Das Bundesverfassungsgericht prüft die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags. Ein Urteil könnte Milliarden an Einnahmen gefährden und die Regierung belasten.
Verfassungsgericht entscheidet über Solidaritätszuschlag,Was bedeutet das für die Bundesregierung und die Bürger?
Union und SPD verhandeln noch über einen gemeinsamen Koalitionsvertrag, während die künftige Bundesregierung in Karlsruhe möglicherweise vor der nächsten Herausforderung steht. Das Bundesverfassungsgericht wird darüber entscheiden, ob der Solidaritätszuschlag weiterhin verfassungsgemäß ist. Jedes Jahr fließen mehr als zwölf Milliarden Euro in den Bundeshaushalt durch diese Abgabe, die mit der Finanzierung der Wiedervereinigung begründet wird. Wird dies bald enden? Die wichtigsten Fragen und Antworten vor dem Urteil:
Was ist der Solidaritätszuschlag?
Der Solidaritätszuschlag wird als Zuschlag auf die Einkommens- und Körperschaftsteuer sowie Kapitalerträge erhoben und beträgt 5,5 Prozent der jeweiligen Steuer. Nachdem es 1991/1992 zunächst einen zeitlich befristeten Vorläufer gegeben hatte, wurde der Zuschlag 1995 vor dem Hintergrund des zusätzlichen Finanzbedarfs der Deutschen Einheit unbefristet eingeführt. Das Geld ist aber – wie alle Steuereinnahmen – nicht zweckgebunden und fließt in den Bundeshaushalt.
Wer muss ihn zahlen?
Bis Ende 2020 mussten fast alle Bürgerinnen, Bürger und Betriebe in Ost und West den Solidaritätszuschlag zahlen. Seit 2021 zahlen ihn nur noch Besserverdienende, Unternehmen und Kapitalanleger. Für 90 Prozent der Steuerpflichtigen wurde er im Rahmen des «Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995» abgeschafft, für weitere 6,5 Prozent zumindest zum Teil.
Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft zahlten zuletzt noch etwa sechs Millionen Menschen und 600.000 Kapitalgesellschaften den Soli. Dieses Jahr müssen nach Angaben des Finanzministeriums diejenigen den Soli zahlen, die mindestens 19.950 Euro Steuern auf ihr Einkommen zahlen. Die Abgabe wird somit teilweise fällig für alle Ledigen mit einem zu versteuernden Einkommen ab etwa 73.500 Euro. Der volle Soli ist ab einem zu versteuernden Einkommen von rund 114.300 Euro zu entrichten. Für Verheiratete oder Steuerpflichtige mit Kindern liegen die Grenzen höher.
Wer klagt dagegen?
Am Mittwoch wird das Gericht über die Verfassungsbeschwerde von sechs FDP-Politikern entscheiden – darunter der ehemalige Fraktionsvorsitzende Christian Dürr und die ehemaligen Finanzstaatssekretäre Florian Toncar und Katja Hessel. Sie hatten bereits geklagt, bevor die Liberalen Teil der letzten Ampel-Regierung wurden. (Az. 2 BvR 1505/20)
Warum klagen sie?
Die Beschwerdeführer argumentieren, dass der Zuschlag mit dem Auslaufen des sogenannten Solidarpakts II verfassungswidrig geworden ist. Durch diesen Pakt erhielten die ostdeutschen Bundesländer finanzielle Sonderleistungen des Bundes zur Bewältigung der Folgen der deutschen Teilung. Ziel war es, nicht nur die Infrastruktur zu verbessern, sondern auch die Finanzkraft der Kommunen zu stärken und die Wirtschaft zu fördern.
Der Solidarpakt II lief Ende 2019 aus. «Der Zweck des Solidaritätszuschlags ist damit inzwischen weggefallen», sagte Toncar der Deutschen Presse-Agentur. Wenn er nicht abgeschafft werde, drohe eine «Soli-Endlosschleife».
Die Kläger behaupten auch, dass Personen mit unterschiedlichen Einkommen nun ungleich behandelt werden, da die Abgabe im Jahr 2021 nur für einen Teil der Bürger abgeschafft wurde.
Was hält die Bundesregierung dagegen?
Die aktuelle geschäftsführende Bundesregierung behauptet, dass die Wiedervereinigung weiterhin Kosten verursacht – beispielsweise in Bezug auf die Rentenversicherung und den Arbeitsmarkt. Zudem wird im Finanzministerium darauf hingewiesen, dass eine soziale Staffelung bei der Besteuerung ausdrücklich erlaubt ist.
Was sagten andere Gerichte dazu?
Es ist nicht das erste Mal, dass ein hohes deutsches Gericht über den Soli entscheidet. Der Bundesfinanzhof (BFH) in München hatte 2023 eine Klage gegen den Zuschlag abgelehnt und ihn für verfassungskonform erklärt. Die Kläger – ein Ehepaar aus Aschaffenburg – hatten zusammen mit dem Bund der Steuerzahler eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gefordert. Laut BFH-Urteil legte der Bund aber schlüssig dar, dass die Wiedervereinigung weiter erhöhten Finanzbedarf verursache, auch wenn die Solidarpakte zur Finanzierung der Einheitslasten ausgelaufen seien.
Welche Folgen könnte das Urteil haben?
Falls das Gericht den Zuschlag als verfassungswidrig erklärt, würde dies die kommende Bundesregierung vor eine große Herausforderung stellen. Im aktuellen Haushaltsentwurf sind für dieses Jahr Soli-Einnahmen von 12,75 Milliarden Euro eingeplant, die Steuerschätzer erwarten sogar 13,1 Milliarden. Der Wegfall dieser Einnahmen würde der Bundesregierung schmerzlich fehlen.
Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass es noch schlimmer wird: Der Senat könnte beschließen, dass der Staat die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag der vergangenen Jahre zurückzahlen muss. Das würde von 2020 bis 2024 ungefähr 66,5 Milliarden Euro betragen.
Die politische Wirkung einer solchen Entscheidung könnte ähnlich stark sein wie 2023, als das höchste deutsche Gericht die Verwendung von Corona-Krediten für Klimaprojekte als verfassungswidrig einstufte. Damals gab es plötzlich ein Loch von 60 Milliarden Euro in der Kasse – was letztendlich zum Scheitern der Ampel-Regierung führte. Sollte das Gericht den Soli in irgendeiner Weise aufheben, müssten sich auch die Verhandler einer neuen schwarz-roten Koalition erneut mit ihren Zahlen auseinandersetzen – und sie haben ohnehin schon Schwierigkeiten, sich auf dringend notwendige Sparmaßnahmen zu einigen.