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Selenskyj fordert mehr Flugabwehrsysteme vom Westen

Die Ukraine braucht sieben Systeme, das ist das absolute Minimum. Unsere Partner haben diese Patriots.

In Kiew ist eine Normalität eingekehrt, die keine ist. Die Ukraine verteidigt sich nun seit 795 Tagen gegen den russischen Angriffskrieg.
Foto: Francisco Seco/AP/dpa

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich über russische Angriffe auf das Gastransitsystem seines Landes beschwert. In seiner abendlichen Videobotschaft sagte Selenskyj, dass Objekte angegriffen wurden, über die Gas durch die Ukraine in die Europäische Union transportiert wird. Trotz des seit über zwei Jahren andauernden russischen Angriffskrieges fließt weiterhin Gas der Rohstoffgroßmacht durch die Ukraine – wenn auch in geringeren Mengen.

Vorher hatte auch der staatliche ukrainische Gaskonzern Naftogaz russische Angriffe auf das Durchleitungsnetz kritisiert, ohne Einzelheiten zu nennen. Das Unternehmen hatte zuvor angekündigt, dass ab 2025 – wenn die aktuellen Verträge mit dem russischen Staatskonzern Gazprom zum Jahresende auslaufen – kein russisches Gas mehr in Richtung Westen transportiert wird. Die Hauptempfänger sind Länder ohne Zugang zum Meer, die nicht auf Flüssigerdgas (LNG) umsteigen können.

Russland hat die Ukraine erneut mit Raketenangriffen überzogen und dabei hauptsächlich Energieanlagen angegriffen. Vier Wärmekraftwerke wurden beschädigt, wie das Energieunternehmen DTEK mitteilte. Es gab erneut Luftalarm in der Nacht. Es wurden Berichte über Explosionen aus verschiedenen Orten gemeldet. Auch das Gebiet Kiew war betroffen.

Selenskyj fordert vom Westen mehr Flugabwehrsysteme

Selenskyj hat nach den kürzlichen Luftangriffen erneut mehr Unterstützung vom Westen bei der Flugabwehr gefordert. In seiner Videoansprache betonte er, dass Russland durch seine massiven Angriffe den Radius erweitert hat, was die Arbeit der ukrainischen Flugabwehr erschwert. Die Ukraine benötigt mehr Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot aus den USA.

«Die Ukraine braucht sieben Systeme, das ist das absolute Minimum. Unsere Partner haben diese Patriots», sagte Selenskyj. Es dürfte sich um zusätzliche Forderungen handeln – zu den bereits gelieferten Patriot-Systemen. Mitte April hatte Deutschland der Ukraine die Lieferung eines dritten Patriot-Systems zugesagt. Selenskyj hatte auch schon 25 dieser Abwehranlagen mit jeweils 6 bis 8 Batterien gefordert samt der dazugehörigen Raketen. «Jede Abwehrrakete ist buchstäblich ein Lebensretter», sagte er. Die Ukraine will so die Hoheit über ihren Luftraum wiedererlangen.

Selenskyj forderte den Westen erneut auf, beim Schutz der Ukraine vor russischen Terroristen dieselbe Entschlossenheit zu zeigen wie im Nahen Osten bei der Verteidigung Israels. «Es darf keine Zeit vergeudet werden, das notwendige Signal der Entschlossenheit muss gesendet werden», betonte er.

Polens Außenminister setzt auf Taurus-Freigabe durch Scholz

Auf mehr westliche Entschlossenheit hofft auch Polens Außenminister Radoslaw Sikorski. Er setzt nach der Lieferung weitreichender US-Raketen an die Ukraine darauf, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) doch noch seine Meinung ändert und dem angegriffenen Land deutsche Taurus-Marschflugkörper nicht länger verweigert. «Ich hoffe, der Kanzler fühlt sich durch die Ereignisse der letzten Tage ermutigt», sagte Sikorski in einem Interview der «Bild am Sonntag» und anderer Axel-Springer-Medien in Warschau.

Die Lieferung von US-ATACMS-Raketen an die Ukraine bezeichnete Sikorski als «Reaktion auf die russische Eskalation» in der Ukraine, auf die auch Deutschland reagieren müsse. 

Vor Kurzem wurde bekannt gegeben, dass die Ukraine von den USA umfangreiche ATACMS-Raketen erhalten hat. Scholz weigert sich jedoch entschieden, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Er fürchtet, dass Deutschland in den Krieg hineingezogen werden könnte, wenn Raketen mit einer Reichweite von 500 Kilometern bereitgestellt werden.

«Die Russen haben bereits 70 Prozent der ukrainischen Stromerzeugungskapazität abgeschaltet. Das ist eigentlich ein Kriegsverbrechen», sagte Sikorski weiter. In Berlin habe eine Konferenz über den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg stattgefunden. Besser wäre es aber, die Zerstörung des Landes zu verhindern, gab der polnische Außenminister zu bedenken. 

Selenskyj: Arbeiter beseitigen Schäden an Energieanlagen

Arbeiter in der Ukraine seien indes dabei, die Schäden durch die jüngsten russischen Angriffe an Energieanlagen zu beseitigen, sagte Selenskyj. Betroffen seien die Regionen Lwiw (früher Lemberg), Iwano-Frankiwsk, Charkiw und Dnipropetrowsk.

Moskau hat zuvor den erneuten massiven Beschuss von Energieanlagen in der Ukraine damit gerechtfertigt, dass Kiew auch russische Infrastruktur mit Drohnen angreife. Nach einem solchen Angriff brach in der Region Krasnodar in einem Ölverarbeitungsbetrieb ein Feuer aus. Die Schäden auf russischer Seite stehen jedoch in keinem Verhältnis zu den massiven Zerstörungen durch Moskaus Raketenschläge gegen ukrainische Anlagen.

Russische Armee meldet Vorrücken im Gebiet Donezk

Die russischen Streitkräfte teilten mit, dass sie nach der Eroberung einzelner Ortschaften im Gebiet Donezk nun tief in die Verteidigung der ukrainischen Armee vorgedrungen seien. Die Angaben ließen sich nicht überprüfen. Allerdings hatten auch westliche Militärexperten den russischen Truppen kürzlich einzelne taktische Erfolge bescheinigt. Ukrainische Medien berichteten ebenfalls, dass Russland das Dorf Berdytschi erobert habe und sich auch in Otscheretyne festgesetzt habe.

Der ukrainische Oberkommandierende Olexander Syrskyj hat die operativ-strategische Lage an der Front als schwierig bezeichnet. „Die Situation hat die Tendenz, sich zu verschlechtern“, teilte der Befehlshaber im Nachrichtenkanal Telegram mit. Dies habe er beim virtuellen Treffen der US-geführten Ukraine-Kontaktgruppe am Vortag den westlichen Verbündeten in Kiew mitgeteilt.

Syrskyj berichtete auch über die zahlreichen russischen Luftangriffe auf die Energieinfrastruktur des Landes. Die Ukraine benötigt dringend Raketen, Munition, militärische Ausrüstung und Kampftechnik zur Verteidigung. Er bedankte sich erneut bei den USA für ihre Hilfe. Die USA planen, wie US-Verteidigungsminister Lloyd Austin mitteilte, weitere Waffen und Unterstützung im Wert von sechs Milliarden US-Dollar (5,6 Milliarden Euro) bereitzustellen.

dpa