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Koalitionsfriede mit progressiver Richterin?

Die Koalition startete wegen einer gescheiterten Richterwahl mit schweren Turbulenzen in den Sommer. Was ist geplant, dass es bei der neuen Kandidatin Sigrid Emmenegger nicht wieder Streit gibt?

Nach der gescheiterten Neubestellung neuer Richterinnen und Richter fürs Bundesverfassungsgericht kommt ein neuer Anlauf. (Symbolbild)
Foto: Uli Deck/dpa

Dieses Mal soll sich bei der Wahl der neuen Verfassungsrichterinnen und -richter alles anders gestalten. Im Juli ist es der Koalition nicht gelungen, zwei neue Richterinnen und einen Richter für Karlsruhe zu benennen. Die Koalitionäre verließen die Sitzung ohne konkreten Vorschlag, in aufgeregter Stimmung und teilweise mit großem Ärger im Bauch, um in die Sommerpause zu gehen. Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) schien geschwächt zu sein. Wie kann ein erneutes Debakel mit der neuen Kandidatin Sigrid Emmenegger verhindert werden?

Warum ist die SPD auf Emmenegger gekommen?

«Uns war neben der ausgezeichneten fachlichen Expertise auch wichtig, wieder eine starke progressive Frau aufzustellen», sagt die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Sonja Eichwede. Die Rechtspolitikerin lobt die «herausragende Juristin und anerkannte Richterin». Emmeneggers Senat am Bundesverwaltungsgericht, wo sie seit 2021 Richterin ist, ist unter anderem für das Recht des Ausbaues von Energieleitungen, das Bau- und Bodenrecht sowie das Natur- und Landschaftsschutzrecht zuständig. Klingt technisch, aber ihre Fürsprecherinnen und Fürsprecher loben Emmenegger für eine fortschrittliche, dem Gemeinwohl verpflichtete Herangehensweise. Angesichts der Bedeutung des Infrastruktur- und Energienetz-Ausbaus wird das als eine entscheidende Qualität der Kandidatin beschrieben.

Was war der erste Schritt?

Emmenegger hat sich als neue Kandidatin der SPD den Fraktionsführungen von Union und SPD vorgestellt. Die ersten parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Steffen Bilger (CDU), und der SPD, Dirk Wiese, lobten danach die «persönlichen und fachlichen Geeignetheit für das Amt». CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann ließ verlauten, dass die Kandidatin «das erforderliche Maß an Zurückhaltung» für das Amt mitbringe. «Das war ein Punkt, der viele meiner Kolleginnen und Kollegen in der Vergangenheit beschäftigt hatte.»

Was lief beim Wahlversuch im Juli schief?

Auch zu dieser Zeit hatten sich die Fraktionsführungen geeinigt. Nicht nur das: Trotz bereits vorhandener Widerstände in der Union hatte sich der Wahlausschuss des Bundestags im Juli für die Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf, die zweite SPD-Kandidatin, Professorin Ann-Katrin Kaufhold, und den von der Union vorgeschlagenen Richter Günter Spinner ausgesprochen. Allerdings wurden die erforderlichen Abstimmungen im Plenum über die drei Vorschläge drei Tage später kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestags genommen. In der Unionsfraktion hatte sich massiver Widerstand gegen Brosius-Gersdorf formiert, nachdem sie unter anderem wegen ihrer Positionen zum Abtreibungsrecht in sozialen Medien angegriffen worden war.

Wie wurde das Scheitern bewertet?

Das Regierungsbündnis von Kanzler Friedrich Merz (CDU) schien keine drei Monate nach seinem Start schon in jenem Streitmodus angekommen, den man sattsam von den Ampel-Vorgängern kannte. Von einem «Scheitern mit Ansage», «mangelnder Kompromissfähigkeit» und «Dilettantismus» war die Rede. 

Wie groß ist die Gefahr, dass sich das wiederholt? 

Sehr gering. Das Scheitern der Richterwahl im Juli hat verdeutlicht, welche Bedeutung die Frage für den Koalitionsfrieden und die Zukunft des Regierungsbündnisses hat. Es sind bisher auch keine Positionen von Emmenegger bekannt, die in der Union für größeren Unmut sorgen könnten. Ein Restrisiko besteht aufgrund der geheimen Wahl im Bundestag. Dies sollte jedoch überschaubar sein. Trotzdem wird die Fraktionsführung der Union sicherstellen, dass sie noch einmal in die Fraktion hineinhört. Die nächste Fraktionssitzung findet am kommenden Dienstag statt. Dort wird die Richterwahl voraussichtlich ein Thema sein.

Wie ist das weitere Verfahren? 

Emmenegger muss nun zunächst vom Wahlausschuss des Bundestags mit Zweidrittelmehrheit nominiert werden. Es wird erwartet, dass die Sitzung in der Woche ab dem 22. September stattfindet, wahrscheinlich am 23. Noch in derselben Woche könnte dann die Abstimmung im Plenum angesetzt werden. Auch dort ist eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Das heißt, die Koalition ist auf Stimmen aus der Opposition angewiesen.

Wie sehen Grüne und Linke die Kandidatin?

Grüne und Linke sind vor allem verärgert über das Verfahren. «Dass man nicht auf unsere Rückmeldung wartet, ist reichlich unprofessionell angesichts der Vorgeschichte», sagte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann dem Magazin «Stern». Die Linke beklagt, dass sie gar nicht einbezogen wurde, bevor der Name öffentlich gemacht wurde. «Das ist eine bedenkliche Entwicklung», sagte die rechtspolitische Sprecherin Clara Bünger der Deutschen Presse-Agentur. Sowohl Grüne als auch Linke wollen nun in Ruhe prüfen, ob sie sich auf den Vorschlag einlassen. «Es gibt keinen Automatismus für unsere Zustimmung», sagte Bünger. 

Welche Schwierigkeiten können bei der Richterwahl noch auftreten?

Selbst wenn die neue SPD-Kandidatin auch bei Grünen und Linken auf Zustimmung stößt, bleibt die Frage: Wird der von der CDU/CSU nominierte Arbeitsrichter Günter Spinner möglicherweise nur mit den Stimmen der AfD gewählt? Wenn alle Fraktionen entsprechend ihrer relativen Stärke vertreten sind, reichen die Stimmen der drei Regierungsparteien CDU, CSU und SPD sowie der Grünen nicht für eine Zweidrittelmehrheit aus. Es wäre dann notwendig, Stimmen von der AfD oder den Linken zu erhalten. Die Union lehnt jedoch eine Zusammenarbeit mit beiden ab, aber man bräuchte die Stimmen der Linken, wenn man nicht auf die AfD angewiesen sein möchte.

Laut der Grünen-Fraktion liegt es nun an der Union und der SPD, sicherzustellen, dass eine demokratische Mehrheit für alle Kandidaten gewährleistet ist. Dies bedeutet, dass selbst die Unterstützung der Grünen nicht garantiert ist, wenn es auf die AfD zukommen würde.

dpa