehalten. Nur 34 Prozent unterstützten eine erneute Reform. 18 Prozent hatten keine Meinung dazu. Unter den Wählern, die am 23. Februar CDU oder CSU gewählt hatten, stimmten sogar 50 Prozent für ein Festhalten am bestehenden Wahlrecht.
Änderung des Wahlrechts im Koalitionsvertrag vereinbart
Union und SPD hatten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das Wahlrecht wieder zu ändern und dazu eine Kommission einzusetzen, die noch in diesem Jahr Vorschläge vorlegen soll. Ziel ist des demnach, dass jeder Wahlkreisgewinner wieder in den Bundestag kommt. Außerdem soll das Parlament «grundsätzlich bei der aktuellen Größe verbleiben».
Im Rahmen der neuen Reform soll gemäß des Koalitionsvertrags auch untersucht werden, wie die gleichberechtigte Vertretung von Frauen im Parlament sichergestellt werden kann und ob das Wahlalter für Bundestagswahlen auf 16 Jahre gesenkt werden sollte. Die Union hat dies bisher abgelehnt. In dieser Frage könnte sie der SPD bei der Suche nach einem Kompromiss entgegenkommen.